Montag, 6. November 2023

Salman Rushdie - Die Satanischen Verse

 

Autor:

Salman Rushdie wurde 1947 in Bombay als Sohn muslimischer Eltern geboren. Als Jugendlicher schickte ihn der Vater nach England zur Schule, wo er dann auch studierte.
Rushdie erlangte sehr fragwürdige Berühmtheit, als 1998 nach Veröffentlichung eben dieses hier zu besprechenden Buches der damalige iranische Diktator Chomenei eine Fatwa (Todesurteil) verhängte, da angeblich in dem Buch der Prophet Mohammed verunglimpft wird. Seitdem lebte er lange im Untergrund unter polizeilicher Bewachung und erst dieses Jahr gab es einen Mordversuch in den USA, wo er heute hauptsächlich lebt, der ihm ein Augenlicht kostete.
Seinen literarischen Durchbruch hatte Rushdie aber bereits 1981 mit dem Roman 'Mitternachtskinder', heute gilt er seit Jahren als ein Kandidat für den Nobelpreis und einige Kommentatoren werfen der schwedischen Akademie vor, aus Angst vor islamistischer Rache auf die Vergabe zu verzichten. Insgesamt 15 Romane wurden bisher veröffentlicht.
Anlässlich des eines Terroranschlages in Paris (Charlie Hebdo) sagte er: „Religion, eine mittelalterliche Form der Unvernunft, wird, wenn sie mit modernen Waffen kombiniert wird, zu einer echten Gefahr unserer Freiheiten. Derartiger religiöser Totalitarismus hat zu einer tödlichen Mutation im Herzen des Islams geführt und wir sehen heute die tragischen Folgen in Paris.“
Rushdie erhielt zahlreiche Auszeichnungen, ganz aktuell den bedeutenden Friedenspreis des deutschen Buchhandels. 

Buch:

Es ist der dritte Roman Rushdies, der das Leben zweier schicksalhaft verbundener indischer Muslime erzählt. Ich habe vor vielen Jahren, nach der Bekanntgabe der Fatwa bereits einmal mit der Lektüre begonnen, kam aber nicht wirklich rein. Anlässlich der aktuellen Entwicklungen im Nahen Osten möchte ich mir nun selbst ein Bild darüber machen, ob man aus westlicher Perspektive nachvollziehen kann, warum das Buch einen solchen religiösen Skandal ausgelöst hat. 

Hauptfiguren:
  • Gibril Farishta = Ismail Najmuddin, Schauspieler aus armer muslimischer Familie stammend, Inkarnation des Engels Gabriel
  • Saladin Chamcha = Salahuddin Chamchawala, ebenfalls Schauspieler und Sprecher/Stimmenimitator, aber aus reicher muslimischer Familie stammend
  • Rekha Merchant, Nachbarin Gibrils in Indien und seine Geliebte
  • Alleluja 'Allie' Cone, Bergsteigerin und spätere Partnerin von Gibril
  • Nasreen Chamchawala, Saladins Mutter
  • Changez Chamchawala, sein Vater
  • Pamela Lovelace, Saladins englische Frau
  • Jamshed 'Jumpy' Joshi', ihr Geliebter
  • Zeenal „Zeeny“ Vakil, seine indische Geliebte
  • Mahound = Mohammed = Teufel
  • Rosa Diamond, 88 Jahre, ältere Dame mit allerlei Visionen von Geistern
  • Mirza Said Akthar, Großgrundbesitzer in Indien
  • Mishal, seine Frau 
  • Muhammad Sufyan, Inhaber eines Cafes
  • Hind, seine übergewichtige Ehefrau
  • Mishal, ihre Tochter
  • Mr. „Whiskey“ Sisodia, Filmproduzent in London
  • Abu Simbel, Patriarch in Mekka
  • Hind, seine nicht alternde Frau
  • Baal, Dichter und Satiriker im alten Mekka
  • Salman Farsi, Sekretär von Mohammed
  • Billy Battuta, krimineller amerikanischer Unternehmer
  • Mimi Mamoulian, seine Geliebte
Inhalt und Rezeption:

Zu Beginn stürzt ein entführtes Flugzeug nach einer Explosion an Bord ab und die zwei Protagonisten Gibril und Saladin stürzen zur Erde, landen als einzige Überlebende an einem Strand in England. (Thema Wiedergeburt). 

Schwenk nach Indien, es wird erzählt, was dort der vermeintliche Tod Gibrils an seinem Arbeitsplatz auslöst, wie sich seine Nachbarin samt ihren beiden Kindern umbringen und in weitere Rückblenden, wie er zum Schauspieler wurde und wie er nach einer beinahe tödlichen Krankheit seinen Glauben verlor und schließlich einer Geliebten hinterher einen Flug nach London buchte.

Nun wird das Leben Saladins erzählt, wie er in jungen Jahren unbedingt nach England wollte, wie er Probleme mit seinem Vater hatte und wie er in England seine Frau Pamela fand und heiratete. Zurück in Indien wird ihm seine kulturelle Gespaltenheit klar, er will eigentlich ein Engländer sein, ist aber auch kein richtiger Inder mehr.

Am Ende des ersten Teils ('Der Engel Gibril') wird mehr von der Flugzeugentführung und dem Kennenlernen der beiden Protagonisten in eben diesem Flugzeug erzählt.

Im folgenden Kapitel wird die Rahmenhandlung verlassen und von der Geschichte der Stadt Jahilia (=synonym für Mekka) und dem Propheten Mahound (=Mohammed = Geschäftsmann auf dem Hügel) erzählt. Es beginnt kurz vor der Gründung des Islam, als Mekka bereits ein Pilgerort war und der heute berühmte schwarze Stein noch weiss war und als Allah einer von vielen Göttern war. Der lokale Patriarch Abu Simbel beauftragt den Dichter Baal, der mit seiner Frau fremd ging, als Strafe Verse über drei Müßiggänger, die Jünger des Mahounds sind, zu schreiben (Khalid, Salman, Bilal). Und er fürchtet Mahound selbst, der den einen Gott Allah predigt, da dies seine Pfründe in der Stadt gefährdet, genauso wie der nachlassende Handel, der durch den Schiffsverkehr ersetzt wird, so dass lediglich Pilgerreisen als einträgliches Geschäft bleiben. Daher bietet er ihm einen Deal an, dass nämlich Mahound drei weibliche Göttinnen (Lat, Uzza, Manat) anerkennen soll, dafür darf er dann frei seinen Glauben predigen und erhält einen Sitz im Stadtrat. Mahound pilgert zur Höhle, um den Erzengel Gabriel zu befragen. Dargestellt ist das ganze Kapitel als ein Traum von Gibril. Das Ergebnis der Befragung, nämlich die Akzeptanz der der Göttinnen durch Allah verkündet Mahound dann auf einem Dichterwettbewerb in Versform (satanischen Verse!) und alle Anwesenden huldigen plötzlich Allah. Aber Hind, die Frau Abu Simbels und eigentliche Rigrntümrtin der Templ der drei Göttinenen wart Mahound, daß es keine Gemeinsamkeiten zwischen den Religionen geben kann. Mahound geht erneut zur Höhle und diesmal erkennt er dort, dass die ihm in den Mund gelegten Verse die des Teufels waren und widerruft sie öffentlich. Daraufhin werden er und seine Jünger verfolgt und fliehen schließlich nach Yathrib (=Medina).

Und wieder ein Schwenk in der Geschichte. Nach dem Absturz erwachen Gibril und Saladin am Stand in Südengland und werden von Rosa in ihr Haus aufgenommen. Kurz darauf wird Saladin als vermeintlich illegaler Einwanderer verhaftet. Und er verwandelt sich langsam in einen Teufel (ihm sind Hörner Ziegenhufe gewachsen), während Gibril sich Kleidung des verstorbenen Mannes von Rosa anzieht und mit einem Heiligenschein versehen so überzeugend auftritt, dass die Polizei ihn nicht mitnimmt. Saladin wird von den Polizisten misshandelt, die ihm zunächst glauben, er sein Engländer, und wacht später im Krankenhaus auf, wo er unter allerhand anderer, zu halben Tieren oder Pflanzen mutierter Menschen aufwacht und schließlich mit diesen flieht. Hier klingt meine Zusammenfassung der Handlung so verrückt, wie sie auch ist.

Saladins Frau Pamela stellt fest, dass sie froh über den Tod ihres Mannes ist und wirkt kurzfristig irritiert, als ihr Liebhaber Jumpy ihr sagt, Saladin habe ihn angerufen, um mitzuteilen,er lebe noch, aber da offiziell alle Flugzeuginsassen verstorben sind, glaubt sie ihm nicht. Als ein paar Tage später Saladin in seinem neuen Körper vor der Tür steht, ist der Schock groß. Gibril fährt schließlich mit dem Zug nach London und trifft dort Allie wieder.

Nun kommt die zweite Traumsequenz: Der atheistische Großgrundbesitzer Mirza findet eines Morgens in seinem Garten das Waisenmädchen Aischa, die nach einem Treffen mit dem Erzengel Gabriel zu einer heiligen Seherin geworden ist und die Bewohner ihres muslimischen Dorfes zu einer Pilgerfahrt nach Mekka bewegen will, zu der die Bewohner dann auch -sogar mit Miza- aufbrechen.

Der zum Teufel mutierte Saladin kommt in London bei bengalischen Freunden des Liebhabers seiner Frau unter, bei Safyan und seiner Frau, derer beider Geschichte zunächst erzählt wird.  Saladin dagegen verändert sich äußerlich immer mehr zum Teufel, ist einsam, während seine Frau in London immer noch die Liebschaft zu Jumpy aufrechterhält und sogar ein Kind von ihm erwartet. Schließlich fokussiert sich seine Wut auf Gibril und nach einem Wutanfall in einer Diskothek verwandelt sich sein Körper zurück. Hier insbesondere nimmt die Geschichte fantastische Züge an.

Nun wird die Lebensgeschichte von Allie kurz erzählt, die in der Vergangenheit eine leidenschaftliche Beziehung zu Gibril hatte, dann traurig war, als sie erfuhr, dass er in er abgestürzten Maschine und umso verwunderter war, als er plötzlich ohnmächtig vor ihrem Haus in London lag. Sie lassen ein paar Wochen ihre Liebe wieder aufleben, aber eines Tages wirft sie aus ihrer Wohnung, gerade als er eine göttliche Erscheinung hat und in seiner Rolle als Engel zu tun bekommt. Und in seiner neuen Rolle verteufelt er gleich die Menschentöchter und wählt die Gottesverehrung. Und auf Erden erlebt er allerlei Ungemach und trifft auf den Geist von Rekha, die ja sich und ihre Kinder aus vergeblicher Liebe zu ihm umgebracht hatte, die sich als Geist nun rächen will. In seinem Wahn läuft er vor ein Auto und wird wieder - sehr zum Missfallen ihrer Mutter- bei Allie abgegeben. Und seine Bewusstseinsspaltung in Gut und Böse, in den Erzengel und den Menschen, schreitet voran. Nach einer Episode der Rückkehr in die Filmwelt kollabiert er erneut und sein Widersacher Saladin erscheint ihm als Teufel. Immer wieder elegant, wie in die verwobenen Geschichte die beiden Protagonisten eingebunden werden.

Der nächste Schwenk zu Beginn des 4. Teils führt zurück nach Mekka, 25 Jahren nach den vorher berichteten Ereignissen, Mohammed kehrt aus Medina nach Mekka zurück, nun als erfolgreicher Prophet, der in den Jahren vor allen Dingen unendlich viele Verhaltensvorschriften -eingeflüstert vom Erzengel Gibril und aufgeschrieben vom Perser Salman- für seine Anhänger erlassen hat (Koran). Dies stellt Rushdie leicht ironisch, aber kritisch dar. 
Mit unserem Propheten ist es nämlich so, mein lieber Baal, daß er es nicht leiden kann, wenn seine Frauen ihm widersprechen, …

Dass solche Gedanken den strenggläubigen Muslimen nicht gefallen, ist keine Überraschung. Und ist der kritische Salman Rushdie selbst? Mekka konvertiert zum neuen Glauben. Aber hinter den Kulissen werden oft weiterhin die alten Götter angebetet, Schweinefleisch gegessen und der Hurerei gefrönt. Dass sich gerade im Bordell die Huren die Namen der 12 Frauen Mohammeds geben und sich auch so verhalten ist der Perzeption des Romans im Islam sichtlich nicht hilfreich. 

Saladin ist zurück zu seiner menschlichen Gestalt mutiert und zieht wieder in das gemeinsame Haus bei seiner zukünftigen Exfrau Pamela ein. Ihr Liebhaber und Vater ihres noch ungeborenen Kindes hat einige Probleme mit der neuen Situation. Auf einer Party in London trifft er schließlich Gibril wieder, der dort als wieder bewunderter Filmstar seine Eifersucht weckt. Etwas wirr wird es dann. Irgendwie muss Gibril Jumpy k.o. geschlagen haben, als er von der Schwangerschaft und dem Fremdgehen Pamelas erfuhr. Aber die beiden treffen sich dann häufiger, wobei Saladin bemerkt, dass Gibril (wieder) zunehmend verrückt wird, da er seine Medikamentendosis gegen bipolare Störungen reduziert hat. Saladin ist seinerseits von Allie angetan und regt die Eifersucht Gibrils an, indem er mit verstellter Stimme heimliche Anrufe tätigt und die beiden schließlich auseinander bringt. Seine Art der Rache. Gibril ist so wütend, er verlässt Pamela und irrt durch London, kauft eine Trompete, mit der er dann zum jüngsten Gericht bläst und in den dadurch entstehenden Feuern sterben zahlreiche Menschen, darunter Pamela und Sufyan. Saladin läuft in das Cafe Sufyans, um insbesondere Mishal zu retten, und wird durch das Feuer schwer verletzt, so dass er nicht rauskommt, aber letztlich holt ihn Gibril dann doch raus. Ja, eine verrückte Story, aber im ewigen Wettstreit zwischen Gut und Böse zu verstehen.

Zurück zur Pilgerfahrt. Unterwegs nach Mekka stösst Srinivas zur Gruppe. Und Mirza begleitet den Tross voller Skepsis in seinem Auto, willens die Dorfbewohner von einer Umkehr zu überzeugen. Der Kampf zwischen Glaube (Aischa, vom Erzengel geführt) und Unglaube (Mirza) steht im Mittelpunkt der Pilgerfahrt. Viele der älteren Dorfbewohner sterben, aber Aischa treibt die anderen unerbittlich an. Am arabischen Meer angekommen erwarten die meisten das Wunder, dass Aischa das Meer teilen wird, aber statt dessen ertrinken alle bis auf die Handvoll der Ungläubigen um Mirza. Es wäre aber nicht die wundersame Geschichte, die es ist, wenn nicht die Überlebenden plötzlich meinten gesehen zu haben, wie sich für die Dörfler doch das Meer teilte und sie es nach Arabien geschafft haben. Ist der Glaube stärker als die Realität?

Im letzten Kapitel reist Saladin zu seinem sterbenden Vater nach Bombay. Der stotternde Sisodia sitzt im Flugzeug neben ihm und nervt ihn. Er erlebt noch ein paar Tage mit seinem Vater und versöhnt sich mit ihm, bevor er stirbt. Seine alte Freundin Zeenal tröstet ihn und zieht ihn wieder zurück in das indische Leben. Auch Gibril kommt nach Bombay, um seine Filmkarriere zu retten, aber er ist nun am Ende, er bringt gar seinen Produzenten Sisodia sowie seine frühere Geliebte Allie um. Der Showdown findet in Saladin‘s Haus statt, wo Gibril sich am Ende umbringt und Saladin mit seinen Schuldgefühlen hinterlässt, da er in London Gibrils Eifersucht auf Allie angeregt hat.

Lesespaßfaktor:

Der Roman ist voll blumiger, metaphorische Sprache ("grau vom Puderstaub des Alters" oder "deren Flüche im Handumdrehen Gewehrläufe zum Schmelzen bringen ... können." ). Zu Beginn gibt es keine klare Handlung, das aber ändert sich nach ein paar Seiten als die Geschichten der beiden Protagonisten beginnen. Immer wieder zeigt Rushdie die kulturelle Gespaltenheit der in England lebenden Inder auf. Auch die Auseinandersetzung mit der Kindheit, insbesondere mit dem Vater (Saladin) spielt eine große Rolle. 

In en verschiedenen Träumen kommen viele persische und islamische Begriffe vor, deren  Bedeutung man sich außerhalb des Buches erarbeiten muss. Aber das Werk zeigt einen überquellender Einfallsreichtum im ständigen Wechsel zwischen der Gegenwart in London und der Vergangenheit in Indien, unterstützt durch die Träume rund um den Propheten Mohammed.

Sprachlich sind die zahlreichen Verschachtelungen und Rückblicke nicht immer ganz leicht nachzuvollziehen und verhindern oftmals auch ein flüssiges 'Durchlesen', denn auch in Phasen vermeintlich realistischer Erzählung der Geschichte webt Rushdie immer wieder Übernatürliches ein. 

Es kommen ganz viele verschiedene Themenbereiche im Roman vor, vom Bergsteigen bis hin zu zahlreichen Shakespeare Anspielungen oder einer herrlich komischen Kritik am Fernsehen. Nicht alle im Roman vorkommenden Personen sind bis zum Ende ausgearbeitet, manche treten kurz auf, erwecken das Interesse des Lesers, verschwinden aber ziemlich sang- und klanglos wieder.

Ganz  klar und deutlich wird eine kritische Sicht auf den Islam beschrieben, für den christlich geprägten Leser erschließt sich aber nicht, warum der Autor aufgrund dieses Buches zum Tode verurteilt wurde. Ich fine das Buch ganz wunderbar, sprachlich, inhaltlich, es ist große Literatur!


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