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Freitag, 2. Mai 2025

Thomas Bernhard - Holzfällen. Eine Erregung

 

Autor:

Thomas Bernhard war ein bedeutender österreichischer Schriftsteller des 20. Jahrhunderts (1931 - 1989). Einen Teil seiner Kindheit verbrachte er in nationalsozialistischen Erziehungsheimen, was ihn zu zwei Selbstmordversuchen trieb. Inspiriert von seinem Großvater, der ebenfalls Schriftsteller war, kan Bernhard nach journalistischer Tätigkeit ebenfalls zur Schriftstellerei. Ende der 50er Jahre veröffentlichte er erste Gedichte, später folgten Romane und zahlreiche Theaterstücke. Monologe eines Ich-Erzählers sind ein Charakteristikum seines Werkes. Zahlreiche Skandale begleiten seine Veröffentlichungen, ihm wurde etwa Nestbeschmutzung vorgeworfen, da er seine österreichische Heimat oft kritisierte. 

Buch:

Dieses Werk wurde 1984 veröffentlicht und löste ebenfalls einen Skandal aus, da ein früherer Freund sich in einer der Romanfiguren erkannte und Klage gegen den Autor erhob. Das förderte die Verkaufszahlen und trug dazu bei, diesen Roman als eines der wichtigsten Werke des Autors werden zu lassen. 

Hauptfiguren:
  • Ich-Erzähler, Schauspieler und Schriftsteller
  • Eheleute Auersberger, Gastgeber des künstlerischen Abendessens
  • Joana, alias Elfriede Slukal, eine gemeinsame Freundin, die sich erhängt hat
  • Jeannie Billroth, Schriftstellerin
  • John, Joanas letzter Freund
Inhalt und Rezeption:

Vorweg ist zu bemerken, dass es nicht besonders viel Inhalt gibt. Der 52-jährige Ich-Erzähler ist zu einer künstlerischen Abendgesellschaft bei den Eheleuten Auersberger eingeladen, nachdem er sie nach 20 Jahren (er war in London gewesen) zufällig wieder getroffen hat. Er sitzt in einem Sessel und beobachtet gelangweilt die Gesellschaft und fragt sich, warum er eigentlich hier ist., zumal er die Auersberger für seine damaligen psychischen Zusammenbruch verantwortlich macht. Alle warten auf die Ankunft eines Wiener Burgtheater-Schauspielers.

Der Erzähler rekapituliert die Vergangenheit, denkt vor allem über den kürzlichen Selbstmord seiner damaligen Bekannten Joana und über ihre morgendliche Beerdigung nach. Und genauso über ihre Begegnungen in der Vergangenheit, die einen wichtigen Einfluss auf seine eigene künstlerische Entwicklung gehabt hatte, genauso wie die Auersberger sein Leben vor 20 Jahren beeinflusst haben. Auch Jeannie kommt bei ihm nicht gut davon.

Endlich kommt nach der Hälfte des Romans der Burgschauspieler, der selbstverliebt seine großen Leistungen rühmt und über das Theater im allgemeinen parliert.

Der Erzähler ist ein klassischer Misanthrop, er mag eigentlich niemanden, schon gar nicht in der Abendgesellschaft.
„Die meisten Menschen interessieren einen wirklich nicht, habe ich die  ganze Zeit gedacht, fast alle, denen wir begegnen, interessieren uns nicht, sie haben uns nichts zu bieten als ihre Massenarmseligkeit und ihre Massendummheit und langweilen uns durch  immer und überall, und wir haben naturgemäß für sie nicht das geringste übrig.“
Der Abend schreitet voran in zunehmender Betrunkenheit, zum Schluss gibt es noch eine heftige Auseinandersetzung zwischen dem Burgschauspieler und Jennie, was dem Erzähler eine temporäre Sympathie für ihn bringt. Als dann alle gehen wird der Erzähler verlogen, als er den Abend lobt, den er gehasst hat. Und genauso wie er Wien, die Wiener und den dortigen Kulturbetrieb hasst, so liebt er ihn eigentlich und so hat der Roman dann doch ein kleines, versöhnliches Ende.

Lesespaßfaktor:

Diese 'Erregung' hat nichts mit dem Titel 'Holzfällen' zu tun, sondern ist eine Abrechnung mit dem Wiener Kulturbetrieb der 1980er Jahre. Die Gedanken des Erzählers rotieren, wiederholen sich ständig, allein das Wort Ohrensessel, in dem der Erzähler sitzt und sinniert, kommt in der ersten Hälfte des Werkes gefühlt dreimal auf jeder Seite vor.

Das Werk ist ein Erinnerungsstrom ohne Absatz und ohne einzelne Kapitel im Text und mit oft sehr langen Sätzen mit vielen Wiederholungen schon innerhalb eines Satzes. Das obige Zitat zeigt zweierlei, einmal die Abneigung des Erzählers/Autors gegen die Menschen und zum anderen stilistisch die erwähnten andauernden Wiederholungen seiner Gedanken.

Bestimmt enthält das Werk auch autobiografische Elemente (Musikstudium, Schauspielerei, Schriftstellerei) des Autoren. Aber irgendwie ist es dann doch spannend zu lesen, die Gedanken um Freundschaft, Liebe, Hass, um das Altern, um Einsamkeit und Depressionen. Ich kann nachvollziehen, warum der Kritiker Marcel Reich-Ranicki das Werk auf seinen Lesekanon gesetzt hat, auch wenn es vermutlich für Leser, die selbst aus dem Kulturbetrieb kommen, noch interessanter ist als für den 'normalen' Leser.

♥♡





Sonntag, 20. April 2025

Fjodor M. Dostojewskij - Die Brüder Karamasow

 

Autor:

Dostojewskij, einer der bedeutendsten russischen Schriftsteller lebte von 1821 bis 1881, er wurde in St. Petersburg geboren, wo er auch starb. Insgesamt verfasste er neun Romane, dazu Novellen und Erzählungen sowie nicht fiktionale Texte. Schwerpunkte der Romane sind die Zustände im russischen Kaiserreich am Beginn der Moderne, seine Figuren sind vor allem psychologisch gezeichnet: Die Romande sind als so genannte Feuilletonromane konzipiert, das bedeutet als sie erschienen zunächst als Fortsetzungsromane in Zeitschriften und sind daher leichter verständlich. Aufgrund seiner frühsozialistischen Haltung wurde er verhaftet, zunächst zum Tode verurteilt und nach der Begnadigung für 10 Jahre nach Sibirien verbannt. Nach seiner Rückkehr 1859 schrieb er seine großen Romane wie etwa 'Schuld und Sühne'. Dostojewskij litt unter Epilepsie und an Spielsucht, letzteres hat er in dem Roman 'Der Spieler' verarbeitet. 

Buch:

Ich habe vor Jahrzehnten 'Schuld und Sühne' gelesen, für mich einer der besten Romane aller Zeiten.  Dem letzten der großen Romane möchte ich mich nur hiermit widmen, das Buch steht auch schon Jahren in meinem Bücherschrank. Sigmund Freud hielt diesen 1880 erschienen Roman, der Fragen nach dem Sinn des Lebens und der Existenz Gottes behandelt, für den besten jemals geschriebenen Roman.

Hauptfiguren:
  • Alexej 'Aljoscha' Fjodorowitsch Karamasow
  • Fjodor Pawlowitsch Karamasow, sein Vater, Gutsbesitzer, 55 Jahre alt
  • Dmitrij Fjodorowitsch 'Mitja', sein älterer Halbbruder
  • Iwan Fjodorowitsch, sein Bruder
  • Katerina ('Katja') Iwanowa Werchowzewa, dessen Braut und adelige Obersttochter
  • Grigorij Wassiljewitsch Kutusow, Diener von Fjodor
  • Pawel Fjodorowitsch Smerdjakow, sein Sohn
  • Starez Sosima
  • Agrafena Alexandrowa Swetlowa ('Gruschenka'), 
  • Katerina Osipowna Chochlakowa, Gutsbesitzerin
  • Lise, ihre gelähmte Tochter
  • Michail Osipowitsch Rakitin, ein Diener von Frau Chochlakowa und Bekannter Gruschenkas
  • Kusma Kusmitsch Samsonow, reicher Gönner Gruschenkas
  • Ippolit Kirillowitsch, Staatsanwalt
  • Fetjukowitsch, Verteidiger Mitjas
Inhalt und Rezeption:

Erstes Buch - Die Geschichte einer Familie

Die Geschichte beginnt 13 Jahre vor der eigentlichen Erzählung mit Fjodor, einem Kleingutsbesitzer mit überaus schlechtem Charakter, der seiner ersten Frau die Mitgift abgeluchst hat und damit durchgebrannt ist. Der gemeinsame Sohn Mitja wird zunächst vorwiegend durch den Diener Grigorij großgezogen, dann erscheint ein Großonkel aus der Familie Miusow und übernimmt das Kind, bevor es wiederum zu einer seiner Tanten weitergegeben wurde. Fjodor heiratet erneut, diesmal die junge Waise Sofja, die bei einer Generalin aufgewachsen war und mit der er zwei weitere Kinder, Aljoscha und Iwan zeugte. Sie starb aber nur wenige Jahre später und ihre beiden Kinder wurden von der despotischen Generalin erzogen, die aber wiederum auch kurz danach verschied, so dass die beiden Kinder zeitweise vom überaus humanen Haupterben der Generalin erzogen wurden. Iwan konnte später in Moskau studieren, beide Brüder waren sich aber des nichtsnutzigen Vaters bewusst. 

Eines Tages besucht Iwan seinen ihm unbekannten Vater und zur Überraschung aller verstand er sich mit dem schwierigen Menschen ganz gut. In der kleinen Stadt lebte der allseits beliebte Aljoscha zu diesem Zeitpunkt schon seit einem Jahr als Novize in einem Kloster bei Starez (=Ältester in einem orthodoxen Kloster) Sosima. Hier kommt dann ein schöner Gedanke zum Glauben:
Nicht Wunder bewegen den Realisten zum Glauben. Der wahre Realist wird, wenn er nicht gläubig ist, stets die Kraft und die Fähigkeit in sich finden, auch an ein Wunder nicht zu glauben; wenn aber das Wunder ihm als unumstößliche Tatsache begegnet, so wird er eher seinen Sinnen misstrauen als die Tatsache zugeben. ... Beim Realisten kommt nicht der Glaube aus dem Wunder, sondern das Wunder aus dem Glauben. 
Zweites Buch - Eine unangebrachte Zusammenkunft

Fjodor und Iwan besuchen den Starez und Aljoscha im Kloster. Warum sie dies tun wird nicht deutlich. Der Starez empfängt allerlei hilfsbedürftige Menschen, darunter eine Gutsbesitzerin mit ihrer Tochter Lise, die im Rollstuhl sitzt und die er bisher schon von Fieberanfällen befreit haben soll. Während alle noch auf Dmitrij warten plappert Fjodor gotteslästerliches Zeug und man spricht etwas langatmig über die Rolle der Kirche und die des Staates, insbesondere in Bezug auf die Gerichtsbarkeit. Sobald dieser dann aber da ist beginnen vor den Ohren des Starez die verletzenden gegenseitigen Vorwürfe, es dreht sich um finanzielle Ansprüche zwischen ihm und seinem Vater sowie beider Zuneigung zum Freudenmädchen Gruschenka. Fjodor beleidigt später noch den Abt und andere Anwesende, bevor er sich endlich mit Iwan auf den Heimweg begibt.

Drittes Buch - Die Wolllüstlinge

Es wird von der unehelichen Geburt Pawels nach einer Vergewaltigung berichtet, bei der seine Mutter verstarb, der Vater des Kindes soll Fjodor sein. Aljoscha unterhält sich lange mit seinem ältesten Bruder und erfährt vom ihm über den Ursprung seiner Beziehung zu und Verlobung mit Katja, in die aber auch sein anderer Bruder Iwan verliebt ist. Dmitrij sieht sich als Nichtsnutz und bittet ihn, in seinem Namen die Verlobung mit Katja zu lösen und ihr von ihm unterschlagenes Geld zurückzugeben, da er lieber Gruschenka heiraten will. Allerdings soll Aljoscha das benötigte Geld ausgerechnet bei ihrem Vater holen, der ebenfalls in Gruschenka verliebt ist. Dort trifft er auf Iwan und die beiden Diener, die sich über Glaubensfragen echauffieren. Dmitrij streitet mit seinem Vater wegen Gruschenka, die Aljoscha dann allerdings bei Katerina trifft, die sich auch von ihr hat einwickeln lassen. Dort erhält er auch selbst einen Brief von Lise (s.o.), die ihm ihre Liebe gesteht. 

Viertes Buch - Überspanntheit

Aljoscha nimmt allerlei Weisheiten seines im Sterben liegenden Starez entgegen, bevor er wieder zu seinem Vater eilt, der wiederum seine Liederlichkeit, seinen Geiz und seine Unglauben offenbart sowie über seine beiden Brüder herzieht. Dann geht er weiter zu Frau Chochlakowa, wo ihn Tochter Lise bittet, ihr ihren Brief an ihn zurückzugeben, aber Aljoscha hat alles geglaubt und sagt ihr, dass er sie in der Tat zu heiraten gedenke, trotz ihrer Behinderung (sie sitzt im Rollstuhl). Im Salon des Hauses sind auch sein Bruder Iwan und Katerina versammelt, es geht wieder darum, welchen der beiden Brüder sie nun liebt oder auch nicht, alles wird hier etwas sehr mit nicht so nachvollziehbarer Bedeutung (=Überspanntheit) aufgebauscht. Ein kleiner Junge beißt Aljoscha in den Finger, später erfährt man, warum, nämlich weil der Junge seinen Bruder Dmitrij dafür verantwortlich macht, seinen eignen Vater beleidigt zu haben, wofür wiederum Katerina Aljoscha Geld gibt, damit er einem Snegirjow gibt als Wiedergutmachung, der es aber ablehnt, da er sich in seiner Ehre verletzt sieht. Sic!

Fünftes Buch - Pro und Contra

Er liebt, sie liebt ihn, sie liebt ihn nicht, irgendwie sind Aljoscha und Lise dann verlobt. Mit seinem Bruder Iwan spricht er erstmals richtig über ihre Beziehung und das Leben im allgemeinen, über das Gute und das Böse im besonderen. „Soll man das Leben mehr lieben als den Sinn des Lebens?“ Dies ist eine schöne Passage in dem Buch, die auch das Poem ‚Der Großinquisitor‘ enthält. 

Sechstes Buch - Ein russischer Mönch

Aljoscha kehrt zum Starez zurück, der am letzten Abend seines Lebens einer kleinen Zuhörerschaft etwas aus seinem Leben erzählt, vor allem, wie er als junger Kadett die Religion für sich entdeckt hat und ins Kloster ging. Auch hier wird wieder deutlich, dass Dostojewskij im Alter eher theologische Themen umtreibt und er seine Erzählkraft doch etwas verloren hat.

Siebentes Buch - Aljoscha

Alle erwarten, dass vom verstorbenen Starez nun Wunder ausgehen, stattdessen geht von seinem toten Körper ein besonders übler Leichengeruch aus, so dass die meisten Mönche das Starzentum in Frage stellen. Aljoscha verlässt das Kloster mit Rakitin, der sich freut, ihn vermeintlich in die Sünden einzuführen, als er mit ihm zu Gruschenka eilt. Statt dessen aber tauschen sich die beiden über ihr Leben aus. Gruschenka wartet auf einen früheren Liebhaber und beauftragt Aljoscha, seinem Bruder Mitja mitzuteilen, sie habe ihn nie wirklich geliebt.  

Achtes Buch - Mitja

Dieser wiederum ist mit seinen Geldsorgen zu einem alten Gönner Gruschenkas gegangen, um von ihm Geld zu bekommen im Tausch gegen höhere Forderungen gegen seinen Vater aus einer Erbsache. Der will davon nichts wissen und schickt ihn mit böser Absicht zu Ljagawyi, der angeblich mit seinem Vater über den Kauf eines Waldstücks verhandelt und vielleicht Interesse an Mitjas Forderung gegen seinen Vater haben könnte. Nachdem er aber feststellt, in die Irre geleitet worden zu sein, kehrt er wutentbrannt zurück und sucht seine Geliebte bei seinem Vater. Dort im Garten auflauernd, kommt es zu einem Unfall, als der alte Diener seines Vaters herauskommt und er ihn auf seiner Flucht aus dem Garten versehentlich und vermeintlich tödlich verletzt. Völlig aufgedreht folgt er Gruschenka in einen Nachbarort und feiert eine Orgie mit ihr und ihrem ehemaligen Liebhaber, es wird dabei viel Sinnloses palavert, am Ende der Nacht wird Mitja wegen  vorsätzlichen Mordes an seinem Vater verhaftet.

Neuntes Buch - Die Voruntersuchung

Der Roman verwandelt sich nun in eine Kriminalgeschichte. Nun erfährt der Leser schrittweise, was wirklich passiert ist. Das vermeintliche Opfer Kutosow war nur schwer verletzt, tatsächlich soll Mitja seinen Vater mit einem Stößel erschlagen, den er aus dem Haushalt von Frau Chochlakowa mitgenommen hatte. Das bestreitet er jedoch vehement, im Gegenteil ist er erleichtert zu hören, dass der Diener seines Vaters noch am Leben ist, denn er dachte, eben diesen erschlagen zu haben. Nur dass der Staatsanwalt und der Untersuchungsrichter seiner Darstellung keinen Gauben schenken. In extensio wird auch über die Herkunft des Geldes gesprochen, dass Mitja verprasst hatte. Schließlich wird er inhaftiert.

Zehntes Buch - Die Knaben

Aljoscha trifft sich mit ein paar Jungen aus seinem Dorf, nicht weiter erwähnenswert für den Fortgang des Romans.

Elftes Buch - Der Bruder Iwan Fjodorowitsch

Um den es zunächst gar nicht geht. Stattdessen spricht Aljoscha vor dem Prozess gegen seinen Halbbruder mit den alten Protagonisten im Dorf, er glaubt nicht an die Schuld Dmitrijs, sondern beschuldigt Smerdjakow. Diese Gespräche wabern um alles mögliche Belanglose, so wie etwa die junge Lise plötzlich einen ganz bösen Charakter bekommt. Dann wird doch aus der Sicht von Iwan weiter erzählt, der mehrere Gespräche mit Smerdjakow führt und beginnt, ihn für den Mörder deines Vaters zu halten. Dieser wiederum konfrontiert ihn mit seinen eigenen angeblichen Wunsch, sein Vater möge sterben. In einem dritten und letzten Gespräch gibt Smerdjakow dann den Mord sogar zu und übergibt das entwendete Geld an Iwan, sagt aber auch, er werde den Mord niemals vor Gericht zugeben und überhaupt hätte Iwan ihn ja angestiftet. Hier wird der Roman wieder zur Kriminalgeschichte.

Zwölftes Buch - Ein Justizirrtum

Nun wird der Prozess gegen Mitja beschrieben, das meiste hat der Leser schon vorher erfahren, was hier nur wiederholt wird. Überraschenderweise aber legt plötzlich Iwan das immer gesuchte Geld, dessentwegen angeblich der Mord begangen wurde, im Prozess auf den Tisch. Und er sagt aus, dass Smerdjakow den Mord auf seinen Auftrag hin begangen habe, wird aber ob seines seltsamen Gehabes als nervenkrank abgetan. Katja sagt dann aus, er habe dies nur gesagt, um seinen Bruder zu retten. Der Staatsanwalt hält ein (über)langes Plädoyer, moralisierend, psychologisch und wertend, weniger juristisch, an dessen Ende hält er ihn jedenfalls für schuldig. Der Verteidiger entkräftet die Indizienbeweise einzeln, insbesondere legt er dar, dass das Motiv des Raubes nicht greift, denn es fehle der Beweis, dass es das Geld überhaupt gab. Dmitrij selbst beteuert zum Abschluss, er sein zwar ein lasterhafter Mensch, seinen Vater habe er aber nicht ermordet. Aber die Geschworenen sprechen ihn des vorsätzlichen Raubmordes schuldig.

Epilog

Mitja wurde zu 20 Jahren Straflager in Sibirien verurteilt. Vor seinem Abtransport sinniert er noch auf der Krankenstation des Gefängnisses über seine Flucht mit Gruschenka nach Amerika. Ohne Ergebnis. Und dann kommt zum Schluss noch einmal die seltsame Geschichte mit den Knaben, Anlass ist die Beerdigung eines der Jungen. Warum? das erschließt sich mir nicht. Ende!



Lesespaßfaktor:

Ein sehr ausufernder Roman! Über 1.000 Seiten eng bedrucktes Papier, der Leser braucht sehr viel Geduld. Der Erzähler ist eine unbekannte Person aus dem Dorf, in dem die drei Brüder Karamasow geboren wurden. Die Geschichte verästelt sich bis in die unbedeutendsten Nebenpersonen (z.B. die Diener Fjodors). Einzelne Charaktere sind ziemlich überspitzt dargestellt (Gruschenka, Dmitrij). Es wird auch sehr viel, ja zu viel geredet.

Eingebettet in die Geschichte werden immer wieder religiöse Aspekte (Aljoschas Leben im Kloster, das Starzentum). Und das Leben dreht sich um Geld, um Neid und Eifersucht.

Erst als der Roman zur Kriminalgeschichte wird, wird es etwas flüssiger und spannender zu lesen, auch wenn dann zum Ende hin im Prozess unzählige der dem Leser bekannten Fakten wieder und wieder beleuchtet werden. Im ersten Teil des Romans steht Aljoscha im Mittelpunkt, der im zweiten Teil kaum und zum Schluss hin überhaupt keine Rolle mehr spielt.

Dieser Roman kommt für mich qualitativ nicht an frühere Werke heran, wie besonders 'Schuld und Sühne'. Viele  Charaktere sind doch ziemlich überspannt, etwa Lise und ihre Mutter. Zwischen dem Wechsel zwischen bedingungsloser Liebe und völliger Ablehnung einer Person sind manchmal nur kleine Begebenheiten (Mitja und Katja). Das Buch ist viel zu lang, es gibt zu viele Abschweifungen, wie etwa die seltsamen Begebenheiten mit den Jungen. Es gibt oft wirre Unterhaltungen, wie im Fieberwahn.

In der Rede des Staatsanwalts wird Dostojewskijs Sicht auf die Brüder Karamasow überdeutlich: "..., Karamasowsche Naturen - ... -, die fähig sind, alle möglichen Gegensätze in sich zu vereinen und gleichzeitig beide Abgründe zu schauen: den Abgrund über uns, den Abgrund der niedrigsten und schändlichsten Verkommenheit."

♡♡




Dienstag, 4. Februar 2025

Jean Rouaud - Hadrians Villa in unserem Garten

 

Autor:

Rouaud ist ein 1952 in Nantes geborener, französischer Schriftseller, der bereits mit seinem Erstlingswerk 'Die Felder der Ehre' den bedeutenden französischen Literaturpreis Prix Goncourt ausgezeichnet. Seine eigene Familiengeschichte ist der Hauptgegenstand seiner Werke. Fünf Romane sind bisher erschienen sowie zwei andere Werke. All zu bekannt ist Rouaud bisher in Deutschland nicht geworden

Buch:

Dieses Werk ist der zweite Roman des Autors, 1993 erschienen und ein Jahr später in deutscher Übersetzung vorgelegt worden. In Bezug auf die Figuren im Roman soll es an den Erstling anschließen, im Mittelpunkt steht der Vater des Erzählers. Ich habe das Buch von einem damals sehr geschätzten Arbeitskollegen zum Geburtstag geschenkt bekommen und -zumindest nach meiner Erinnerung- nie gelesen. 

Hauptfiguren:
  • Joseph 
  • Pierre, sein Vater
  • Marie, seine Schwester
  • Johannes, sein Sohn, der Erzähler
Inhalt und Rezeption:

Randon ist ein fiktiver kleiner Ort in der Bretagne. Der Erzähler berichtet vom Leben seines Vaters Joseph, ein kleiner Handelsvertreter, der Materialien für den Schulunterricht vertrieb und nur 41 Jahre alt wurde. Entsprechend ist er viel unterwegs, berichtet wird etwa, wie er seine Routen mit Hilfe großer Landkarten, Nadeln und einem Faden plant. Und immer wenn er mal wieder nach Hause kommt, dann wartet das ganze Dorf auf den Rückkehrer, der als Ratgeber und Handwerker in allen Lebenslagen geschätzt wird, etwa als der ganz Bestand eines Porzellanladens durch das falsche Abbrennen von Petroleumlampen bei einem Stromausfall völlig verrußt wird. 

Der Vater interessiert sich für alte Steine (Menhire), die er am Wegesrand aufsucht, ich als Leser dagegen etwas weniger! Mit den Steinen will er im Garten ein Haus errichten (a la 'Hadrians Villa). Einer davon ist zu schwer, so dass sein altes Auto unter Last zerbricht. Der Charakter des offenbar früh verstorbenen Vaters erschließt sich aus kleinen Begebenheiten in der Erinnerung des erzählenden Sohnes, viele davon während der Vater als Vertreter in Westfrankreich unterwegs ist. 

Nett ist Berichterstattung vom Familienbesuch in Paris, aber nur kurz danach verreckt nicht nur das Auto, sondern in einer langen Szene wird vom frühen Tod des Vaters im heimischen Hause berichtet. Aber auch danach springt die Erzählung zeitlich wieder zurück, es werden weitere Erlebnisse aus dem Leben des Vaters erzählt, etwa als der während des Krieges vor einer Einberufung weglief, aber so richtiges Interesse daran flammt bei mir nicht auf. 

Lesespaßfaktor:

Rouaud schwelgt in Erinnerungen an eine alte, inzwischen modernisierte Bretagne, noch vor der großen Flurbereinigung. Er lobpreist der dörfliche Familienleben. Eine wirkliche Handlung gibt es nicht. Die Sprache ist auch in der Übersetzung durchaus schön und ist manchmal gefüllt mit kulturgeschichtlichen Anspielungen und gelegentlicher Ironie
"Jeder Kilometer machte dem Auto mehr zu schaffen Im Ölverbrauch legte es denselben Heißhunger an den Tag wie ältere Damen bisweilen beim Verzehr von Süßigkeiten."
Aber die Lektüre ist schon auch etwas langatmig, obwohl das Werk nur 218 Seiten hat. Erinnern werde ich mich an das Buch wohl schon in Kürze nicht mehr. 

♡♡♡

Samstag, 21. Dezember 2024

Paul Auster - 4321

 

Autor:

Paul Auster wurde 1947 in Newark (USA) als Sohn jüdischer Immigranten geboren. Bereits in jungem Jahren hat er sich sehr für Literatur interessiert und früh entschieden, selbst Schriftsteller zu werden. Aber zunächst studierte er Anglistik und Literaturwissenschaft und jobbte einige Zeit in Paris. Mitte der 70er Jahre kehrte er in die USA zurück und wurde Dozent an der Columbia Universität. Literarisch schrieb er zu dieser Zeit eher Drehbücher und kurze Theaterstücke sowie unter Pseudonym einen Krimi. Mitte der 80er Jahre feierte er dann mit der New York Trilogie seinen Durchbruch als Romancier. Der letzte Roman erschien 2023. Auster gilt heute als einer der bedeutendsten amerikanischen Schriftsteller und wird auch in Deutschland sehr viel gelesen. Im April diesen Jahres verstarb er in New York.

Buch:

Das Buch ist ein ziemlicher Wälzer mit 1.258 Seiten in der deutschen Übersetzung. Erschienen ist das Werk als vorletzter Roman Austers 2017 und gilt als sein Opus magnum. Spannend finde ich die Idee, dass ein und dasselbe Leben des Helden Archie Ferguson viermal auf verschiedene Art erzählt wird. Stilistisch ist der Roman auch wieder der Postmoderne zuzurechnen.  

Hauptfiguren:
  • Archibald Isaac Ferguson, Enkel eines russischen Juden namens Isaac Reznikoff (= Ichabod Ferguson), der am 1.1.1900 in New York einwanderte und Fanny Grossmann heiratete und 3 Söhne hatte (Louis=Lew, Aaron=Arnold, Stanley=Sonny)
  • Stanley Ferguson, sein Vater
  • Sam Brownstein, sein Tennisfreund, Inhaber eines Sportgeschäftes
  • Peggy, dessen Ehefrau
  • Anna, dessen Tochter
  • Rose Adler, Archies Mutter, Tochter polnisch-russischer Eltern
  • Benyi Adler, ihr Vater
  • Nancy Solomon, geb. Fein, ihre Jugendfreundin
  • Emanuel Schneidermann, Fotograf, früherer Arbeitgeber von Rose
  • Daniel und Gilbert 'Gil', seine Söhne (letzterer wird der zweite Ehemann von Rose)
  • Vivian Schreiber, Gils alte Freundin in Paris
  • Max Solomon, ihr Ehemann, Schadensregulierer bei einer Versicherung
  • Stewie und Ralph, deren Kinder
  • Archie Adler, ihr Onkel, Pianist
  • Pearl, seine Frau
  • Betty und Charlotte, ihre Zwillingstöchter
  • Millie, seine Tante (Ehefrau von Lew)
  • Andrew und Alice, ihre Kinder
  • Joan, seine zweite Tante (Ehefrau von Arnold)
  • Jack, Francie und Ruth, ihre Kinder
  • Gary, späterer Ehemann von Tante Francie
  • Mildred, seine Tante mütterlicherseits, Privatdozentin für Anglistik
  • Donald Marx, ihr Ehemann, Schriftsteller
  • Paul Sandler, ihr erster Ehemann
  • Sydney Millbanks, Grundschullehrerin, ihre spätere Lebensgefährtin in San Francisco
  • Noah, Donalds Sohn aus erster Ehe
  • Henry Ross, 
  • Cassie Burton, Archies Kindermädchen und Haushälterin im elterlichen Haus
  • Bobby George, Freund von Archie (als er 12 Jahre alt war)
  • Anne-Marie Dumartin, belgische Mitschülerin Archies
  • Daniel Schneiderman, Sohn von Emanuel, Werbegraphiker
  • Liz, seine Ehefrau
  • Amy, ihre Tochter, Jim, ihr Sohn
  • Michael Timmermann, ein Schulfreund und späterer Intimfeind in der Schule
  • Gloria Dolan, eine Schulfreundin
  • Howard Small, sein Schulfreund in Mobbingzeiten
  • Margaret und Ella Schneidermann, Archies Stiefschwestern
  • Art "Artie" Federman, Zimmergenosse aus Archies Sommercamp
  • Celia, seine jüngere Schwester
  • Andy Cohen, ein Filmfreund von Archie
  • Ethel Blumenthal, Stanleys zweite Ehefrau
  • Allen und Stephanie, ihre beiden Kinder aus 1. Ehe
  • Dana Rosenbloom, südafrikanische Freundin von Archie auf der Highschool
  • Andrew Fleming, Geschichtsprofessor in Paris
  • Howard Small, Archies Kommilitone in Princeton
  • Evie Monroe, Archies Englisch Lehrerin sn der Highschool und spätere Freundin
  • Didi Bryant, Großvater Benjys Geliebte
  • Aubrey Hull, Archies Verleger in London
  • Albert Dufresne, ein schwuler Freund Archies in Paris
  • Luther Bond, Amys Freunde in Studienzeiten
  • Hallie Boyle, Praktikantin bi der Zeitung in Rochester
Inhalt und Rezeption:

Der Roman erzählt vier Versionen einer Lebensgeschichte und hat eine kurze gemeinsame Vorgeschichte.

1.0: Es beginnt mit der Zusammenfassung der Lebensgeschichte der Familien von Fergusons Mutter und Vater, beides klassische Einwandererfamilien jüdischen Ursprungs. Das Kennenlernen seiner Eltern steht dabei im Mittelpunkt, ein einseitiges Verliebtsein, denn seine Mutter trauerte einem im Krieg gebliebenen Exfreund hinterher und schließlich die Hochzeit, die erste Zeit der Ehe, erzählt aus der Sicht von Rose, die mit Stanleys Familie wenig anfangen konnte. Nach drei Fehlgeburten wurde sie 1947 erneut schwanger und da sie sich zu Hause ausruhte und dabei viel las, klappte es diesmal, 1947 wurde Archie geboren.

1.1, 1.2, 1.3: : Nun schwenken die Geschichten zu Archie und auf seine kindliche Sicht der Dinge, etwa dass er keine Geschwister hat und auch keine mehr bekommen wird, so dass er sich einen älteren Phantombruder namens John erfindet. Aus Sicht des 5- bis 7-jährigen entsteht die kleine Welt mit arbeitenden Eltern, dem ersten Baseball-Spiel, das er im Fernsehen schaut, alles in den 1950er Jahren im Osten der USA. Bereits der junge Archie denkt darüber nach, wieviel Zufall in seinem Leben steckt und wie einfach auch alles hätte anders kommen können. Sein älterer Vetter Andrew stirbt im Koreakrieg, dessen Eltern verfallen dem Alkohol und sein Onkel Lew der Spielsucht, aufgrund der Spielschulden soll das Geschäft von Stanley angezündet werden und die Versicherungssumme soll die Schulden bedienen, aber dabei stirbt Stanley, der den erwarteten Brandstifter vertreiben will, beim Warten aber einschläft. Archie zieht danach mit seiner Mutter nach New York.

1.4: Es kommt der erste logische Bruch bzw. zum ersten Mal ist klar erkennbar der Wechsel der einzelnen Geschichten. Archies Vater lebt doch noch, arbeitet zu viel und hat wenig Zeit für seinen Sohn. Der betrachtet die Freunde seines Vaters und die Onkel und vergleicht ihre Eigenschaften mit denen seines Vaters. Archie wird im Sommer zusammen mit seinem Freund Noah in ein Feriencamp geschickt, wo es ihm ausgesprochen gut gefällt und er feststellt, so wichtig sind Eltern doch nicht.

2.1: Archie ist inzwischen vorpubertär, sein Vater hat nach dem Brand alles verloren und betreibt nun ein wesentlich kleineres Geschäft in Montclair, New Jersey, hat aber etwas mehr Zeit für ihn, Archie mag die Sonntage mit der Familie. Er ist sportbegeistert, aber untalentiert in allen Künsten, er verehrt Kennedy und hilft im Wahlkampf und verfolgt die politische Entwicklung der Kennedy Präsidentschaft. Und er ist erstmals verliebt, in seine Mitschülerin Anne-Marie. Wunderbar, wie Auster die ersten Liebesgefühle und dann die erste große Enttäuschung beschreibt. Kurz danach lernt er aber schon Amy kennen, auf einer Barbecue Party seiner Eltern; sie ist die Enkelin von Roses altem Chef und ganz nach Archies Geschmack, extrovertiert und intelligent. 

2.2: Wieder geht es einige Jahre zurück, in Archies Schulzeit, wo er im alter von 11 Jahren eine erste Schulzeitung herausgibt, dafür aber nach anfänglicher Begeisterung seiner Mitschüler von diesen übel gemobbt wird und aufgrund eines politischen Artikels wegen linksradikaler/kommunistischer Gedanken beinahe von der Schule verwiesen wird, es glaubt ihm auch niemand, selber diesen Artikel verfasst zu haben. In dieser Schleife des Lebens von Archie Ferguson macht er seine ersten vorpubertären Erfahrungen mit Gloria. Sein Vater ist in einer neuen Variante der Geschichte nun Betreiber eines Tenniscenters. Diesmal stirbt Archie als bei einem schweren Gewitter in einem Feriencamp ein Ast auf ihn niederstürzt. Damit ist die zweite Geschichte schon beendet.

2.3: Zurück zu der Geschichte, in der sein Vater verstorben ist. Er ist wieder 8 Jahre alt. Mit seiner Mutter zieht er nach New York und besucht eine Privatschule. Aber er sabotiert den Unterricht und bringt absichtlich schlechte Leistungen, seine Art, zu fragen, ob Gott noch bei ihm ist, nach den Tod seines Vaters. Hier beginnt das Buch erstmals so richtig, sich auf abstraktere Themen zu fokussieren, wie den Glauben an Gott. Irgendwann wechselt er die Schule, er hat erkannt, dass Glaube an Gott nichts für ihn ist und seine schulischen Leistungen werden wieder besser. Rose wird hingegen eine erfolgreiche Fotografin und heiratet ein zweites Mal, den Sohn ihres ehemaligen Chefs, der zwei Töchter mit in seine zweite Ehe einbringt. Archie erfreut sich an Geschichten, die sein neuer Stiefvater erzählt und wird von ihm, der Musikkritiker ist, an die klassische Musik herangeführt, enttäuscht ist er andererseits, der er kein Faible für Sport hat. Seine neuen Stiefschwester sowie deren Großvater mag Archie nicht, wohl aber seine neue Stiefcousine Amy und deren Bruder Jim, mit dem er die Leidenschaft zum Basketball teilt. 

2.4: Ferguson ist 13 und mag das spießige Vorstadtleben in Wohlstand so gar nicht und will am liebsten in ein Internat, was aber sein Vater ablehnt. Während seines jährlichen Sommercamps stirbt sein neuer bester Freund Artie an einem Hirnaneurysma, den Tod verarbeitet er in einer Kurzgeschichte namens 'Sohlenverwandte' (schön und abstrus!). Hierbei lernt er, mit unterschiedlicher Kritik umzugehen und ist sauer, dass sein Vater gar keinen Kommentar zu dem Werk abgibt.

3.1:1964: Archie ist inzwischen mit Amy zusammen und fährt mit ihr auf Einladung seiner Tante Francie mit deren Familie zum Skifahren nach Vermont, auf Gelegenheiten auf Intimität hoffend, die ihnen daheim nicht vergönnt war. Aber seine Cousine reagiert dann äußerst abweisend, als die beiden jungen Leute beim Liebesspiel reichlich Lärm machten und während einer gemeinsamen Autofahrt liest sie Archie die Leviten und vor lauter Wut wird sie unaufmerksam und verursacht einen schweren Unfall,, bei dem Archie zwei Finger verliert. Unter der Verstümmelung leidet Archie schwer, er kann kein Baseball mehr spielen und fühlt sich minderwertig, aber Amy hält zu ihm und richtet ihn wieder auf. 

3.3: Zurück ins Jahr 1961, Amy hat die kurz Romanze mit Archie beendet, er ist verletzt und flüchtet sich in sein Basketballspiel und allerlei neuer Experimente (Alkohol, Prügeleien, Kinobesuche), lernt einen neuen Freund kennen, der sich aber als homosexuell und in ihn verliebt entpuppt, was nicht auf Gegenseitigkeit beruht.

3.4: Hier geht es um die Freundschaft des 15-jährigen Archie zu Noah und zur Stiefcousine Amy, ihre gemeinsamen kulturellen Aktivitäten in New York. Und es geht um das Sich-Finden als bald Erwachsener, er lehnt seinen Vater ab, bleibt hart in seiner Entscheidung, nie mehr Baseball zu spielen nach dem Tod von Artie, auch wenn es ihn immer noch interessiert. Er hadert ferner, keine Freundin zu haben. Und es gibt Probleme in der Familie, seine Mutter hat eine Affäre mit Amys Vater (was Archie aber erst 7 Jahre später erfährt), dessen Frau an Bauspeicheldrüsenkrebs erkrankt ist. Und seine Mutter versucht, ihn seinem Vater näher zu bringen, indem sie ihm zeigt, dass er aus lauter Stolz seinen literarischen Erstling ('Sohlenverwandet') hat drucken lassen, ihm dies aber nicht gesagt hat, weil der Titel in der Druckerei verfälscht wurde ('Seelenverwandte'). Schließlich lassen sich seine Eltern scheiden, was ihm aber nichts weiter ausmacht, im Gegenteil begrüßt er die Unsicherheit. Amys Mutter stirbt und als Archie Amy seine Liebe gesteht, reagiert sie unerwartet, nämlich, dass sie ihn zwar auch liebe, aber mit ihm wie Bruder und Schwester leben will, weil sie Angst habe, wenn es nicht klappe, dass dann alles vorbei sein. Und ihrer beiden Mutter bzw. Vater heiraten, so dass sie tatsächlich (Stief)bruder und -Schwester werden.

4.1.: Mitte der 1960er Jahre, Amy braucht eine Pause von ihrer Beziehung zu Archie, der sich wiederum im Auswahlprozess für das College befindet und unbedingt in New York an der Columbia studieren will, vorher beginnt er aber erst einmal als Reporter bei einer Lokalzeitung und berichtet über Basketball und Baseball. Nachdem die beiden wieder zusammengekommen sind, reisen sie in den Semesterferien nach Frankreich. Und seine Eltern mussten in eine kleine Mietwohnung umziehen, da ihrer beiden Geschäfte (Fotoatelier und Elektrogeräte) so schlecht liefen, dass sie geschlossen werden mussten.

4.3: Archie besucht 1962 seine Tante Mildred in Kalifornien, die inzwischen mir einer jungen Frau (Sydney) zusammenlebt. Das läuft aber nicht besonders gut, denn er erzählt Sydney im Vertrauen von seiner homoerotischen Erfahrung, was diese seiner Tante steckt, die daraufhin ausrastet, Archie ist enttäuscht und will nie wieder ein Geheimnis teilen. Und er reist mit seiner Mutter und seinem Stiefvater Gil nach Paris, wo seine Mutter eine Fotoausstellung hat. Bei der Vernissage lernt er Vivian kennen, eine junge Witwe und alte Freundin von Gil, die ihn beeindruckt. Und in den Sommerferien wird er von einem Schulfreund mit in ein Bordell genommen, wo er seine Unschuld (mit Frauen, genauer Julie) verliert. Und er schreibt Filmkritiken. Typisch für einen Teenager beginnt er mit dem Rauchen und trinkt Alkohol, die ersten Male zu viel, dann gewöhnt er sich. Für seine Besuche im Bordell braucht er Geld, dass er sich durch den Diebstahl von Büchern verschafft, dabei aber eines Tages erwischt wird und es gibt eine Bewährungsstrafe. Und er hat Beziehungen /Affären sowohl mit Männern als auch mit Frauen und aufgrund dieser Tatsache und der Vorstrafe wird er vom Wehrdienst befreit.

4.4: Seine Beziehung zu seiner neuen Stiefschwester Amy normalisiert sich langsam wieder in Richtung Freundschaft, Archie versucht sich als Schriftsteller weiter zu entwickeln und leidet unter der unpersönlichen Beziehung zu seinem reichen, aber geizigen Vater, der an Archies Leben nicht richtig teilnimmt. Daher will er ihn auch keinesfalls um die Bezahlung seines Studiums an der Columbia oder in Princeton bitten und bricht mit ihm. Aber für sein Studium in Princeton erhält er ein Stipendium.

5.1.: An der Columbia Universität verlebt Archie seine ersten College Jahre, es gibt Studentenproteste gegen den Vietnam Krieg, er schreibt für die Uni-Zeitung (aus dem Französischen übersetzte Gedichte). Und er ist Opfer des großen Stromausfalls, als er 13 Stunden alleine in einem Aufzug festsitzt. Er liebt das Lesen und freut sich, dies quasi hauptberuflich im Studium machen zu können. Nach einem Jahr zieht er mit Amy zusammen. Dieses Kapitel finde ich sehr langatmig, der Text wabert von Thema zu Thema, etwas ohne Fokus. 

5.3.: Statt aufs College geht Archie nach Paris, ausgestattet mit einer Liste an zu lesenden Büchern für seine Bildung und er wohnt bei Vivian, die Archie n ihren Exmann erinnert, in einem Zimmer unterm Dach, wie es sich für Paris gehört. Und dort schreibt er auch an seinem ersten Buch, welches vom seinem eigenen Leben handeln soll und von Filmen, insbesondere den Laurel & Hardy Filmen. Die Schriftstellerin Vivian gibt ihm Feedback und sucht einen Verlag für den Erstling. Und wenig reizvoll zu lesen gibt es eine bisexuelle Episode, Vivian hat dieselbe sexuelle Ausrichtung wie Archie und lädt eines Abends Freunde zum Dinner ein, wobei der alternde Professor Fleming ihm Geld gegen Sex anbietet, was sich für ihn zu einer etwa unappetitlichen Angelegenheit entwickelt.

5.4.: Bevor Archie nach Princeton zum Studium aufbricht, verbringt er noch einen netten Samstag in Ney York mit Celia, der jüngeren Schwester seines verstorbenen Freundes Artie, wegen dem er kein Baseball mehr spielen will. An der Uni teilt er sich ein Zimmer mit Howard und freundet sich gleich mit ihm an und sein Studium beginnt durchaus vielversprechend. Noah, der ebenfalls in New York studiert, macht ihn mit jungen Künstlern bekannt, die ihn inspirieren, sein angefangenes Buch ('Mulligans Reisen')  weiterzuschreiben. Bei seinem Besuch daheim zu Thanksgiving trifft er seine ehemalige Englisch Lehrerin und seine Kritikerin seiner ersten literarischen Bemühungen, Evie, wieder, sie hatten nach der Schulzeit ein freundschaftliches Verhältnis entwickelt und diesmal kommen sie sich auch körperlich näher, trotz 13 Jahre Altersunterschied. Und sie will gerne ein Kind von Archie (ggf. ohne dass er damit irgendwelche Verpflichtungen hätte), was aber nicht geht, denn Archie erfährt, dass er keine Kinder zeugen kann. Das schockt ihn ("Ein Absturz in den Rang einer Fußnote im Buch vom irdischen Leben, ein Mann, der als Der letzte Ferguson in die Annalen eingehen würde.").

6.1.: Gegen Ende der 60er Jahre stirbt zuerst Archies Großvater Benjy Adler und zur Überraschung aller kommt heraus, dass er eine Geliebte (Didi) hatte, die halb so alt ist und für die er eine kleine Wohnung angemietet hat. Ein Jahr später stirbt auch seine Großmutter, immerhin erbt seine Mutter ein ansehnliches kleines Vermögen und gibt ihm bereits die Hälfte davon, so dass er gut sein Studium beenden kann. In Newark brechen für eine Woche schlimme Rassenunruhen aus, bei denen es zahlreiche Tote gibt und Rose fleißig fotografiert. Archie fürchtet, Amy zu verlieren, die sich einerseits stärker politisch radikalisiert (Vietnam) und ihr Jurastudium in Kalifornien absolvieren will. Die Studentenunruhen 1968 beginnen nach der Ermordung von Martin Luther King, auch dieser Teil des Textes ist doch etwas lang geraten. Aufgrund ihrer unterschiedlichen (politischen) Entwicklung trennt sich Amy von Archie.

6.3.: In Paris hat Archie sein ersten Roman beendet und findet mit Hilfe von Vivian einen Verleger in London. Der Verlag wird vertreten von Aubrey Hull, der ihn in Paris besucht, um Details der Vermarktung des Buches zu besprechen. Und (gähn!), auch Aubrey ist bisexuell und so landen beide zusammen im Bett. Seine Mutter und sein Stiefvater Gil besuchen ihn auf ihrer verspäteten Hochzeitsreise durch Europa in Paris. Als er sich von ihr verabschiedet hat Archie ein ungutes Gefühl, sie nicht mehr wiederzusehen. Das stimmt auch, denn er selbst verunglückt ein knappes Jahr später bei einem Besuch in London anlässlich der Buchpremiere tödlich, als er an einer Straßenkreuzung in die falsche Richtung schaut und überfahren wird. Vorher hat er noch eine schwule Beziehung zu einem anderen jungen Schriftseller, Albert, einen Kanadier mit amerikanischen Vater, den Vivian ihm vorstellte. Und so endet auch das zweite von vier Leben.

6.4.: Archie hat mit Evie Schluss gemacht (wegen seiner Unfruchtbarkeit) und ist dabei, sein erstes Buch zu veröffentlichen. Wieder solo bleibt er bei seiner Angewohnheit, die Wochenenden in der Wohnung seines Großvaters in NY zu verbringen, als er dort einmal allerdings unangemeldet auftaucht, wird dort ein schmieriger Porno gedreht, wieder ein eher unappetitliches Kapitel, hat Auster so etwas nötig? Und sein eigener Großvater bietet ihm Schweigegeld an, was er auch noch annimmt und wovon er eine kleine Wohnung mietet, in der er weiter schreiben kann ('Das scharlachrote Notizbuch'). Er freundet sich mit Celia, der jungen Schwester seines verstorbenen Freundes Artie an. Viele Ereignisse aus den Studienjahren in Princeton ziehen am Leser vorbei. Erwähnenswert noch die Geschichte mit einer rassistisch bedingten Kneipenschlägere, als Archie mit seinen (linken) Freunden auf dem Land in Vermont in eine ebensolche Schlägerei geriet, weil dort Amy wegen ihres schwarzen Freundes beleidigt wurde. Vor Gericht wird er zwar freigesprochen, aber er verliert sein Princeton Stipendium.

7.1.: Archie lebt nun alleine -und leicht depressiv- in New York und beobachtet im letzten Collegejahr an der Columbia die Studenten- sowie weitere Rassenunruhen, über die er auch als Reporter berichtet, später fokussiert er sich auf Rezensionen von Büchern und Filmen, will eigentlich den Journalismus an den Nagel hängen, überlegt es sich aber anders und heuert bei einer lokalen Zeitung in Rochester im Bundesstaat New York an. Dort trifft er seinen alten Schulfreund Bobby wieder, der dort kurzzeitig als Baseballprofi aktiv ist und inzwischen mit seiner Stiefschwester Margret verheiratet ist. Er hat eine Affäre mit einer Kollegin, besucht mal wieder seine Eltern, die jetzt in Florida leben und so plätschert sein Leben in Richtung der 70er Jahre etwas dahin. Erwähnenswert noch dass er eine Beziehung zu einer Studentin beginnt, die als Praktikantin bei seiner Zeitung arbeitet, und er beschließt, zu kündigen und zu seiner neuen Liebe nach Massachusetts zu ziehen, um neu anzufangen. Doch bevor er diesen Entschluss umsetzen kann, stirbt er bei einem Wohnungsbrand.

7.4.: Seine Tante Mildred schafft es, dass er sein Studium an einem anderen College in New York fortsetzen kann, wo keine Studiengebühren zu bezahlen sind. Und dank einer Buchveröffentlichung ist auch sein finanzielles Auskommen zunächst gesichert. Sein Stiefbruder Allen Blumenthal teilt ihm mit, dass sein Vater im Alter von nur 54 gestorben sei. Archie leidet darunter, dass er sich nicht mehr mit ihm versöhnt hat, immerhin erbt er 100k USD. Und seine Beziehung zu Celia endet, über die Ursachen -letztlich ging sie fremd- wird über viele Seiten reflektiert. Nach dem Studium wird Ferguson nicht in die Armee eingezogen, da das Einberufungszentrum, in dem seine Unterlagen auf Bearbeitung warten, von einem Terroristen in die Luft gejagt wird (Samuel Melville).  Von seinem Erbe fliegt er schließlich nach Paris, wo er beginnt, das Buch „4 3 2 1“ zu schreiben. Ausgangspunkt ist die Legende über seinen Großvater. Thema sind die verschiedenen Lebenswege des Archie Ferguson; alle Fergusons bis auf diesen echten sterben im Laufe des Romans.

Lesespaßfaktor:

Ich bin hin- und hergerissen, was ich von diesem ausufernden Roman halten soll. Klar, die Idee, parallel vier verschiedene mögliche Leben einer Person zu erzählen, die ist klasse, auch wenn sich die vier Leben nicht diametral unterscheiden sondern nur in Abwandlungen verlaufen. Einige Personen, vor allem in der Familie, tauchen in allen Versionen auf, die unzähligen anderen (zu viele!) nur in der jeweiligen Version. Nach und nach stirbt aber jeweils eine Version Archies, bis nur noch einer übrig bleibt, der Archie aus der Version 4. Erzählt wird der Roman aber verschachtelt, immer bunt durcheinandergemischt und nicht linear. 

Es treten sehr, sehr viele Personen in Archies 4 Leben auf, für den Leser ist es schwierig, da immer den Überblick zu behalten. Archie sucht sich selbst, auch vor dem Hintergrund, dass seine Eltern sehr verschiedene Persönlichkeiten haben, er findet sein Selbst dann erst beim Schreiben des Romans in Paris. 

Immer wieder blitzt schöner Humor durch ("...die Ehe über vier Jahre gehalten hat, sei zweifellos ein der großen Mysterien in den Annalen der menschlichen Paarbildung."). Daneben geht es um das typisch amerikanische Leben, in dem Sport eine große Rolle spielt, die High School und das College, in dem es um Auf- und auch Absteigergeschichten geht. Und es geht um gesellschaftliche Themen wie Sport (Baseball und Basketball), Kino (Filme, die er mit seiner Mutter und später mit  verschiedenen Freunden ansieht), Literatur (Bücher seiner Tante, er selbst wird ein Autor), Freundschaft und Rassismus. Dazu die politischen Rahmenbedingungen in den 1960er Jahren, der Krieg in Vietnam, die Rassenunruhen und die Studentenproteste. 

Über weite Strecken ist der Roman süffig zu lesen, aber der Nachteil ist für mich: es ist einfach zu lang, so viele Wendungen und neue, interessante Geschichten gibt es dann doch nicht, einzelne Passagen wie etwa bestimmte Filme müssen m.E. auch nicht in Gänze nacherzählt werden. Vermutlich gibt es einiges an Autobiografischem, wie Archie in den Versionen 3 und 4 zum Schriftsteller wird, auch einige seiner möglichen weiteren Buchideen mögen in den kurzen Geschichten angedeutet werden. Vielleicht wäre es besser gewesen, das Buch nicht chronologisch zu lesen, sondern gem. den 4 Lebensgeschichten von Archie?

♡♡

Montag, 21. Oktober 2024

Zadie Smith - Zähne Zeigen

 







Autor:

Zadie Smith ist eine britische Schriftstellerin, geboren 1975 als Tochter einer jamaikanischen Mutter und eines britischen Vaters. Bereits während ihres Studiums der englischen Literatur begann sie erste Kurzgeschichten zu veröffentlichen. Nach dem ersten Erfolg hatte Smith zunächst Probleme, weiter zu schreiben und bereits ihr zweiter Roman fiel bei den Kritikern durch. Aber danach kehrte der Erfolg zurück, so dass bis heute sechs Romane und zahlreiche Kurzgeschichten erschienen sind. Smith arbeitet auch als Hochschullehrerin.

Buch:

Dieses Werk war der Erstling von Smith und erschien im Jahr 2000. Das Buch wurde schnell ein großer internationaler Erfolg und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Interessanterweise ist der Roman das jüngste Werk auf der Leseliste der Universität Tübingen und hat daher meine Aufmerksamkeit bekommen.  


Hauptfiguren:

  • Alfred Archibald ‚Archie’ Jones, 
  • Samad ‚Sam’ Miah Iqbal, bengalischer Muslim, sein alter Freund
  • Alsana Begum, Sams jüngere Ehefrau
  • Millat, ihr Sohn
  • Magid, sein Zwillingsbruder, von den Eltern nach Indien zur Familie geschickt
  • Clara Iphigenia Bowden, Archies zweite Ehefrau
  • Irie Jones, ihre Tochter
  • Poppy Burt-Jones, Musiklehrerin von Samads Kindern
  • Joyce Chalfen, Mutter des Mitschülers von Irie und Millat
  • Marcus, ihr wissenschaftlich tätiger Ehemann
  • Joshua, ihr Sohn
  • Neena, Cousine von Millat
  • Hortense Bowden, jamaikanische Großmutter von Irie
  • Mo Hussein, pakistanischer Besitzer einer Fleischerei in Nord-London

Inhalt und Rezeption:

Starker Beginn: Der 47-jährige Archie sitzt am 1.1.1975 in seinem Auto und will sich mittels Abgasen umbringen. Aber das Schicksal hat etwas dagegen. „Eine hauchfeine Schicht Glück lag auf ihm wie frischer Tau.“. Der Fleischerei Besitzer Mo verhindert den Suizid. Warum wollte er nicht mehr leben? Weil er seit 1946 viel zu lange mit seiner ungeliebten italienischen Frau seine Lebenszeit verschwendet hatte. Auf Seine Freundschaft mit Sam, den er im letzten Kriegsjahr kennengelernt hatte. Noch am selben Tag lernt Archie in einer Kommune die junge Jamaikanerin und Zeugin Jehovas Clara Bowden kennen, der die oberen Zähne bei einem Unfall mit der Vespa ihres Exfreundes ausgeschlagen worden waren (daher der Titel) Nur 6 Wochen später heiratet er Clara, die froh ist, aus den religiösen Fängen der Mutter zu entkommen. 

Im Nachgang zu seiner Rettung blickt Archie auf sein Leben zurück. Rückblick in das Jahr 1945, als Archie und Samad zusammen in einem defekten Panzer in Bulgarien stranden und dort ihre Freundschaft begründen und das Ende des zweiten Weltkrieges verpassen. Da sie aber dennoch als Kriegshelden in die Geschichte eingehen wollen, bemächtigen sie sich beim Pokerspiel mit russischen Soldaten eines französischen, aber für die Nazi arbeitenden Euthanasie-Arztes namens Krank, den Archie dann erschießen soll, um seinem Kumpel zu beweisen, dass er ein echter britischer Soldat ist, der für etwas kämpft. Diese Szene ist sachlich betrachtet natürlich ziemlich wirr, aber süffig geschrieben und greift durchaus eine wichtige moralisches Frag es Krieges auf. Darf ich im Krieg den Feind töten, wenn ich weiß, was der Schlimmes angestellt hat? Hat er ihn erschossen? Das löst sich erst am Ende auf.

Nun werden Geschichten aus Samads Leben erzählt, etwa wie er sich als 57-jähriger in die viel jüngere Poppy verliebt ("Okay, keine Partnervermittlung hätte uns beiden zusammengeführt. Na und?") und mit seinen Gefühlen sowie seinem schlechten Gewissen kämpft, herrlich die Szene, als er zusammen mit Poppy die verrückte Mad Mary trifft und meint, sie könne in sein schlechtes Gewissen hineinsehen. 

Einzelne Geschichten wie die über den Urgroßvater Sams, Mangal Pande als Wegbereiter der indischen Befreiung von den Engländern sind aber auch weniger unterhaltend und etwas langatmig. 

Weiter geht es mit der mit ihrem Gewicht und ihrem Aussehen hadernden Irie, die die Gene ihrer jamaikanischen Mutter geerbt hat und als Pubertierende nun unbedingt abnehmen will. Die Geschichte aus der Schule, wo sie mit Millat, dem Sohn von Samad, in einer Klasse geht und in ihn verliebt ist, zeigt wieder einmal wunderbar die Themen und Probleme in einer jugendlichen Multi-Kulti Gesellschaft auf. Als es um Hautfarbe geht, heißt es zu derjenigen der Lehrerin lakonisch: " Sie hatte die Farbe von Erdbeermousse." Herrlich die Szene im Haarsalon, als sie unbedingt glatte Haare haben will mit dem Ergebnis: "Sie sah aus wie ein Kind der Liebe zwischen Diana Ross und Engelbert Humperdinck."

Irie und Millat sowie ihre Mitschüler Joshua werden in der Schule mit Marihuana erwischt und müssen als Strafe Nachhilfe nehmen bei Joshua, das Projekt des Schulleiters lautet, Unterschichtkinder sollen zu Mittelschichtfamilien kommen und können dort etwas lernen. Aber schon bald verbringen die beiden aus unterschiedlichen Gründen fast die ganze Zeit bei der vermeintlich ach so typischen englischen Familie Chalfen, die hiermit auch in die Geschichte eingeführt wird. Und ihre beiden Mütter haben Angst, dass die Familie Chalfen sie zu sehr englischisiert, daher schicken sie Neena, Millats Cousine zu der Familie, um zu klären, was da vor sich geht. Überhaupt ist die Familie Chalfen zunehmend im Mittelpunkt, wunderbar, wie Smith die pseudo-gestelzten Dialoge der Familie untereinander konstruiert.

Millat ist am meisten zwischen den Kulturen gefangen. Als Frauenheld schläft er mit unzähligen Frauen, die meisten weiße Engländerinnen, parallel wird er durch eine fiktive radikale islamische Organisation (HEINTZ) zum islamistischen Frauenbild hingeführt. Er ist innerlich zerrissen. Irie ist auch zerrissen, sie flieht zur Großmutter, die ziemlich verblendet ist von den Zeugen Jehovas. Dort taucht sie ein in die jamaikanische Vergangenheit ihrer Familie.

Im weiteren (zeitlichen) Verlauf wird Marcus Chalfen ein berühmter Genforscher und Professor, Irie bleibt seine Sekretärin und Magid kehrt endlich aus Indien zurück und wird auch über die bisherige Brieffreundschaft hinaus ein enger Vertrauter von Marcus. Aber die gentechnischen Forschungen an Mäusen erregen den Hass der Islamisten rund um die Gruppe HEINTZ, die bei einer öffentlichen Präsentation der Forschungsergebnisse von Marcus zuschlagen wollen, insbesondere Millat will dies auch gewalttätig tun. Und Joshua schließt sich der Tierschutzorganisation FAST an, eigentlich weil er in die verheiratete Leiterin verliebt ist, aber auch weil er gegen seine Familie revoltiert. Beide Gruppen schließen sich dann zusammen, um gegen die Genversuche zu agitieren. Und schließlich wollen auch die Zeugen Jehovas protestieren, Iries Großmutter will gar auf der zur Präsentation der Ergebnisse der Forschung angesetzten Veranstaltung am 31.12.1992 in den Hungerstreik treten.

Showdown: Der ist dann ganz anders als erwartet. Statt all der geplanten Störungen (nur die Zeugen Jehovas singen draußen) geht die Geschichte zurück zu Archie und Dr. Frank. Erst jetzt erfährt der Leser, dass er damals eine Münze geworfen hat, um über das Schicksal des Arztes zu entscheiden, aber das ging schief, der Arzt bemächtigte sich seiner Waffe und schoss Archie ins Bein. An diese Szene erinnert sich Archie genau an diesem Silvesterabend, als er  Millat davon abhalten will, auf Marcus zu schießen. Damit ist die Geschichte einfach zu Ende.


Lesespaßfaktor

Das Buch ist eine große, zeitgenössische Komödie, eine Geschichte dreier Familien im London der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, ihrer Neurosen, ihrer jeweiligen Familiengeschichten. Die Geschichte schwankt zwischen den Religionen (Christentum incl. besonders christlichen Zeugen Jehovas vs. Islam), zwischen den Hautfarben, zwischen der kulturellen Prägung, zwischen Arbeiter- und Bildungshaushalten. Und der Humor ist frech, aber keineswegs peinlich. Wunderbar gelungene Metaphern erwecken Archies Erinnerungen an sein bisher tristes Leben zum Leben („Als der Wagen sich allmählich mit Gas füllte, hatte er den obligatorischen Flashback auf sein Leben bis zu diesem Tag. Wie sich herausstellte, war es ein kurzes unerbauliches Seherlebnis mit niedrigem Unterhaltungswert, das metaphysische Äquivalent zu einer Rede der Königin.“). 

Das Werk ist durchzogen von humoristischen Anekdoten und dem subtilen Spiel mit Vorurteilen (Samads Kinder machen Kopfstände zur körperlichen Ertüchtigung, Schulsport sei nicht notwendig). Dabei kommen auch die religiösen Unterschiede nicht zu kurz. Der liberale Muslim Samad sagt sich dann, er habe "nicht die richtige Religion für Kompromisse, Abmachungen, Verträge, Schwächen und Mehr-kann-man-nicht-verlangen". Es geht um Einwanderer im modernen England, um jugendliche Gangs in den 80er und 90er. Zadie Smith schafft es, mit tollem lakonischen Humor die Gegensätze der verschiedenen Gruppen (Engländer, Inder, Jamaikaner und auch Unter- und Mittelschicht) aufzuzeigen. 
"So seltsam es auch klingt, es gibt viele Menschen, die nicht mit Afrokrause vor das Angesicht des Herrn treten wollen."
Die Metaphern sind durchgängig auf ganz hohem Niveau:
"Irie dachte an ihre eigenen Eltern, deren Berührungen virtuell waren, nur stellvertretend über Dinge stattfanden, die beide zuvor angefasst hatten; die Fernbedienung, ..."

Technisch sehr gut gelungen ist  Zadie Smith das Verknüpfen der einzelnen Figuren quer durch den Roman, wie etwa im letzten Drittel plötzlich wieder Mo auftaucht und sich in der islamistischen Organisation HEINTZ zusammen mit Millat radikalisiert. Und die Klammer zwischen der Geschichte in Bulgarien aus dem Jahr 1945 und dem Schluss 1992 kommt überraschend, das ist ist große Literatur einer beim Erscheinen des Buches noch sehr jungen, aufregenden Autorin.

Dienstag, 17. September 2024

Homer - Ilias

 

Autor:

Gab es Homer als Person überhaupt? Selbst das ist umstritten. Man weiß nichts Konkretes über diesen griechischen Autoren, der eventuell im 7./8. Jahrhundert v. Chr. gelebt haben könnte, zahlreiche Städte reklamieren den Geburtsort für sich. Der Legende nach wird Homer oft als blinder, armer Wandersänger dargestellt. 

Buch:

Unstrittig ist, dass dieses Epos zusammen mit dem 'Odysseus' als Beginn der europäischen Geistes- und Kulturgeschichte gilt.  Da der Text in der Übersetzung von Johann Heinrich Voß kostenfrei in der Gutenberg Bibliothek verfügbar ist, versuche ich es einmal mit der Lektüre am PC-Monitor. Ilias bedeutet übrigens dasselbe wie Troja oder zu Troja gehörig. Das Werk umfasst in 24 Gesängen knapp 16.000 Verse, mal sehen, ob ich die wirklich alle lesen mag.

Hauptfiguren:

Achaier:
  • Achilles, Urenkel Zeus, führt ein Kontingent von 50 Schiffen und die Myrmidonen als Kämpfer aus Phthia nach Troja
  • Agamemnon, Herrscher Argos und Mykene, Heerführer der Allianz
  • Ajax der Große, nach Achilles der größte Held der Achaier
  • Diomedes, der jüngste König der Alianz, ebenfalls ein gefürchteter Krieger
  • Odysseus, ein kluger Ratgeber
  • Idomeneus, König von Kreta
  • Kalchas, Seher und Vogeldeuter
  • Nestor, ein erfahrener Krieger
  • Melenaos, Ehemann Helenas
  • Patroklos, Freund und Wagenlenker von Achilles
Troer:
  • Aineias, Überlebender des Krieges, Gründer Roms
  • Andromache, Frau Hektors
  • Hektor, stärkster Krieger Trojas und Sohn des Priamos
  • Priamos, König von Troja
  • Dolon, ein Späher
  • Pandaros, Bogenschütze
Inhalt und Rezeption:

Ich muss gestehen, dass es mi sehr schwer gefallen ist, aus dem Originaltext eine logische Handlung herauszuarbeiten, denn überhaupt die Personen in ihren Doppelnamen und die verschiedenen Völker zuzuordnen, das finde ich recht komplex. Daher verwende ich hier erstmals und ausdrücklich als Ausnahme eine Zusammenfassung aus dem Internet (www.https://wortwuchs.net/werke/ilias/)

1. Gesang

In einem langjährigen Krieg wird die Stadt Troja (Ilios) von einer großen griechischen Armee belagert. Agamemnon ist der Anführer der Besatzer und Priamos der König der belagerten Troer. In dem Lager der Griechen bricht eine von dem Gott Apollon verursachte Pest aus, da dieser über die Zurückweisung seines Priesters Chryses nicht erfreut war. Agamemnon hatte zuvor die Tochter des Priesters Chryseis als Kriegsbeute geraubt. Alles Flehen des Chryses half nichts, Agamemnon wollte sie nicht zu ihrem Vater zurückkehren lassen und macht sich vor seinen Soldaten über den Priester lustig. Von Chryses um Hilfe gebeten, zürnt der Gott Apollon gegen die Belagerer und entsendet Pest und Tod. Der griechische Held Achilles ist über den Ausbruch der Pest verärgert und beruft unter Missachtung der Rechte des Oberbefehlshabers Agamemnon eine Heeresversammlung ein. In der Versammlung klagt Achilles Agamemnon an, den Zorn des Gottes auf die Angreifer gezogen zu haben. Dies ist eine Infragestellung des Herrschaftsanspruch des Agamemnon. Zusammen mit dem Heerespropheten Kalchas deckt Achilles diesen Zusammenhang auf. Achilles hatte Kalchas um Hilfe gebeten, da er sich nicht an Grund der Gottesstrafe erinnern konnte, aber von Agamemnons Schuld überzeugt war. Von der Erklärung Kalchas in die Enge getrieben, beschließt Agamemnon die Tochter des Priesters zu ihrem Vater zurückkehren zu lassen und auf seine Beute zu verzichten. Er entsendet den Helden Odysseus die Tochter zu ihrem Vater nach Chryse zurückzubringen. Über den Vorstoß Achilles ist Agamemnon verärgert und beabsichtigt daraufhin, den aufsässigen Krieger in seine Schranken zu weisen. Er fordert die Achilles bereits als Kriegsbeute zugeteilte Briseis als Ersatz für seine verlorene Chryseis, eine Cousine derselben. Achilles ist in keinster Weise mit der Forderung des Oberbefehlshabers einverstanden. Er droht Agamemnon mit der Auflösung seines Bündnisses mit dem Anführer und mit der Rückkehr in seine Heimat Phthia. Der Aussage des Achilles begegnet der Heeresführer mit Spott und Hohn, sodass Achilles in seinem Zorn nur von der Göttin Athene gebremst werden kann. Agamemnon möchte in dieser Szene seine Macht demonstrieren und zwingt Achilles, sich ihm unterzuordnen. Dieses missfällt Achilles, der in seinem Unmut lauthals wütet. Der Grieche Nestor versucht, einen objektiven Vermittlungsversuch zu unternehmen und macht Achilles darauf aufmerksam, dass er sich den Befehlshaber unterwerfen müsse. An einer Stelle sagt Achilles, dass ihm der Verlust „seines Mädchens“ nicht so sehr schmerze wie die Notwendigkeit, sich einem Anführer unterzuordnen. Letztendlich ist es eine Sucht nach Ruhm, die den Kämpfer in den Reihen der Angreifer bleiben lassen. Gleichzeitig stimmt ihn ein Urteil des Zeus gütig, dass von seiner Mutter Thetis auf dem Olymp erkämpft wurde. Dieses besagt, dass die Griechen solange in dem Krieg unterlegen sein sollen, bis Achilles volle Genugtuung geleistet ist. Die Göttin Hera sieht dadurch ihren Plan der Zerstörung Trojas gefährdet und und beginnt einen Streit mit Zeus.

2. Gesang

Der Gott Zeus sendet Agamemnon einen verheißenden Traum, der diesen zum Angriff auf die Troer verleiten soll. Die Griechische Allianz ist durch den Streit zwischen Achilles und ihrem Anführer geschwächt, weswegen ein Angriff in dieser Situation zunächst keine besonders gute Idee wäre. Aber in dem Traum überzeugt Zeus Agamemnon davon, dass er aus dem Angriff siegreich hervorgehen würde. Gleichzeitig ist Agamemnon von der Idee besessen, aller Welt zu zeigen, dass er auch ohne Achilles siegen kann. In einer Vollversammlung des Heeres ermutigt er seine Männer in die Schlacht zu ziehen. Nach langwierigen Diskussionen beschließen die Griechen begeistert den Angriff. Obwohl die Troer von der Göttin Isis über den Angriff der Achaier informiert worden sind, wissen sie nicht, dass Achilles nicht am Kampf teilnimmt. Zu Ende des Kapitels werden die Troer vorgestellt.

3. Gesang

Kaum hat der Kampf begonnen, konzentriert sich die Schlacht auf einen Einzelkampf zwischen dem trojanischen Königssohn Paris und Menelaos. In diesem Streit drückt sich der Krieg im Kleinen aus, da der Raub Helenas durch Paris Menelaos erst zum Angriff Trojas gebracht hat (siehe Infobox „Geschichte des Trojanischen Kriegs“). Dieser Zweikampf findet auf Vorschlag Paris statt, der zuvor von Hektor getadelt wurde, weil er bei dem Angriff der Achaier (der Griechischen Allianz) zurückgewichen ist. Laut Hektor, der den Zweikampf verkündet, sollen die Streitenden sich streiten, die Völker allerdings vertragen. Der Zweikampf wird unter den Stadtmauern Trojas ausgeführt. Bei dem Kampf sind sowohl der König Trojas Priamos als auch der Anführer der Griechen Agamemnon anwesend. Es wird ein Nichtangriffspakt vereinbart und entschieden, dass der Gewinner des Kampfes Helena erhält. Es scheint, als ob der langwierige Trojanische Krieg zu einem Ende gekommen ist. Obwohl Menelaos siegt und von Agamemnon zum Sieger erklärt wird, kann Paris nicht getötet werden. Stattdessen wurde dieser von der Göttin Aphrodite zurück in die Stadtmauern gerettet. Er überlebt, womit auch durch den Zweikampf keine Entscheidung des Krieges herbei geführt werden kann.

4. Gesang

Die Friedensverhandlungen zwischen Troja und den griechischen Angreifer scheitern endgültig, als der Troer Pandaros einen Pfeil auf Menelaos schießt. Dieses sowohl verräterische als auch törichte Attentat war ihm zuvor von Athene befohlen worden. Gleichzeitig verfehlte der Schuss aber auch durch Einwirkung Athenes sein Ziel. Diese widersprüchliche Handlung erfolgt deswegen, weil die Götter zu Beginn des Kapitels auf dem Olymp beschlossen hatten, den Krieg wieder aufleben zu lassen und die Zerstörung Trojas zu besiegeln. Dieser Umstand zeigt eindeutig die Einwirkungen der Götter auf die Menschen. Der zuvor geschlossene Nichtangriffspakt verlor durch das Attentat seine Bedeutung und alle Kriegshandlungen wurden wieder aufgenommen. Die Griechen ordnen ihre Truppen und ihrer Heerführer Agamemnon spricht den einzelnen Heerleitern der Reihe nach Mut zu.

5. Gesang
Im fünften Gesang treffen die beiden Armeen Trojas und der Griechen das erste Mal aufeinander. Eine dramatische Schlacht entbrennt, in dessen Verlauf immer wieder einzelne Heldentaten im Vordergrund stehen. So zum Beispiel die Bestrafung des Pandaros, der zuvor die Friedensverhandlungen durch seinen Bogenschuss vereitelt hatte. Er wird durch einen Lanzenstich von Diomedes unter brutalster Beschreibung des Kampfes getötet. Zuvor hatte dieser von Athene und Aineas ermutigt Diomedes angegriffen. Gleichzeitig wird Aphrodite durch die Verwundung des Ares durch Diomedes gestraft, der in der griechischen Mythologie der Krieg des Blutbades, des Krieges und des Massakers ist und auf Seiten der Troer kämpft. Dieser kann aber durch seinen Vater Zeus geheilt werden.

6. Gesang

Obwohl die die Griechen unterstützenden Göttinnen Athene und Hera auf den Olymp zurück gekehrt sind, bedrängen die Griechen die Troer so sehr, dass sich Hektor mit seinem Bruder Helenos in die Stadt zurückzieht. Sie veranlassen eine Prozession zum Tempel der Stadtgöttin Athene, um diese gütig zu stimmen. Nach dem Gebet trifft Hektor auf seine Frau Andromache, bevor er vor die Mauern der Stadt auf das Schlachtfeld zurückkehrt. Mit ihm zieht Paris erneut in den Krieg, der sich seit dem Zweikampf mit Melenaos im Palast aufgehalten hatte.

7. Gesang

Auf Geheiß Athene und Apollons, die die Schlacht beenden wollen, fordert Hektor den mutigsten unter den griechischen Fürsten zum Zweikampf auf. Zuerst zögern die Achaier und lassen ein Los entscheiden. Zuerst will sich Menelaos dem Zweikampf stellen, wird aber von seinem Bruder Agamemnon aufgehalten, weil dieser vermutet, dass Menelaos wahrscheinlich verlieren würde. Durch das Los tritt Aias in den Kampf und schlägt sich gut. Es gelingt ihm sogar Hektor auf den Boden zu werfen. Während des Kampfes kommt Apollon Hektor zur Hilfe. Allerdings bleibt auch dieser Kampf unentschieden, woraufhin beide Kriegsparteien sich zu Beratungen zurückziehen. Die Griechen beschließen, ihre Toten zu begraben. Diese rituelle Handlung ist allerdings nur als Ablenkung gedacht, da sie gleichzeitig an einer Befestigung ihres Heerlagers am Strand arbeiten. In der Folge bieten die Troer den Griechen einen Waffenstillstand an, um die Toten zu begraben. Dieser wird von den Griechen angenommen. In Troja hatte Antenor vorgeschlagen, Helena an die Griechen zurück zu geben, was Paris allerdings ablehnt.

8. Gesang

Durch die Bestattung der Toten hat die Darstellung der ersten Schlacht ein Ende genommen. Entgegen der Prophezeiung Zeus, haben sich immer wieder Götter zu allen Seiten der Schlachtparteien eingemischt, was diesem missfällt. Um seinen Ratschluss vollkommen durchzusetzen (die Griechen sollen solange unterlegen sein, bis Achilles Recht widerfährt), verbietet er allen anderen Göttern, sich in den Krieg einzumischen. Er begibt sich auf den Gipfel des Ida-Gebirges. Durch seine Blitz- und Donnerschläge, geraten die Troer rasch in eine vorteilhafte Situation, die wiederum durch die Götter Hera und Athene abgemildert und zu Gunsten der Griechen verändert wird. Die Göttinnen haben gegen Zeus ausdrücklichen Befehl in die Schlacht eingegriffen, werden aber bald von ihm zurückgedrängt. Diese Einmischung wird von Zeus nicht toleriert, der angibt, den Griechen noch weiter zu schaden. Auf einer nächtlichen Versammlung schlägt Hektor vor, am nächsten Tag die Schiffe der Achaier anzugreifen.

9. Gesang

Der griechische Anführer Agamemnon ist sich wie seine Männer bewusst, dass man den Troern unterlegen ist und schlägt auf einer Heeresversammlung den Abzug vor. Diomedes und Nestor teilen seine Meinung nicht und finden einen Abzug unrühmlich. Diesem Einwand wird von mehreren Männern zugestimmt. Agamemnon zeigt sich dazu bereit, sich mit Achilles zu versöhnen. Er hofft, dass das Eingreifen des Helden die Schlacht zu seinen Gunsten verändern kann. Odysseus und Aias sollen Achilles das Angebot des Heerführers verkünden: Rückgabe der Briseis, üppige Geschenke und die Aussicht, die Tochter Agamemnons zu hereitaten. Nestor weist daraufhin, dass man möglichst diplomatisch sein solle, was Odysseus in seiner Rede an Achilles auch versucht. Allerdings lehnt es Agamemnon ab, sich bei Achilles zu entschuldigen. Achilles ist am musizieren, als ihn die Gesandten Agamemnons erreichen. Er lehnt das Angebot grob ab, weil er sich nicht einem Befehl unterwerfen möchte und der Meinung ist, dass Agamemnon noch nicht ausreichend gedemütigt ist. Die Bitten des Phoinix und des Aias haben ebenfalls keine Wirkung auf Achilles. Er ist zornig auf Agamemnon und sieht keinen Grund gegen die Troer in den Krieg zu ziehen.

10. Gesang

In dieser nächtliche Szene werden die Schlaflager der Griechen und Troer auf dem Schlachtfeld beschrieben. Priamos entsenden Odysseus und Diomedes als Späher, die wiederum den troischen Späher Dolon fangen. Sie zwingen ihn Auskunft über das troische Lager zu geben und erfahren, dass thrakische Pferde angekommen sind. Entgegen dem Versprechen Dolon zu verschonen, töten Odysseus und Diomedes den Troer und überfallen das troische Lager. Sie töten den thrakischen König Rhesos und stehlen zwei Pferde, auf denen sie ins griechische Lager zurückreiten.

11. Gesang

Da Zeus Entschluss über die Wiedergutmachung an Achilles noch immer nicht berücksichtigt wurde, können die Griechen im Kampf keinen Vorteil erhalten. In Kampfhandlungen werden sowohl Agamemnon und Diomedes, als auch Odysseus verletzt. Ebenso flieht Aias vor den Troern, sodass alles den Anschein hat, als ob die Griechen den Krieg verloren hätten. Achilles wird sich bewusst, dass seine baldige Rache naht. Er entsendet Patroklos, um sich über das Kriegsgeschehen zu erkundigen. Dieser zeigt sich allerdings von den Erzählungen von Nestor und Euryplodes gerührt und zeigt Mitgefühl mit seinen unterlegenden Landsleuten.

12. Gesang

Nachdem die Troer das weite Feld vor ihrer Stadt erobert haben, wollen sie nun auch das Heerlager der Griechen erobern. Eine erste Erstürmung durch Asios scheitert. Allerdings hat eine von Hektor geführte Erstürmung erfolgt. Er kann ein Tor der Befestigung zerstören, sodass die Troer die Achaier zu ihren Schiffen zurückdrängen können.

13. Gesang

Die Troer haben den Landeplatz der Griechen angegriffen und sind bis zu den Schiffen vorgedrungen. Gerade als sich der Wille Zeus zu vollenden scheint und die Griechen vollkommen geschlagen sind, mischen sich die Götter Poseidon und Hera ein. Dieses ist möglich, weil sich Zeus im Glauben eines troischen Sieges von der Schlacht abwendet. Durch das Eingreifen der anderen Götter kann die Vernichtung der Griechen abgewendet werden. In dem Kampf wird ein Sohn Poseidons getötet, der daraufhin Idomeneus zum Kämpfen motiviert und ihm hilft, viele Troer zu töten.

14. Gesang

Um Poseidon in seiner Unterstützung der Griechen beizustehen, schläfert Hera ihren Gatten Zeus auf dem Ida Berg ein. Sie macht sich hübsch und verführt Zeus mit Hilfe Aphrodites. Nach dem Beischlaf gelingt es ihr Zeus mit der Hilfe Hypnos einzuschläfern. Zuvor hatte Zeus von seinem Hochposten noch das Kriegsgeschehen beobachtet. Durch die Hilfe des Meergotts Poseidon können die Griechen wieder die Oberhand über den Kampf gewinnen. Agamemnon wollte sich zuerst wieder zurückziehen, konnte aber von Odysseus zum Weiterkämpfen überredet werden. Durch die List Heras kann Poseidon die Angreifer direkt unterstützen. Dadurch gelingt es den Achaiern Hektor außer Gefecht zu setzen und Boden zu gewinnen.

15. Gesang

Dank der Hilfe Poseidons und Heras gelingt es den Griechen die Troer aus ihrem Heerlager zu vertreiben. Als Zeus allerdings aus dem durch Hera künstlich herbeigeführten Schlaf erwacht, greift er sofort wieder auf Seiten der Troer in das Kampf geschehen. Er befiehlt Hera in den Olymp zurückzukehren. Auch Poseidon muss sich aus der Schlacht zurückziehen. In seinem Zorn steigert Zeus die Bedrängnis der Griechen noch weiter. Die Griechen werden wieder zurück zu ihren Schiffen gedrängt.

16. Gesang

Achilles Vertrauter Patroklos war bereits im 11. Gesang von Mitleid gerührt, als er die Not der anderen Griechen sah. Er bittet Achilles zu Gunsten der Angreifer in die Schlacht einzugreifen. Obwohl Achilles Patroklos Bitte ablehnt, ist er bereit als Anführer der Myrmidonen in das Kampfgeschehen einzugreifen und den bedrängten Kriegern zur Seite zu stehen. Allerdings greift Achilles nur unter der Bedingung ein, den Bedrängten in ihrer bedrohlichen Lage zu helfen und das Lager zu verteidigen. Als dann sehr bald alle Troer aus dem Lager vertrieben worden sind, hat Patroklos den Befehl seines Herrn vergessen. Wagemutig und im Siegestaumel verfolgt er die nunmehr fliehenden Angreifer aus Troja bis vor ihre eigenen Stadtmauern. Entgegen Achilles Rat greift er vier Mal die Stadtmauern Trojas an, wird aber jedes Mal von Apollon zurückgewiesen. Als Hektor in den Kampf eingreift, fällt Patroklos bald. Vor seinem Tod prophezeit er noch den baldigen Tod Hektors.

17. Gesang

Die Leiche des Patroklos, einem sehr engen vertrauten Achilles, wird von Menelaos vor weiterer Schändung geschützt, wodurch er sich den Respekt Achilles erwirbt. Im weiteren Kampf verliert Achilles seine Rüstung an Hektor, da diese zuvor von Patroklos getragen wurde.

18. Gesang

Schwer gezeichnet durch den Tod seines Vertrauten, hat Achilles nun zum ersten Mal einen Grund, sich auch aus persönlichen Gründen gegen die Verteidiger Trojas zu wenden. Zuvor war der Krieg eine Angelegenheit zwischen den Atriden um Agamemnon und Menelaos, doch durch den Tod Patroklos ist Achilles bereit, alles für den Kampf zu geben. Er klagt wehmütig um den Verlust seines Vertrauten. Auf Bitten seiner Mutter Thetis schmiedet ihm Hephaistos eine neue Rüstung. In diesem Zusammenhang wird die berühmte Darstellung des Achillischen Schildes als Ekphrasis beschrieben. Auf dem Schild werden die Stadt und der Kosmos in Krieg und Frieden beschrieben. Patroklos Leiche wird von den Griechen gereinigt und gesalbt. Zu seiner Ehre werden zwölf Troer geopfert.

19. Gesang

In einer von Achilles (wie zu Beginn der Illias) einberufenen Heerversammlung ist Achilles dazu bereit an der Seite der anderen Griechen zu kämpfen. Einen Hinweis Nestors der besagt, dem Anführer Agamemnon Loyalität zu zollen, überhört Achilles einfach. Er möchte so bald wie möglich kämpfen und beklagt den Tod seines Freundes Patroklos. Während eines gemeinsamen Frühstücks wartet Achilles auf den Beginn der Kämpfe. Agamemnon überreicht ihm die versprochenen Gaben, die zu Achilles Schiff gebracht werden. Diese interessieren den Helden allerdings nicht. Sowohl er als auch Agamemnon erkennen, dass sie zuvor fehlerhaft gehandelt haben. Achilles bekennt sich zu seinem Zorn, der ihn fehl geleitet hatte und Agamemnon behauptet, von Zeus geblendet worden zu sein.

20. Gesang

Der Kampf zwischen den Kriegern Trojas und den Griechen entbrennt und die Götter werden von Zeus aufgefordert, in das Kriegsgeschehen einzugreifen. Der Gott Apollon veranlasst, dass sich Aieneas Achilles in den Weg stellt. Aus dem entbrennenden Kampf wird Aineais nur durch das Eingreifen Poseidons gerettet, der ansonsten eher auf der Seite der Griechen kämpft. Der Gott möchte den Troer als Halter des trojanischen Stammbaums bewahren. Dem Gott ist bereits klar, dass Troja fallen wird, weswegen er an der Bewahrung eines ehrenvollen Troers interessiert ist. Achilles tötet immer weitere Troer, darunter auch einen Sohn des Priamos. Als Hektor von dem Tod seines Bruders erfährt, greift er ungehindert in den Kampf gegen Achilles ein, kann aber von Apollon gerettet werden.

21. Gesang

Auf der Flucht vor Achilles überqueren einige Troer den Fluss Skamandros (oder auch Xanthos). Für die Feuerbestattung des Patroklos werden 12 Troer von Achilles gefangen, weitere Troer wie Lyakon werden brutal von Achilles getötet. Obwohl Lyakon, ein Sohn des Königs Priamos, um Gnade bittet, wird er von Achilles nach seiner Tötung in den Fluss geworfen. Dieses verärgert den Flussgott, doch Achilles tötet in seiner Raserei auch noch einen Sohn desselben. In dem entstehenden Kampf gerät Achilles in eine solch große Bedrängnis, dass er weder von Poseidon noch von Athene gerettet werden kann. Erst der durch Hera herbeigerufene Hephaistos kann Achilles vor dem Flussgott retten, indem er den Fluss durch ein großes Feuer bändigt. Die vielfache Verquickung der Götter untereinander und ihr gegenseitiger Kampf machen Zeus sehr glücklich. Während sich alle Götter auf den Olymp zurückziehen, ist Apollon der einzige der zur Verteidigung Trojas bleibt. Durch eine List gelingt es Apollon Achilles zu täuschen, sodass sich die überlebenden Troer in die Mauern der Stadt retten können.

22. Gesang

Als Achilles erkennt, dass er getäuscht wurde, ändert er sofort seine Richtung und greift Troja an. Vor den Toren der Stadt wird er von Hektor erwartet, der sich gegen den Willen seiner Eltern dazu entscheidet, gegen den Griechen zu kämpfen. Als er Achilles gegenüber steht, erkennt er, dass er ihm unterlegen ist und beschließt zu fliehen. Während die Götter in einer Beratung über den weiteren Verlauf diskutieren, umrunden die beiden Kämpfer in ihrer Verfolgung dreimal die Stadtmauern. Letztendlich entscheidet sich Apollon dazu, Hektor seinem Schicksal zu überlassen. Dieses geschieht auf Grund einer Entscheidung der Schicksalswaage, die von Zeus befragt den Tod Hektors verkündet. Im darauffolgenden Kampf wird Hektor von einer Lanze Achilles am Hals getroffen und stirbt. Achilles hatte sich zuvor geweigert, mit dem Unterlegenen Kämpfer über ein Bestattungsritual zu reden. Er bindet die Leiche an seinen Wagen und umrundet mehrmals die Stadt. Beim Anblick der Leiche fällt Hektors Frau Andromache in Ohnmacht.

23. Gesang

In der Nacht vor der Bestattung Patroklos besucht seine Seele (Psyche) Achilles und kündigt ihm an, dass er bald sterben wird. Er bittet Achilles ebenfalls um ein gemeinsames Grab und eine baldige Beerdigung. Alsbald wird dann für die Leiche von Patroklos ein großer Scheiterhaufen angezündet, der von den Winden Boreas und Zephyros angefacht wird. Zur Ehre des Toten werden an der Grabstätte sportliche Wettkämpfe abgehalten, die den olympischen Disziplinen sehr ähneln.

24. Gesang

Achilles schleift noch immer die Leiche des Königssohns Hektors um die Stadt. Auf den Befehl Zeus soll Achilles die Leiche an die Troer zurückgeben. Er trifft sich mit dem König Priamos und erhält Lösegeld für die Leiche. In der Unterhaltung beschließt man eine elftägige Waffenruhe, um eine Bestattung Hektors zu gewährleisten. Bei den Troern ist der Schmerz über den Verlust Hektors sehr groß. Die Ilias endet mit einem Totenmahl.

Lesespaßfaktor:

Ganz ehrlich: Ich mag Texte in Versform nicht besonders und da dieser Text ja schon ziemlich alt ist, ist er schwer zu lesen und schwer zu verstehen. Auch wenn sicherlich die Handlung bildungsbürgerliches Wissen darstellt, dieses aus den Originaltexten zu exzerpieren, ist doch eine hinreichende Qual. Insofern bleibt hier die Zusammenfassung stehen, um eine schnelle Quelle zu haben, etwas über die Geschichte zu lernen, auch wenn ich den Text selbst nicht wirklich selbst lesen mag. 

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