Samstag, 26. August 2023

Javier Marias - Mein Herz so weiss

 


Autor:

Marias wurde 1952 in Madrid geboren, wo er auch im letzten Jahr verstarb. Mit seinen Eltern lebte Marias bis 1959 einige Zeit in den USA, wohin  sein Vater als Kritiker des Franco Regimes floh und an bedeutenden Universitäten Philosophie unterrichtete. Ab 1968 studierte Marias wieder in Madrid Literaturwissenschaften und Philosophie und engagierte sich während dieser Zeit im linksradikalen Milieu. Gearbeitet hat er dann zunächst als Übersetzer, in einem Verlag, bevor er selbst Dozent wurde, in Oxford, Boston und Madrid. Geschrieben hat Marias ab dem Alter von 11 Jahren, seine erste Kurzgeschichte sowie sein zweiter Roman wurden Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre veröffentlicht. Ein erster großer Erfolg war 1986 der preisgekrönte Roman "Der Gefühlsmensch", sein größter Erfolg aber war der hier besprochene Roman von 1992, der weltweite Verbreitung fand.


Buch:

Auf Deutsch erschien dieses Werk 1996, aufgrund des Lobes im 'Literarischen Quartetts' landete es schnell auf der Bestsellerliste. Der Titel ist ein Shakespeare Zitat (Macbeth), da Marias den englischen Schriftsteller verehrte. Mehr als 1,5 Millionen Exemplare wurden schließlich allein in Deutschland verkauft. Kurz nach Erscheinen hatte ich das Buch gelesen und nun bin ich gespannt, wie es mir ein gutes Vierteljahrhundert später gefällt.

Hauptfiguren:
  • Juan, Ich-Erzähler, Dolmetscher
  • Luisa, seine Frau, Dolmetscherin
  • Teresa Aguilera, die sich umbrachte
  • Juana, ihre jüngere Schwester, seine Mutter
  • Ranz, Ehemann von Teresa und sein Vater, Kunstsachverständiger
  • Miriam, Mulattin in Havana
  • Guillermo, ihr spanischer Liebhaber
  • Custardoy d.J., Bekannter von Juan aus Kindertagen
  • Berta, Freundin und Berufskollegin von Juan in New York
  • Villalobos, ein alter Freund des Vaters
Inhalt und Rezeption:

Wie zu Beginn eines spannenden Filmes berichtet der Ich-Erzähler, von man zunächst nur aufgrund der Zusammenfassung im Umschlag des Buches weiss, das er Juan heißt (im Roman wird der Name das erste Mal auf Seite 313 erwähnt) , vom überraschenden Selbstmord einer jungen Frau (Teresa), die sich während eines Mittagessens mit Gästen im Hause ihres Vaters eine Kugel ins Herz schießt. Der junge Ehemann Ranz (Vater von Juan) kommt mit seinem Schwager erst etwas später in das Haus. 

Die Erzählung schwenkt in die Gegenwart 400 Jahre später, wo der Ich-Erzähler die familiären Hintergründe erläutert und als selbst frisch Vermählter einige Betrachtungen zur Ehe anstellt. Er hadert durchaus mit seinem Status als Frischverheirateter, vermißt seine Freiheit (schon auf der Hochzeitsreise) und mag sich die Zukunft nicht vorstellen. Hier deutet sich schon an, dass es in der Rahmenhandlung um die Ehe von Juan mit Luisa gehen wird.

Aus diesen allgemeinen Gedanken entsteht plötzlich wieder Handlung, eine Geschichte, die sich während der Hochzeitsreise in Havanna zutrug. Luisa lag krank im Hotelbett, Juan beobachtet vom Balkon aus eine Mulattin auf der Strasse, die auf jemanden zu warten scheint, plötzlich nach oben schaut und ihn dort sieht als die vermeintliche Person, auf die sie wartet. Und ihn gleich beschimpft, das er schon hochgegangen sei und ihm droht, ihn umzubringen. Aber dann ergibt sich, dass ein Mann im Nebenzimmer auf sie wartet.

Nun ist der Ich-Erzähler aber sehr neugierig, was im Nachbarzimmer zwischen Miriam und dem Mann namens Guillermo gesprochen wird. Offenbar ist er ebenfalls ein Spanier, der des öfteren in Kuba weilt und seine Geliebten Miriam immer wieder hinhält, bis seine kranke Frau daheim in Spanien endlich gestorben ist. Sie hingegen fordert von ihm, seine Frau umzubringen oder sie würde sich selbst töten.

Dann geht Marias zeitlich ein Jahr zurück und beschreibt das Kennenlernen Juans und Luisas, was bei einem Treffen zweier Staatenlenker war, wo beide dolmetschen mussten und Juan sich einige Freiheiten in der Übersetzung herausnahm und damit das Gespräch signifikant beeinflusste.  Hierin wird auch das Shakespeare Zitat aus 'Macbeth' eingebaut:
"Meine Hände sind blutig, wie die deinen, doch ich schäme mich, daß mein Herz so weiss ist."
Nach der Hochzeit beginnt sich der Protagonist gleich zu Beginn der Ehe etwas unwohl zu fühlen, etwa die Veränderungen an Luisa oder ihrer gemeinsamen Wohnung festzustellen, ohne dass er -wegen seiner zahlreichen Abwesenheiten- eingebunden wäre. Bereits am Hochzeitstag fragt sein Vater, was er denn nun vorhätte, eine Frage, die er sich auch selbst stellt, aber keine Antwort hat. Und er gibt ihm den Rat, etwaige Geheimnisse niemals mit Luisa zu teilen.

Dann beschreibt Marias, wie Juan vom Tod seiner Tante erfahren hat, nämlich von einem alten Bekannten aus Kindertagen, Custardoy, den er aber nicht wirklich mag. Nach weiteren Betrachtungen über die Ehe schwenkt die Geschichte wieder in die jüngere Vergangenheit zu einer Freundin Juans in New York, Berta, bei der er immer wohnt, wenn er dort zwei Monate pro Jahr arbeiten muss. Diese sucht einen neuen Partner über Partnervermittlungen, fühlt sich aber aufgrund von körperlichen Einschränkungen nach einem schweren Unfall eher unattraktiv. Juan stimmt zu, einem Unbekannten (den er für Guillermo hält), der über Postfächer mit Berta in Kontakt steht, am Postfach abzufangen, um mehr über ihn herauszufinden und Berta die Entscheidung über ihr weiteres Vorgehen zu erleichtern, bevor sie ihn schließlich trifft. Das ist dann wie eine Kurz- oder fast schon Langgeschichte in den Roman eingebettet.

In der Rahmenhandlung geht es dann wieder um die Entwicklung der Ehe. Juan beginnt Luisa zu misstrauen, achtet auf kleinste Veränderungen und vermutet eine Affäre ausgerechnet mit Custardoy. Während eines beruflichen Aufenthaltes in Genf und während des Besuches seiner Frau dort kommt Professor Villalobos zu Besuch und während eines Dinners erfährt Juan gegen seinen Willen mehr über seine Familie, etwa über die Umstände des Todes seiner Tante oder dass sein Vater vorher bereits in Kuba mit einer Frau zusammen war, die offenbar bei einem Feuer umkam.

Juan kehrt aus einen Tag früher nach Hause zurück ohne dies Luisa anzukündigen. Die Wohnung ist leer, Juan schläft kurz ein und als er wieder aufwacht hört er Stimmen, Luisa hat seinen Vater mit nach Hause gebracht. Unbemerkt lauscht er und erfährt dann, dass sein Vater seine erste Frau ermordete, um mit Teresa zusammen zu sein und weil er ihr das schließlich gebeichtet hat, hat sich Teresa selbst umgebracht, da sie sich schuldig fühlt, weil sie aus Liebe zu Rant mal erwähnt hatte, dass nur der Tod seiner Frau ihre Liebe möglich machen würde. Hier schließt sich der Kreis, der zur anfänglichen Erzählung über den Selbstmord und der zur Erzählung Juans aus Havanna. 


Lesespaßfaktor:

Dieser tolle Roman ist nicht durch eine odere mehrere Handlungen geprägt, sondern durch Reflektionen und Gedanken des Ich-Erzählers. Auch wenn es einige Handlungen oder besser kleine Geschichten in diesem Roman gibt, die sehr geschickt über verschiedenen zeitliche Ebenen miteinander verwoben werden. 

Gerade der Anfang zieht den Leser in den Bann, stilistisch gut gemacht, auch etwa mit dem Perspektivwechsels nach dem Suizid vom Vater der Toten hin zur Bediensteten, die sich um die schmelzende Eistorte sorgt. 

Es geht viel um den Tod, es geht viel um die Ehe (“Es geht vielmehr darum, daß das Zusammensein mit jemanden zum großen Teil darin besteht, mit lauter Stimme zu denken, das heißt, alles zweimal statt einmal zu denken, einmal mit dem Denken und einmal mit der Erzählung, die Ehe ist eine Institution, die dem Erzählen dient.”) und auch um die Liebe, die in eine Ehe münden kann oder auch nicht. 

Es gibt aber auch ein paar Längen, wie etwa die seitenweisen Betrachtungen über den Gesang der Großmutter Juans, die Beschreibungen der Arbeit als Dolmetscher oder die Tätigkeit seines Vaters als Kunstsachverständiger im Prado.

Der Roman ist auch mehr als 30 Jahre nach seinem Erscheinen brandaktuell. Die Suche nach dem Sinn in einer Beziehung ist ein ewig gültiges Thema. Das Buch ist sprachlich noch voll auf der Höhe, die Erzählkunst von Javier Marias wird bestimmt auch in nochmals 30 Jahren aktuell bleiben

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