Freitag, 13. Januar 2023

Johann Wolfgang von Goethe - Wilhelm Meisters Wanderjahre oder Die Entsagenden

 


Autor:

Goethe kennt wohl jeder. Geboren 1749 in Frankfurt am Main, gestorben 1832 in seinem Haus in Weimar. Er ist der bedeutendste Dichter deutscher Sprache und war nebenbei auch noch Naturforscher. Seine Eltern stammen aus einer angesehenen bürgerlichen Familie, zusammen mit seiner Schwester erhielt er früh eine umfassende Bildung. Er studierte Jura und arbeitete anschließend auch als Anwalt. Literarisch erzielte Goethe 1773 und 1774 seine ersten Erfolge mit dem Drama 'Götz von Berlichingen'  sowie dem Briefroman 'Die Leiden des jungen Werther'. 1775 wurde er an den Hof von Weimar geladen und nahm dort administrative Aufgaben wahr, was seine Kreativität belastete. Er befreite sich daraus erst 1786 durch eine zweijährige Reise nach Italien. Ab 1791 leitete er in Weimar als Freund des Herzogs viele Jahre das Hoftheater. Sein Drama 'Faust' von 1808 gilt als das bedeutendste Werk der deutschen Literatur überhaupt. Der hier zu besprechende Altersroman 'Wilhelm Meisters Wanderjahre' gehört wie sein Vorgänger zu den Künstler- und Bildungsromanen.
 

Buch:

Der Fortsetzungsroman zu 'Wilhelm Meisters Lehrjahren erschien in seiner vollständigen Fassung 1829. Er gilt weniger als klassischer Roman sondern eher als Stationen-Epos. Goethe hatte eine Fortsetzung von 'Wilhelm Meistern Wanderjahre' allerdings schon lange vorher im Kopf und hat auch erste Texte dazu ab 1807 geschrieben. Es geht um Wilhelm als zentrale Figur mit in die Handlung eingearbeiteten Überlegungen zu wissenschaftlichen Theorien, Bildungs- und Gesellschaftsmodellen.

Hauptfiguren:

Wilhelm Meister, Kaufmannssohn
Felix, sein Sohn
Natalie(n), Amazone, seine Geliebte, Schwester von Lothario
Joseph, Zimmermann und ein Schaffner auf einem alten Klostergelände, Familienvater
Marie, seine Frau
Jarno, alias Montan, Mitglied der Turmgesellschaft von Lothario aus den Lehrjahren
Lydie, seine Frau, ehemals Freundin des Lothario
Hersilie, jüngere Nichte des Hausherrn (Oheim) auf einem Landgut
Juliette, ihre ältere Schwester
Lenardo, ihr Cousin, ein Baron
Makarie, ihre Tante, die Heilige
Hausfreund, ein Astronom im Hause Makariens
Nachodine, das nussbraune Mädchen, die Schöne-Gute
Hilarie, Nichte eines Barons
Baronin, seine Schwester und Mutter Hilaries
Flavio, sein Sohn und Ehemann von Hilarie
Die schöne Witwe
Abbé, Mitglied der Turmgesellschaft Lotharios
Mignon, das Zigeunerkind aus den Lehrjahren
Friedrich, Bruder von Lothario und Natalie
Philine, ehemalige Schauspielerin, nun Schneiderin
Rotmantel, Barbier, Mitglied der Gesellschaft
Odoardo, ein Besucher bei den Auswanderern
Albertine, seine Frau
Lothario, Baron
Therese, seine Frau


Inhalt und Rezeption:

1. Buch

Kapitel 1:
Auf seiner Wanderschaft, die ihm allerlei Pflichten auferlegen (z.B. nie länger als 3 Tage unter einem Dach wohnen) treffen Wilhelm und sein Sohn im Gebirge auf eine fünfköpfige Familie, die sie in ihr Haus einladen. Die Familie erinnert Wilhelm an eine eine heilige Familie auf der Flucht nach Ägypten. Bezeichnenderweise nennt sich der Familienvater Sankt Joseph. 
Kapitel 2:
Joseph erzählt Wilhelm seine Lebensgeschichte, die voller Bezüge zur heiligen Schrift ist. Seine Frau war hochschwanger Witwe geworden und nach dem erforderlichen Trauerjahr (Joseph muss sich zunächst entsagen!) hat sie sich dann mit ihm vermählt.
Kapitel 3:
Wilhelm trifft im Gebirge den alten Freund Jarno (hier Montan) wieder, der inzwischen ein als Naturforscher (Geologe) ein Einsiedlerleben führt und allerlei Erkenntnisse über die Welt mit Wilhelm teilt.
Kapitel 4:
Wilhelm trennt sich von Jarno und wird zum Gut eines reichen Grundbesitzers geführt, da sein Führer aber eine unerlaubte Abkürzung dorthin nimmt, landen Wilhelm und Felix zunächst in einer Falle. Unterwegs hatte Felix noch ein goldenes Kästchen (Symbol der Erkenntnis) aus einer großen Ruine entwendet.
Kapitel 5:
Beim Abendessen im Gut lernen Wilhelm und Felix Hersilie kennen, die Tochter des Gastgebers. Der adolescente Felix verliebt sich alsbald in Hersilie, die Wilhelm ein von ihr aus dem Französisch übersetztes Manuskript zur Lektüre gibt, in dem es um die Liebe sowohl eines verheirateten Mannes als auch seines Sohnes zu einer jungen Pilgerin geht.
Kapitel 6:
Wilhelm begleitet mit seinem Sohn seine Gastgeber zu einem Picknick und wird über einen Briefwechsel in die Belange dieser Familie eingeführt, insbesondere über den Neffen Lenardo, der nach längerer Abwesenheit zurückzukommen gedenkt.
Kapitel 7: Der Oheim (als Symbol der damaligen konservativen Landbesitzer) zeigt Wilhelm seine Porträtsammlung sowie einige Handschriften, außerdem erfährt der Leser einiges über die Geschichte der Familie, etwas dass der Oheim in Amerika aufwuchs, aber aus kulturellen Gründen nach Europa zurückkehrte. 
Kapitel 8 und 9:
Nun wird eine Novelle namens 'Wer ist der Verräter' eingestreut, in der ein Lucidor sich zunächst aussichtslos in die Schwester Lucinden statt der ihm eigentlich zugedachten Braut Julie verliebt hat, wie es die Väter arrangieren wollten. Aber im zweiten Teil fügt es sich dann zum Rechten, auch wenn Lucidor der Spielball einiger Machenschaften hinter seinem Rücken ist.
Kapitel 10:
Wilhelm und Felix ziehen weiter zum Haus der Makarie. Dort wird ihm aus einem Roman vorgelesen, den Inhalt erfährt der Leser aber zunächst nicht. Und Wilhelm wird in die Astronomie eingeführt. Makarie ist spirituell und vergeistigt. Bezogen auf die Länge des Kommentars scheint dieses Kapitel eines der wichtigsten. Bevor Wilhelm weiterzieht, um Lenardo zu treffen, erfährt er erste Informationen über diesen Reisenden, dem Makarie sehr verbunden ist.
Kapitel 11:
Lenardo berichtet von seiner Bildungsreise durch Europa, die nur finanziert werden konnte, in dem Gelder von Pächtern des Oheims eingetrieben wurden, was die Tochter eines dieser Pächters dazu brachte, bei Lenardo um Aufschub zu flehen, was dieser auch bei seinem Onkel bewirken wollte, dies aber am Ende doch nicht tat und vor seiner Rückkehr in die Heimat zu seiner Familie nun durch ein schlechtes Gewissen geplagt wurde. Erleichtert ist er, als Wilhelm ihm von Makarie berichtet, dass dieses Mädchen namens Valerine inzwischen reich geheiratet hätte. Vor der Rückkehr zur Familie suchen die beiden Valerine auf, um aber festzustellen, dass eine Verwechslung vorliegt, die so wohlhabend Verheiratete Valerine ist tatsächlich die Tochter eines Gerichtshalters, das nussbraune Mädchen heisst eigentlich Nachodine und Lenardo bittet Wilhelm, sie zu suchen und ihm zu berichten.
Kapitel 12:
Wilhelm sucht den von Lenardo vermittelten "Alten" auf, der ihm Hinweise zum Verbleib von Nachodine gibt sowie das von Felix in Kapitel 4 sichergestellte Kästchen in Verwahrung nimmt.

2. Buch

Kapitel 1:
Wilhelm bringt seinen Sohn in eine andere Provinz (pädagogische), in der er ihn für eine Zeit belassen will. Dort werden Knaben unterrichtet, das erste pädagogische Prinzip ist der Gesang als Ausgangspunkt für weitere Bildung. Aufgebaut ist die Erziehung auf dem Grundsatz der Ehrfurcht in verschiedenen, insbesondere aber christlichen Facetten.
Kapitel 2:
Bevor Wilhelm sich final entscheidet, seinen Sohn hier zu lassen, wird ihm in einer Galerie anhand der Bildgeschichte der Israeliten sowie der Lebensgeschichte Jesu noch einmal deutlich gemacht, nach welchen religiösen Grundsätzen hier unterrichtet werden soll. Das finale Heiligtum des Schmerzes aber soll Wilhelm erst nach einem Jahr kennenlernen, wenn auch sein Sohn so weit ist, es zu verstehen. Erziehung ist hier viel mehr als bloße Wissensvermittlung, es ist der Weg des Menschen zu sich selbst.
Kapitel 3 bis 5:
Erneut wird eine Novelle eingeschoben, der Titel lautet: 'Der Mann von funfzig Jahren'. Dabei handelt es sich um einen Major, der von seiner Nichte Hilarie geliebt wird, die er aber eigentlich für seinen Sohn als Gattin vorgesehen hatte. Dies galt anscheinend im frühen 19. Jahrhundert noch nicht als Inzucht! Diese Zuneigung Hilariens schmeichelt ihm, gleichzeitig fürchtet er aber sein höheres Alter. Mit einem Freund entspinnt sich ein Gespräch über die menschliche Eitelkeit. Eben dieser Freund will ihn dann die Verjüngungskunst mittels verschiedener Kosmetika einweihen. Bei dem Besuch bei seinem Sohn erfährt der Major zu seiner Freude, dass dieser eine andere, eine Witwe liebt. Nach einigem Hin und Her weist die Witwe Flavio jedoch ab, woraufhin dieser aufgebracht in das Haus der Baronin kommt. Da der Major sich noch um seine geschäftlichen Belange kümmern muss und daher für einige Zeit nicht da ist, entwickelt sich eine enge Beziehung zwischen Flavio und Hilarie und als er endlich zurückkommt, muss er in seinem Liebeskummer erkennen, dass er eigentlich ja auch nicht der richtige, weil zu alt, für sie gewesen wäre. Allerdings will Hilarien nicht einfach alt gegen jung tauschen und weigert sich, Flavio zu ehelichen. Schließlich schreibt die Baronin an Makarie (Beziehung zur eigentlichen Geschichte) und zum Ende hin wird dieser ganze Briefwechsel von der schönen Witwe an den Major übergeben, warum wird nicht klar. Da Fazit dieser schönen Novelle lautet, dass das Innere einer Person in Sachen Liebe wichtiger ist als das Äußere.
Kapitel 6:
Wilhelm berichtet Lenardo brieflich in aller Kürze über das Wohlergehen Nachodines.
Kapitel 7:
Wilhelm reist weiter zum großen See und trifft unterwegs auf einen Maler, der wiederum am Schicksal Mignons (dem kleinen Zigeunerkind aus den Lehrjahren und damalige Spielgefährtin seines Sohnes Felix) interessiert ist und sie basierend auf Wilhelms Beschreibungen häufig malt. Auch erkennt Wilhelm die Schönheit der Natur durch seinen neuen Begleiter. Dann erfolgt die Verbindung zur vorherigen Novelle. Wilhelm und der Maler treffen auf Hilarie und die schöne Witwe und verbringen einige Tage in der schönen Umgebung des Sees. Am letzten Tag verschwinden die beiden Damen und lassen nur eine Notiz zurück, man möge ihnen nicht nachreisen und sich künftig wie Fremde behandeln. Warum dieser Sinneswandel eintritt, erklärt der Autor nicht. Dann erfolgt wieder ein Schnitte: Wilhelm erhält einen Brief des Abbé (Lehrjahre!), in dem es vor allem um Bildung geht:

"Wir wollen der Hausfrömmigkeit das gebührende Lob nicht entziehen: auf ihr gründet sich die Sicherheit des Einzelnen, worauf zuletzt denn auch die Festigkeit und Würde des Ganzen beruhen mag; aber sie reicht nicht mehr hin, wir müssen den Begriff einer Weltfrömmigkeit fassen, unsre redlich menschlichen Gesinnungen in einen praktischen Bezug ins Weite setzen und nicht nur unsre Nächsten fördern, sondern zugleich die ganze Menschheit mitnehmen."

Und er wird aus der Pflicht entlassen, während seiner Wanderung maximal nur drei Tage an einem Ort verbringen zu dürfen. Und es wird ein großer zeitlicher Sprung für den Fortgang der Geschichte angekündigt.
Kapitel 8:
Wilhelm reist in die pädagogische Provinz und trifft Felix wieder. Er erkundigt sich bei der Leitung nach den Lernfortschritten und den Lernfeldern seines Sohnes. Goethe ist hier wieder in seinem Element und schildert detailliert, wie er sich eine perfekte Bildung vorstellt, die aus Unterricht sowohl in praktischen Dingen (Landwirtschaft, Städtebau) als auch in geistigen Dingen (Sprachen, Musik) besteht.
Kapitel 9:
Für ein abendliches Fest erklimmt man einen Berg, um von oben auf eine illuminierte Bergbauregion schauen. Unter den Gästen auf dem Berg trifft Wilhelm erneut auf Montan (Jarno). Es wird leidenschaftlich über den (geologischen) Ursprung der Welt debattiert, am folgenden Morgen trifft Montan gegenüber Wilhelm diesen wunderbaren Ausspruch:
"..., das Liebste, und das sind doch unsre Überzeugungen, muß jeder im tiefsten Ernst bei sich selbst bewahren, jeder weiß nur für sich, was er weiß, und das muß er geheimhalten; wie er es ausspricht, sogleich ist der Widerspruch rege, und wie er sich in Streit einläßt, kommt er in sich selbst aus dem Gleichgewicht, und sein Bestes wird, wo nicht vernichtet, doch gestört."

Kapitel 10:
Hersilie schreibt an Wilhelm und schildert eine kleine Angelegenheit. Sie hat über einen Kleinhändler eine Liebesbotschaft von Felix erhalten und ärgert sich über ihre unbeholfene Antwort. Auch denkt sie darüber nach, warum oft junge Männer ältere Frauen lieben. Der Brief schließt mit dem schönen 
Ausspruch: " Ach welch Unterschied ist es, ob man sich oder die andern beurteilt."
Kapitel 11:
Wilhelm erzählt reichlich umständlich und etwas langatmig in einem Brief an Natalie von einem Kindheitserlebnis, als ein Freund von ihm in einem Fluss tragisch verunglückte, was in ihm den Wunsch hervorbrachte, Arzt zu werden, um zu helfen. Erst in der Gegenwart entschließt er sich nun, die Ausbildung zu einem Wundarzt zu machen und dafür seine Wanderungen zu unterbrechen.

Zwischen dem zweiten und dritten Buch stehen zahlreiche Betrachtungen im Sinne der Wanderer, es geht um Kunst in allen Formen, um Künstler, umTechnik, um Naturwissenschaften, um allgemeine Lebensweisheiten, allein was dies mit dem Wanderer zu tun hat, das erschließt sich dem Leser nicht.

3. Buch

Kapitel 1:
Wilhelm zieht weiter und in ein Wirthause trifft er auf eine Veranstaltung (Auswandererbund), wo zahlreiche Handwerker teilnehmen. Auch trifft er hier wieder auf Lenardo, der die Veranstaltung leitet sowie auf Friedrich (Lehrjahre).
Kapitel 2:Hersilie teilt Wilhelm mit, dass sie den Schlüssel zu dem Kästchen habe, dass Felix seinerzeit gefunden hatte und fordert ihn auf, zusammen mit Felix zu kommen, um es gemeinsam zu öffnen.
Kapitel 3:
Dieser hat aber wenig Interesse an einer Rückkehr zu Hersilie. Vielmehr berichtet er seinen Begleitern ausführlich von seinem Studium als Wundarzt, zu dem ihm seine Zeit unter Schauspielern durchaus geholfen hat. Dabei geht es um den Mangeln an verfügbaren Leichen zu Unterrichtszwecken, aber dann wird Wilhelm eingeführt in einen kleinen erlauchten Kreis, die statt mit echten Leichen mit Nachbildungen von Skeletten arbeiten. Hier kommt wieder der (Aus)wanderergedanke zum Tragen, denn diese Knochennachbildungen (auch eine Symbiose aus Kunst und Technik!) sollen in die USA verschifft werden. In dem Sinne, neue Ideen lassen sich nur in einer neuen Welt umsetzen. 
Kapitel 4:
Wieder geht es um Handwerk, diesmal um das Schneidern und Friedrich berichtet, dass sein Frau Philine als auch Lydie sich hierbei hervortun. Lenardo kommt dazu und erzählt von seinem Hang zum Technischen.
Kapitel 5:
In einigen Tagebucheinträgen erfährt der Leser von Lenardos Erfahrungen in weiteren Handwerksbereichen und dem Handel, am Beispiel der Baumwolle und der Spinnereien sowie Webereien. Auch die Industrialisierung wird erwähnt als Bedrohung für die Handwerker. 
Kapitel 6:
Hier erzählt der Barbier eine Geschichte, die angeblich passiert sei, tatsächlich ist es aber ein schönes Märchen namens 'Die Neue Melusine'. Es geht um Liebe und Wohlstand, die an Bedingungen geknüpft sind, die der Protagonist aber nicht einhält, eingebettet in eine Geschichte um das Kästchen, das eigentlich ein Schloss der Zwerge ist. Mit Hilfe eines Rings kann man aus dem Land der Zwerge zu den normalen Menschen wechseln, was die schöne Melusine tut, um frische Gene für das immer kleiner werdende Zwergenvolk durch eine Heirat mit einem Menschen zu erreichen. Ist es das Kästchen, das wir schon kennen, dasjenige, das Felix gefunden hat?
Kapitel 7:
Hersilie schreibt an Wilhelm, dass sie nun auch im Besitz des Kästchen seis (den Schlüssel dazu hatte sie ja schon) und zwar habe sie es erhalten aus dem Nachlass des Trödlers, dem Wilhelm es zu Aufhebung gegeben hatte. 
Kapitel 8:
Ein kleiner Schwank über einen studentischen Spaß, der etwas nach hinten losging. 
Kapitel 9:
In der Auswanderergesellschaft findet eine Versammlung statt, in der entschieden werden soll, wer nach Übersee auswandern soll. Lenardo hält eine flammende Eröffnungsrede und preist das Wandern als Flexibilität, als Neugier auf die Welt, als Wunsch des Menschen, nützlich zu sein. Ein kleines, feines Gedicht rundet die Rede ab.
Kapitel 10:
Odoardo bietet nun denjenigen Mitgliedern, die bleiben wollen, 'Tagewerk' für mehrere Jahre an. Der Grund hierfür ergibt sich scheinbar aus einer längeren Geschichte ('Nicht zu weit'), die dann kunstvoll als fragmentarische Novelle mit mehreren Perspektivwechseln erzählt wird, ohne dass aber der wirkliche Grund im Roman genannt wird.
Odoardo erwartet seine Frau an ihrem Geburtstag zum Dinner, als sie nicht kommt, vermutet er, dass sie fremdgeht (mit dem Hausfreund) und macht sich auf die Suche nach ihr, wobei er in einem Gasthof landet und dort der Prinzessin Sophronie begegnet, die er für seine Traumfrau Aurora us seiner Vergangenheit hält. 
Es geht also eher um den Kontrast zwischen dem Privaten der Novelle und dem Öffentlichen (Beruf, Rolle) der eigentlichen Handlung in der Auswanderergesellschaft.
Kapitel 11 und 12:
Wilhelm und Friedrich diskutieren über das, was die Menschen zusammenhält, nämlich Religion (christliche Religion, kein Judentum) und Sitte ("Mäßigung im Willkürlichen, Emsigkeit im Notwendigen"). Auch die Ordnung der neuen Gesellschaft im Ausland wird diskutiert. so soll zwar das Mehrheitsprinzip (Demokratie) gelten, allzu viel hält Goethe aber anscheinend nicht davon.
Für die bisherige Gesellschaft in Europa stellt nun Odoardo Regeln auf, vor allem das Handwerk (=strenge Kunst) soll sich reformieren. Insgesamt geht es hier hauptsächlich um Nützlichkeit.
Kapitel 13:
In Fortsetzung zu Kapitel 5 werden die Tagebucheinträge Lenardos weitergeführt. Weitere Details zum Geschäft der Spinnereien und Webereien (Heimarbeit) folgen, die Witwe (Nachodine = Susanne), bei der Lenardo weilt und in stiller Liebe verbunden ist , trägt sich aufgrund der bedrohlichen Industrialisierung ebenfalls mit dem Gedanken, auszuwandern. Als ihr Vater stirbt, will ihr Bewunderer und Helfer Daniel sie heiraten und mit ihr auswandern, sie aber fühlt sich wenig zu ihm hingezogen.
Kapitel 14:
Der Erzähler gibt einen Überblick über die Handlungen und die sich auflösenden und neu ordnenden Verhältnisse der am Ende der „Wanderjahre“ nicht mehr im Mittelpunkt stehenden Personen, die in vorteilhaften Beziehungen untergebracht werden. Während Lothario, seine Gattin Therese und Natalie,  in Begleitung des Abbé mit einem Segelschiff in die Neue Welt fahren und Montan, Friedrich und Lenardo sich auf ihre Reise vorbereiten, treffen bei Makarie Figuren aus den „Lehrjahren“ und „Wanderjahren“ zusammen, was hier nicht im Detail nacherzählt werden muss.
Kapitel 15:
Nun wird Makarie in den höchsten Tönen gelobt und als rein geistiges, ätherisches, ja göttliches Wesen geschildert, das weit über den irdischen normalen Menschen steht:
"Wenn man annehmen darf, daß die Wesen, insofern sie körperlich sind, nach dem Zentrum, insofern sie geistig sind, nach der Peripherie streben, so gehört unsere Freundin (sic Makarie) zu den geistigen;..."
Nun ja, dieses kleine Kapitel kann man nun in extensio interpretieren und dabei jeden Satz zerlegen. Jedenfalls ist die Figur Makarie nicht wirklich mit der Handlung verknüpft und symbolisiert das Geistige, im Gegensatz um Irdischen, was die Handlung prägt.
Kapitel 16:
Zurück am Orte der Versammlung sind die meisten abgereist. Ein Reiter, es ist wohl Felix, ohne dass hier sein Name genannt wird, kommt und sucht seinen Vater, der aber schon abgereist ist. Stürmisch jagt er ihm nach.
Kapitel 17:
Ein letzter Brief von Hersilie, in dem sie Wilhelm über ihr Treffen mit dem liebestollen Felix berichtet, den sie abgewiesen hat, worauf dieser in die Welt reiten will, bis er umkommt. Auch das Kästchen spielt noch einmal eine Rolle. Beim Versuch des Aufschließens bricht scheinbar der Schlüssel ab, aber aufschließen kann man es nur als Eingeweihter, denn der Schlüssel besteht aus zwei Magneten.
Kapitel 18:
Felix erreicht das Boot Wilhelms, stürzt aber mit seinem Pferd in den reißenden Fluss, wird aber vom Vater in seiner Funktion als Wundarzt per Aderlass gerettet. Am Schluss des Romans steht ein inniges Vater-Sohn Verhältnis.

Lesespaßfaktor:

Sicherlich ein Gipfel der Literatur ist dieses Spätwerk Goethes. Bei der sprachlichen Finesse und Komplexität ist es fast schwierig, mit meinen eigenen Worten dieses Roman zu bewerten, es fühlt sich so an, als ob meine Worte bei weitem nicht ausreichen, das Gelesene richtig zu würdigen.

Es gibt zahlreiche wiederkehrende Themen in diesem Roman: Das Wandern ist als Symbol für die Suche nach dem Steten zu verstehen, auch für den Lauf des Lebens. Immer wieder steht das Lernen (Pädagogik) im Mittelpunkt, zahlreiche Lehrsätze durchziehen das Werk. Aber auch das praktische Leben, das Handwerk, ist überaus bedeutend, es steht neben der Bildung.

Der Roman ist nicht immer sequentiell erzählt, zahlreiche Einschübe in Form von Novellen unterbrechen immer wieder die eigentliche Geschichte, aber auch die Erlebnisse Wilhelms sind so vielseitig, dass faktisch in jedem Kapitel ein neues (bildungsrelevantes) Thema auftaucht. Hin und wieder erhebt sich der Autor auch über die Geschichte und streut eigene Kommentare ein (wie etwa zum Thema Theater und Schauspiel).

In den Anmerkungen dieser Ausgabe finden sich oft sehr ausufernde Interpretationen zu den kleinsten Symbolen. War das Werk Goethes wirklich so aufgeladen mit Symbolik? Für mich fliessen viele Lebenserfahrungen des alten Goethe ein, der in diesem Werk seine Sicht auf das Leben zusammenfasst. Er will dem Leser seine Vorstellungen von der idealen Gesellschaft und der idealen Bildung näherbringen.

Was soll man nach diesem Werk noch lesen?


♥♥♥♥♥





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