Freitag, 30. April 2021

Leif Randt - Allegro Pastell

 

Autor:

Leif Randt ist ein junger (geb. 1983) deutscher Schriftsteller, der seit 2009 Romane veröffentlicht und dafür schon viele lokale Preise gewonnen hat. 

Buch:

Nach einem Klassiker von Goethe wollte ich mal wieder ein zeitgenössisches Buch lesen. Auf Empfehlung der "Zeit" widme ich mich daher dem hier vorliegenden Buch. Es ist der vierte Roman des Autors, erschien 2020 und es wurde für den Leipziger Buchpreis nominiert sowie stand auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis. Es handelt sich um einen Liebesroman. Stilistisch Popliteratur und bis auf wenige fiktive Ausnahmen spielt der Roman der realen Welt.

Inhalt und Rezeption:

Phase 1:

Tanja kommt zu Ostern aus Berlin ihren Freund Jerome in Frankfurt besuchen. Dann wird kurz der Beginn ihrer Beziehung beschrieben und weiter geht es in ihrem Beziehungsalltag. Die Geschichte wird zunächst aus der Sicht von Jerome erzählt, einerseits die (oberflächliche) Handlung, andererseits seine inneren Betrachtungen zu ihrer Beziehung, zu seinem eigenen Leben und zu seiner Umwelt. Dann wird die Perspektive gewechselt und aus Tanjas Sicht erzählt.

Sie tauschen sich über alles aus, inkl. ihrer gelegentlichen Drogenerfahrungen auf Partys. Jerome entwirft eine Webseite für Tanja, die er ihr erstmalig an ihrem 30. Geburtstag zeigt. Kurz darauf trennt sich Tanja, die sich zu Janis, dem Freund ihrer besten Freundin in Berlin hingezogen fühlt, von Jerome, ohne dass dem Leser der Auslöser richtig deutlich wird, irgendwie ausgelöst durch die von Jerome gestaltete Webseite. Sie fährt zu ihren Eltern und bespricht sich mit ihrer Mutter, die selbst Therapeutin ist, was ihr aber auch nicht wirklich hilft.

Phase 2:

Das 8. Kapitel beginnt mit einem schnellen Wechsel zwischen den Aktivitätsberichten von Tanja, die jetzt eine Affäre mit Janis hat, die dann aber kurze Zeit später auch wieder auf Eis liegt, und Jerome, der versucht, mit der Trennung klarzukommen, die er nicht versteht. Er fängt eine Beziehung mit der alten Bekannten Marlene an. Einige Monate später meldet sich Tanja dann doch wieder bei Jerome. Man nähert sich wieder an und beschließt, gemeinsam auf die Hochzeit eines Freunde zu gehen. Aber richtig zusammenkommen tun sie zunächst noch nicht. Beide leben ihr Leben, treffen ihre Freunde und tauschen sich eher über Social Media aus. Tanja richtet eine Weihnachtsfeier mit ihrer Familie aus, Jerome besucht seine Mutter in Lissabon und trifft immer noch Marlene. Trotzdem verabreden sich Tanja und Jerome zu einer gemeinsamen Silvesterparty in Berlin, aber auch dort gelingt es beiden nicht wirklich wieder zusammenzukommen.


Phase Neu:

Jerome ist nun wieder mit Marlene zusammen und diese ist schwanger von ihm, ersteht vor einem 'reaktionären' Leben. Tanja schreibt weiter an ihrem nächsten Text, der aber von ihrer Lektorin nicht sehr positiv aufgenommen wird, ein ganz neuer Roman danach dann aber sehr wohl. Die weitere Entwicklung ihrer Kontakte zu ihrer Schwester oder ihrer Freundin und anderen Personen erfolgt über eine Reihe von Posts. Die beiden tauschen sich immer mal wieder per Mail oder Textnachricht aus Tanja erfährt von der Vaterschaft, lässt Jerome zum Schluss wissen, dass sie selbst jetzt erst einmal gerne alleine bleibt.




Figuren:

Jerome Daimler, Webdesigner, 35 Jahre
Tanja Arnheim, 30 Jahre alt, seine Freundin, Schriftstellerin
Sarah, ihre jüngere Schwester
Amelie, ihre Freundin
Janis, Amelies Freund
Jürgen Casper Daimler, sein Vater
Ulla, ihre Mutter
Konstantin, ihr Vater
Bruno und Julian, seine Freunde
Marlene, seine Grundschulbekanntschaft und spätere Freundin

Lesespaßfaktor:

Vieles ist leicht und flockig geschrieben, mit schönen Sätzen wie:

"Denn wenn man seiner Psyche oft schutzlos ausgeliefert schien, ließ sich die eigene Religiosität womöglich designen." oder
"Ich bin viel zu sehr in den Eigensinn hinein sozialisiert worden." 

"Eine Midlife Crisis fing vermutlich damit an, dass sich alles so anfühle, als wäre es schon mehrfach da gewesen, bei gleichzeitig sinkender Intensität." 

Manche Passagen plätschern dann aber auch so dahin, positiv gestimmt würde ich sagen, wie das so im Alltag einer Beziehung auch ist. Das Buch lässt sich zügig lesen, die Sätze sind relativ kurz und einfach verständlich in moderner Sprache formuliert ("an der Hand eines Girlfriends"; "keine Policies der Informationsvergabe vereinbart"). Ich merke aber auch deutlich, dass ich nicht zu der Generation der beiden Protagonisten gehöre, das Leben um die permanente Suche nach dem besonderen Kick und dem immer Neuen sowie einer ausgeprägten Ichbezogenheit war aber auch vielleicht noch nie meines, auch als ich um die 30 war. Der Kritik, es handele sich um eines der wichtigsten Bücher der deutschen Gegenwartsliteratur handelt, kann ich mich nicht anschließen, auch wenn ich nicht allzu viele Bücher davon kenne. 

Samstag, 24. April 2021

Johann Wolfgang Goethe - Wilhelm Meisters Lehrjahre

 

Autor:

Goethe kennt wohl jeder. Geboren 1749 in Frankfurt am Main, gestorben 1832 in seinem Haus in Weimar. Er ist der bedeutendste Dichter deutscher Sprache und war nebenbei auch noch Naturforscher. Seine Eltern stammen aus einer angesehenen bürgerlichen Familie, zusammen mit seiner Schwester erhielt er früh eine umfassende Bildung. Er studierte Jura und arbeitete anschließend auch als Anwalt. Literarisch erzielte Goethe 1773 und 1774 seine ersten Erfolge mit dem Drama 'Götz von Berlichingen'  sowie dem Briefroman 'Die Leiden des jungen Werther'. 1775 wurde er an den Hof von Weimar geladen und nahm dort administrative Aufgaben wahr, was seine Kreativität belastete. Er befreite sich daraus erst 1786 durch eine zweijährige Reise nach Italien. Ab 1791 leitete er in Weimar als Freund des Herzogs viele Jahre das Hoftheater. Sein Drama 'Faust' von 1808 gilt als das bedeutendste Werk der deutschen Literatur überhaupt. Die hier zu besprechenden acht Bücher 'Wilhelm Meisters Lehrjahre' sind die ersten deutschen Künstler- und Bildungsromane.

Buch:

Dieser Bildungsroman erschien 1796. Die ersten fünf der acht Bücher beziehen sich auf bereits vorher geschriebene Fragmente. Die Fortsetzung 'Wilhelm Meistern Wanderjahre' erschien in den 1820er. Es geht um das Recht auf freie Bildung. Das Werk gilt der Grundtyp des Entwicklungsromans an der Schwelle von Klassik zur Romantik.

Figuren:

Wilhelm, Kaufmannssohn
Mariane, Schauspielerin, seine Geliebte
Werner, sein Freund
Barbara, Dienerin und Vertraute von Mariane
Norberg, junger, reicher Kaufmann, Liebhaber von Mariane
Philine, wandernde Schauspielerin,
Laertes, ihr Begleiter
Herr und Frau Melina, Theaterleute
ein Graf und seine Gräfin, sie die Schwester von Natalie
ein Baron und seine Baronesse
Mignon, ein Zigeunerkind
Augustin, ein Harfner, Vater von Mignon und Bruder des Marchese
Jarno, Mitglied der Turmgesellschaft von Lothario
Friedrich, Liebhaber von Philine, Bruder von Lothario
Serlo, Theaterdirektor
Aurelie, seine Schwester
Lothar(io), Baron, ihr ehemaliger Liebhaber und Vater ihres Sohnes, Soldat, Neffe der Icherzählerin aus dem 6. Buch
Lydie, seine Freundin, später Verlobte von Jarno
Felix, ihr vermeintlicher Sohn
Elmire
Therese, Freundin von Lydie, gerne im Männersachen unterwegs 
Natalie, die Amazone, Schwester von Lothario und der Gräfin sowie Nichte der Icherzählerin und Freundin von Therese
Abbé, Mitglied der Turmgesellschaft Lotharios und früherer Lehrer der vier Geschwister
Marchese, Onkel von Mignon


Inhalt und Rezeption:

1. Buch

Mariane kehrt nach einer Theateraufführung nach Hause zurück, wo ihre ergebene Dienerin Barbara auf sie mit Geschenken des Geliebten Norberg wartet, der in zwei Wochen kommen will. Mariane aber erwartet ihren Geliebten Wilhelm, einen jungen Kaufmannssohn. Dessen Eltern sind mit seinem großen Interesse an Theater nicht einverstanden, worauf Wilhelm zu seiner Mutter sagt:
...aber um 's Himmel willen, ist denn alles unnütz, was uns nicht unmittelbar Geld in den Beutel bringt, was uns nicht den allernächsten Besitz verschafft?"

Mariane erzählt er eines Abends von dem Marionettenspiel aus seiner Kindheit, das seine Liebe zum Theater entfacht hat, langweilt sie aber damit. Wilhelm will selbst auf die Bühne. Sein Freund Werner ist eher auf materiellen Wohlstand aus und empfiehlt Wilhelm, auf seiner vom Vater gewünschten Reise, sich für den Handel zu erwärmen. Wilhelm will auch unbedingt weg, allerdings keinesfalls um sich dem Handel zu widmen, sondern um einer 'neuen, edlern Bahn zu folgen', ergo die von ihm verklärte Schauspielerei. Er geht zu Mariane und eröffnet ihr, er wolle sie alsbald nachholen. Außerdem vermutet er sie schwanger, was sie aber nicht bestätigt. Werner offenbart ihm den wahren Charakter Marianes, Wilhelm will das aber zunächst nicht wahr haben und schreibt ihr vor seiner Abreise einen glühenden Liebesbrief. Als er ihn Mariane geben will, ist diese aber so unruhig, dass er ihn ihr nicht übergibt. Er will abends zurückkehren, nimmt aber vorher ein Halstuch als Erinnerung mit. Abends sieht er einen Mann aus dem Haus von Mariane kommen und findet in ihrem Halstuch einen Zettel des fremden Liebhabers Norberg. Seine heile Welt bricht zusammen.

2. Buch

Genauso leidenschaftlich wie er geliebt hat trauert Wilhelm nun. Er flüchtet sich in Handelsaufgaben und vernichtet seine früheren literarischen Werke. Dann bricht er einige Jahre später doch zu seiner geschäftliche Reise auf und besucht verschiedene Schuldner seines Vaters. Während einer Übernachtung in einem kleinen Städtchen trifft auf eine Gauklertruppe und lernt die Schauspielerin Philine kennen, die an diesem Ort einige Zeit verbringt. Auch das Waisenmädchen Mignon, die zu der Gauklertruppe gehört und die seine Aufmerksamkeit erweckte (vermutlich ein Zigeunerkind), wird ihm vorgestellt. Als es einem Zwischenfall gibt, bei dem einer der Gaukler Mignon verprügelt, schreitet Wilhelm ein und kauft das Mädchen für 30 Taler. So etwas wäre heute natürlich unvorstellbar. Es wird zwar bisher nicht gesagt, wann diese Geschichte spielt, aber wenn es zu Lebzeiten Goethes sein soll, dann wäre das schon verwunderlich. 

In eben dieses Städtchen reisen weitere Schauspieler, die Wilhelm von früher kennt, wobei er dann auch wenig Nettes über Mariane erfährt. Diese sei vor drei Jahren schwanger gewesen, vermutlich mit Wilhelms Kind, hat deshalb ihre Anstellung verloren. Die Ausflüge und Gespräche mit den Schauspielern verlieren sich etwas ins Belanglose, es plätschert dahin. Eine Party artet etwas aus, Wilhelm darf den Schaden bezahlen und will eigentlich weiterreisen. Aber er lässt sich immer sehr schnell wieder von Philine bezirzen, sie und die anderen wollen von seinem Geld profitieren. So stimmt er zu, dass die Melinas die Ausstattung eines alten Theaters erwerben.

3. Buch

Ein Graf und seine Gräfin engagieren die Schauspieltruppe zur Unterhaltung für den erwarteten Besuch eines Fürsten. Voller Vorfreude auf exquisite Kost und Logis fährt man zu dem Schloss, um feststellen zu müssen, das man leider im unbewohnten und kalten alten Schloss werde nächtigen müssen und generell von oben herab behandelt wird. Dennoch bleibt die Truppe viele Tage dort und bereitet die Aufführung eines Stückes des Barons vor und die Mitglieder haben diverse Kontakte/Liebschaften zu den Adeligen. Allerlei Verwicklungen folgen. Wilhelm fühlt sich zur Gräfin hingezogen, nach einem innigen Kuss bittet die Gräfin ihn, schnell zugehen, wenn er sie liebe.

4. Buch

Der Graf musste mit seiner Entourage kriegsbedingt abreisen, so dass auch die Schauspieltruppe weiterreist. Bei den Überlegungen, wie es für sie nun weitergehen soll, beschließt man zunächst, sich selbst künftig 'demokratisch' zu organisieren. Während der Weiterreise wird die Gruppe von Dieben überfallen und ausgeraubt, Wilhelm wird angeschossen. Zur Hilfe kommt eine schöne Amazone, die Baronesse Natalie mit ihrem Onkel und einem Arzt im Gefolge. Seinen verärgerten Gruppenmitgliedern, die alles verloren haben, verspricht Wilhelm Hilfe. Nach seiner Genesung macht sich Wilhelm auf die Suche nach seiner Retterin, in der er viel Ähnlichkeit mit der Gräfin sieht, findet sie aber zunächst nicht. 

Er reist weiter und trifft den Theaterdirektor Serlo (dem er vor einiger Zeit die Melinas empfohlen hatte und von denen Serlo nichts hält) sowie dessen Schwester Aurelia. Auch Philine ist schon in diesem Ort und hat sich wie für sie typisch bei Serlo eingeschmeichelt und allerhand Intrigen im die Wege geleitet. Aurelia zieht Wilhelm ins Vertrauen über Ihr Leben, ihr Gefühle und ihr Verlassenwerden, auch wundert sie sich über Wilhelm, der bei der Analyse des 'Hamlet' tiefste Einsichten in das Wesen der Menschen offenbart, in seinem eigenen Leben aber sehr naiv sei. Und die Geschichte Serlo's, sein Weg zur Bühne wird skizziert.

5. Buch

Wilhelm erhält von Werner die Nachricht vom Tode seines Vaters. Er reflektiert traurig seine Situation, weiß nicht so richtig, was er nun tun soll und fühlt sich unreif, nämlich zu sehr den Meinungen einzelner Personen aus seinem Umfelde zu folgen statt selbst einen klaren inneren Kompass zu haben. Werner will nun gleich Wilhelms Schwester heiraten und das Haus des Vaters verkaufen, um davon ein Landgut zu kaufen, in das dann Wilhelm nach seiner Rückkehr einziehen soll und es bewirtschaften soll, was ja seinen Fähigkeiten entspräche, wie man dem (allerdings fingierten) Berichte Wilhelms an seinen Vater entnehmen könne. Wilhelm antwortet, dass es ihn unverändert auf die Bühne treibt, so will er den Edelmännern näher sein als den einfachen Bürgern, mit dem bürgerlichen Leben kann es nichts anfangen, er gesteht auch die Fälschung des Berichtes über seine Handelsaktivitäten. Wilhelm und seine ganze Laienschauspieltruppe schließt sich nun Serlo an.

Man will Hamlet aufführen. Hier wird es dann etwas langatmig, etwa in der Diskussion, wie viel man das Stück kürzen solle und in den Betrachtungen zur Rolle der Schauspieler im Verhältnis zu dem Drama. Endlich findet die Aufführung erfolgreich statt, danach gibt es eine zünftige Feier und nach reichlich Alkoholgenuss findet Wilhelm in seinem Bette eine schöne Unbekannte vor, Philine? Im Gasthaus der Gruppe entsteht ein Feuer, alle können sich retten, der Harfenist ist aus ungeklärter Ursache dem Wahnsinne nahe und hätte beinahe den kleinen Felix geopfert, er wird einem Landgeistlichen übergeben.

Philine hat eine Bekannte zu Gast, in der Wilhelm Marian zu erkennen glaubt. Er demütigt sich selbst, indem er dieser verzeihen will, dass er sie verlassen hat, aufgeklärt wird die Identität aber nicht. Statt dessen sind Philine und ihre Begleitung am nächsten Tag verschwunden. Die Stimmung in der Theatergruppe wird schlechter, Serlo und Herr Melina überlegen gar, wie sie Wilhelm loswerden können und künftig einen höheren Profit erzielen könnten. Aurelie erkrankt und stirbt kurz darauf. Doch noch auf dem Sterbebett liest ihr Wilhelm aus einem Text vor und nimmt den Auftrag entgegen, dem ehemaligen Geliebten Aurelies einen Brief persönlich auszuhändigen.

6. Buch - Bekenntnisse einer schönen Seele

Diese Erzählung ist ein Einschub während der Abwesenheit Wilhelms. Eine Ich-Erzählerin berichtet von ihrem Leben, sie war jung sehr krank, flüchtete sich in Bildung (seinerzeit ungewöhnlich für junge Frauen; "ein Frauenzimmer müsse sein Wissen heimlicher halten als der Kalvinist seinen Glauben im katholischen Lande") und lernt einige Jahre später einen jungen Mann namens Narziß kennen. Nach einigen Wirrungen bittet dieser um ihre Hand. Sie genießt die Zeit mit ihrem Bräutigam ("Ich war glücklich, wie man es in der Welt sein kann, das heißt auf kurze Zeit."), wendet sich aber gleichzeitig innerlich stärker der Religion zu und zweifelt an der Beziehung, die dann auch später beendet wird. Die böhmisch-christliche Glaubensgemeinschaft der Herrnhuter leitet sie dabei. Nun fokussiert sie sich verstärkt auf diesen Glauben, den sie tief in ihrem Inneren empfindet. Dennoch entwickelt sich eine Freundschaft zu einem Mann namens Philo, die aber schließlich nicht weiter ausgeführt wird. Ihr Leben geht weiter, die Schwester heiratet auf Initiative ihres geschätzten Onkels, der Vater verstirbt, dann auch ihre Schwester bei der Geburt des vierten Kindes. Sie, die körperlich oft Kranke, lebt noch immer, fokussiert auf ihre Religion und ihre Seele und in der Erkenntnis, das Innere und die Gesinnungen wichtiger sind als die Äußerlichkeiten.

Interessant, diese Geschichte aus der Sicht einer Frau zu erzählen, die weibliche Sicht im Gegensatz zu der sonst männlichen Wilhelms. Schön herausgearbeitet wird der eigene Wille der Erzählerin, sie will über ihr Leben entscheiden und sich nicht einfach gegen ihren Willen in eine Ehe flüchten, von der sie am Ende nicht mehr überzeugt war. Das ist doch für die Zeit Goethes ein modernes Frauenbild. Die schöne Seele dient als Symbol des Ideals des Menschenbildes.

7. Buch

Wilhelm reist zu Lothar(io), um ihm die Nachricht der verstorbenen Freundin Aurelie zu übermitteln. Dieser nimmt den Brief zunächst kommentarlos zur Kenntnis, bevor er am nächsten Morgen in einem Duell verletzt wird. In dem Schloss Lotharios findet er auch Jarno wieder, den er noch aus der Theaterzeit in der Burg des Grafen kennt und der ihn seinerzeit auf Shakespeare gebracht hat. Um die Genesung Lotharios nicht zu gefährden, soll seine Geliebte Lydie das Schloss verlassen, Wilhelm wird in diese kleine Intrige eingebunden, in dem er sie auf einer kleinen Reise und der Suche nach ihrer Freundin Therese begleitet und allerhand Verzögerungen bewirkt. In Therese hofft er, seine Amazone wiederzufinden, weshalb er dem Spielchen zustimmte, sie ist es dann aber doch nicht. 

Dennoch gefällt sie ihm gut und sie erzählt ihm ihre Lebensgeschichte, ihre unglückliche Liebe zu Lothario, die Ehe kam nicht zustande, weil Lothario schon mit ihrer Mutter eine Beziehung hatte. Auf Initiative von Therese holt Wilhelm dann die Kinder Mignon und Felix ab, die bei der ehemaligen Dienerin von Mariane sind (warum eigentlich, das ist wohl nicht weiter wichtig). Dabei erfährt er dann, dass Mariane ihm doch treu war und die Avancen von Norberg seinerzeit zurückwies sowie, dass Felix sein Sohn sei und nicht der von Aurelie und Lothario, was er zunächst gar nicht glauben mag. Und er schwört dem Theater ab. Zum Ende diesen Buches wird es dann etwas mysteriös. Seine Freunde bitten ihn in einen bisher für ihn nicht zugänglichen Teil der Burg, wo er einen Lehrbrief erhält. Dies könnte man als Anspielung auf die Aufnahme in eine (Freimaurer)Loge interpretieren. "Der Geist, aus dem wir handeln, ist das Höchste.", so steht es darin und man hält Wilhelm nun für reif genug, diesen Geist zu finden. Seine Lehrjahre seien nun beendet.

8. Buch

Wilhelm sucht nach einer Frau fürs Leben und einen Mutterersatz für Felix und macht daher Therese schriftlich einen Antrag. Während er noch auf die Antwort wartet wird er aber zu Natalie gerufen, da es Mignon schlecht geht, er fährt mit gemischten Gefühlen dorthin, trifft dann aber dort auf seine Amazone, als die sich Natalie entpuppt. Mignon geht es schlecht, weil ihr Herz schwer ist, begründet in ihrer Kindheit, in der sie aus Italien entführt wurde sowie aus Eifersucht auf die schön Unbekannte, mit der Wilhelm nach der Aufführung des Hamlet geschlafen hatte, als auch Mignon sich heimlich zu ihm schleichen wollte. Über Natalie gibt Therese ihre Zustimmung zur vernunft-getriebenen Heirat. Dann kommt Jarno und verkündet, Therese sei doch nicht die Tochter ihrer vermeintlichen Mutter, so dass einer Beziehung zu Lothario nichts mehr im Wege stünde. Therese will zunächst aber doch Wilhelm heiraten und eilt zu ihm. Wilhelm ist aber eigentlich in Natalie verliebt. Dann stirbt Mignon, auf deren Bestattungsfeier der Marchese (Freund des Onkels von Lothario) sie plötzlich als seine Nichte erkennt, sie war die Tochter seines Bruders und seiner Schwester, Ergebnis einer unwissentlichen Inzucht. Die längere Geschichte dazu und das weitere Schicksal des Harfners lassen wir hier mal weg. Zum Ende wird dann aber alles gut, es soll eine Doppelhochzeit geben, Lothario heiratet Therese und Wilhelm soll Natalie heiraten.


Lesespaßfaktor:

Auch über 200 Jahre nach dem Erscheinen besticht dieser Roman durch seine wunderschöne Sprache. Goethe flechtet viele Lebensweisheiten ein, die er seine verschiedensten Figuren sagen lässt. Vordergründig geht es zunächst um die Liebe Wilhelms zum Theater, schon bald wird aber der Widerspruch zwischen der Naivität des liebenden und sich für das Theater begeisternden Wilhelm und der harten Realität, im Handel, aber auch im Theater deutlich. Wahre Erkenntnis gewinnt man nur, indem man seinen Geist schult und dann das Richtige tut. Es gibt viele Bezüge zu Shakespeares Drama Hamlet, da hilft es für das Verständnis dieses Buches, wenn man auch den Hamlet gelesen hat.

Die großen Gefühle kommen immer sehr schnell. Kaum hat man jemanden kennengelernt, entflammt schon die große Liebe. Es menschelt aber auch zwischen den zahlreichen Figuren. Treue, Fremdgehen, Hintergehen, Verläumdungen, alles kommt in der Goethe'schen Romanwelt vor, zumal fast alle Figuren irgendwie miteinander zu tun haben, was aber sehr oft erst nach und nach enthüllt wird.

Goethe ist zwar bei seinen Figuren, aber dennoch als Erzähler immer irgendwie distanziert oder besser über ihnen stehend, er ist der Allwissende. Wilhelm ist der Suchende und die sich entwickelnde Persönlichkeit, Lothario wird als der perfekte Mensch dargestellt, alle lieben ihn. Und so hat jede Figur eine klar definierte Persönlichkeit und Rolle, aber sie wirken dadurch auch holzschnittartig. Daher wirkt der Roman auch eher wie sehr langes ein Theaterstück, die Figuren treten auf und wieder ab. Interessant ist dabei, dass Goethe doch den Frauen eine durchaus gleichberechtigte Rolle zuweist und vielen weiblichen Figuren Lebensweisheit und Bildung zubilligt.

Ich finde, dass das Buch dem Leser auch heute noch eine Menge mitgibt, auch wenn der Roman eher nicht die präferierte Erzählform Goethes war oder es zumindest in dieser Form vorher kaum Referenzpunkte gab, so dass dieses Genre nicht so klare Strukturen hatte wie vorher das klassische Versepos. Ich werde aber sicherlich auch die Fortsetzung Wilhelm Meisters Wanderjahre lesen.

Freitag, 9. April 2021

Albert Camus - Die Pest

 

Autor:

Camus wurde 1913 im heutigen Algerien geboren, er ist einer der wichtigsten französischen Autoren des 20. Jahrhunderts und war auch Philosoph und Religionskritiker. Sein Vater verstarb an den Folgen einer Kriegsverwundung 1914, er wuchs in sehr ärmlichen Verhältnissen in Algier auf. Nach dem ersten Teil seines Abiturs und einer Tuberkuloseerkrankung lebte er eine Zeit bei einer Tante in Algier und bereitete sich dort auf den zweiten Teil vor. Das Studium der Philosophie begann er dann ebenfalls in Algier. Dort politisierte er sich und wurde Mitglied der Kommunistischen Partei, die 1935 auch die Wahlen gewann. Für ein linkes Theater schrieb er dann sein erstes Stück. Er heiratete eine Kommilitonin, die Ehe war schwierig, seine Frau wurde drogenabhängig, woraufhin er sie schließlich verließ. Im Krieg lebte er als Lektor in Paris und schloss sich dem Widerstand gegen die deutsche Besatzung an. In dieser Zeit schrieb er das hier zu besprechende Buch. 1957 erhielt er den Nobelpreis für Literatur. Camus starb relativ jung 1960 bei einem Autounfall.

Montag, 5. April 2021

James Joyce - Ulysses

 

Autor: 

Joyce wurde 1882 in Dublin geboren und war einer der wichtigsten Schriftsteller der Moderne. Ab 1898 studierte er moderne Sprachen und im Jahr 1900 verfasste er seine ersten Texte. Am 16. Juni 1904 traf er seine spätere Lebensgefährtin zum ersten Mal. Für 10 Jahre lebten beide in Triest und er unterrichtete dort Englisch. Dort traf er  auch den Schriftsteller Italo Svevo, mit dem ihm eine lange Freundschaft verband und der als eine Inspiration für die Hauptfigur im Ulysses gilt. Einige Jahre später traf der in Zürich auf die Verlegerin Harriet Weaver, die ihn jahrelang auch finanzielle unterstützte. Er starb 1941 in Zürich an den Folgen eines Darmgeschwürs, wohl auch Ausdruck eines lebenslangen Alkoholmissbrauchs.