Mittwoch, 20. März 2024

Colson Whitehead - Underground Railroad

 


Autor:

Whitehead ist ein afro-amerikanischer Schriftsteller, der 1969 geboren wurde. Nach seinem Studium in Harvard hat er an zahlreichen renommierten Bildungseinrichtungen in den USA doziert. Er hat bislang 6sechs Romane veröffentlicht, von denen zwei den Pulitzer Preis erhielten, was überhaupt erst drei Autoren gelungen ist. 

Buch:

Dieser Roman wurde 2016 veröffentlicht und erhielt zahlreiche Preise, darunter den Pulitzer Preis für Fiktion. Aufmerksam geworden bin ich auf das Buch durch eine Empfehlungsliste in einer Tageszeitung.

Hauptfiguren:
  • Cora alias Bessie Carpenter, eine entflohene Sklavin
  • Ajarry, ihre Großmutter
  • Mabel, ihre Mutter
  • Lovey, eine Freundin in jungen Jahren
  • Caesar, alias Christian Markson, Feldarbeiter auf der Plantage und Initiator der Flucht
  • James und Terrance Randall, Söhne des Sklavenbesitzers
  • Arnold Ridgeway, Sklavenfänger
  • Mr. Fletcher, ein weißer Farmer und Abolitionist
  • Sam, Stationsvorsteher der Underground Railway in South Carolina
  • Martin, Stationsvorsteher der Underground Railway in North Carolina
  • Ethel, seine Frau
  • Royal, ein Freund und Retter Coras, Mitarbeiter bei der Railroad
Inhalt und Rezeption:

Die Geschichte beginnt mit der Verschleppung von Coras Großmutter als Sklavin nach Amerika, wo sie unter fürchterlichen Bedingungen auf verschiedenen Plantagen (Zucker, Tabak, Baumwolle) arbeiten muss. Von vier Männer bekam sie fünf Kinder, von denen nur Coras Mutter überlebte. Als Cora 11 Jahre alt ist, verschwindet die Mutter. Sie hat ein winziges Stück Land von ihrer Mutter geerbt, das man ihr aber sofort streitig macht. Als sie etwas älter ist, wird sie von anderen Sklaven vergewaltigt. Während einer Geburtstagsfeier des ältesten Sklaven wird Cora von Caesar angesprochen, der mit ihr zusammen abhauen will. Es wird dem Leser aber nicht deutlich, warum er sie dafür ausgewählt hat, denn sie hatten bis dahin keinen wirklichen Kontakt. Der einzige Hinweis ist, dass eben auch Coras Mutter verschwunden ist und nicht wieder aufgegriffen wurde. Zunächst sagt sie nein, aber nachdem sie dann schwer verprügelt wurde, weil sie auf der Feier einem Jungen, der ebenfalls den Unmut der Herren auf sich gezogen hatte, zur Hilfe eilte, ändert sie ihre Meinung.

Der Leser erfährt kurz etwas über das Schicksal von Caesar, der erst im Norden lebte, dort sogar lesen lernte und eigentlich aus der Sklaverei entlassen werden sollte, dann aber doch in den Süden verkauft wurde. Er lernt Mr. Fletcher kennen, einen Abolitionisten (Gegner der Sklaverei), der ihnen bei der Flucht helfen will und den Zugang zur Underground Railway (System zur Unterstützung entflohener Sklaven auf ihrer Flucht) verschaffen will. Der Tag der Flucht rückt näher. Überraschenderweise schließt sich Lovey den beiden an, sie wandern durch die Sümpfe in Richtung Norden zum Treffpunkt mit Mr. Fletcher. Unterwegs warten aber schon die Sklavenjäger, nur Caesar und Cora können sich behaupten -allerdings erschlägt Cora dabei einen erst 12-jährigen Jäger- und fliehen zusammen weiter. Schließlich erreichen sie Mr. Fletchers Farm, der sie per Auto weiterbringt zur Underground Railway, mit der sie dann nach South Carolina fahren.

Vorgestellt wird im nächsten Kapitel der Sklavenjäger Arnold Ridgeway, der von Coras und Caesars Eigentümer beauftragt wird, sie wieder einzufangen.

Cora und Caesar bekommen neue Identitäten und leben -als formell vom Staat gekaufte ehemalige Sklaven zunächst in einer größeren Stadt in South Carolina, Cora als Hausangestellte der Andersons, Caesar als Fabrikarbeiter. Nur ganz langsam können sie ihr furchtbares Leben auf der Plantage hinter sich lassen. Cora bekommt eine Anstellung im Museum der Naturwunder, als Darstellerin afrikanischer Bräuche -quasi ein lebendiges Ausstellungsstück! Von staatlich finanzierten Ärzten wird Cora untersucht, ihr wird eine Sterilisation ans Herz gelegt. Der amerikanische Staat versuchte damals, hierdurch die hohen Geburtenraten der schwarzen Bevölkerung in den Griff zu bekommen! Auch wieder das Motiv der Demütigung und der Illusion von Freiheit. Eines Tages ruft Sam sie zu sich, um von diesen und anderen medizinischen Experimenten an Schwarzen zu berichten und ein paar Tage später auch vom Sklavenjäger Ridgeway zu berichten, der nach ihnen suchen würde. Cora kann gerade noch in den unterirdischen Bahnhof unter Sams Haus fliehen, bevor dieses in Flammen aufgeht. Sie ist tagelang quasi eingesperrt, bevor endlich doch ein Zug kommt und sie mitnimmt. Caesar ist verschwunden.

Aussteigen kann sie an einem eigentlich still gelegten Bahnhof in North Carolina, wo der Stationsvorsteher Martin sie zunächst mit in sein Haus nimmt und dort auf dem Spitzboden versteckt hält. Aufgrund der schwierigen Verhältnisse in South Carolina und der Angst ihrer "Gastgeber" muss sie monatelang dort ausharren, nur mit der aller notdürftigsten Versorgung. Ist das wirklich besser als ein Leben als Sklavin? Schließlich wird sie bei einer der vielen Durchsuchungen des Hauses entdeckt, das Hausmädchen hatte Verdacht geschöpft und die Behörden informiert. Ridgeway ist auch schon da und nimmt sie mit. Ihre Helfer Martin und Ethel werden vom Mob gesteinigt. 

Auf der Fahrt in Richtung Georgia durchqueren sie das durch einen verheerenden Brand verwüstete Tennessee. Ridgeway erzählt Cora schließlich, dass auch Caesar es nicht geschafft hatte und schon vor längerer Zeit den Tod gefunden hatte. Dann erscheinen plötzlich drei bewaffnete Farbige -einer heißt Royal und ist schon länger in der Anti-Sklaverei Bewegung tätig und bei der Railroad aktiv-und befreien Cora aus Ridgeways Klauen. 

Schnitt: Cora ist auf der Valentin Farm in Indiana untergekommen. Hier ergeht es den Schwarzen viel besser, sie müssen/können zwar arbeiten, sind aber frei. Royal nimmt Cora eines Tages mit zu einer verlassenen Station der Underground Railroad, dabei erinnert sich Cora an ihre Rettung in Tennessee und wie sie nach Indiana gekommen war. Als aber auf der Farm eine große Versammlung abgehalten wird, überfallen Weiße, denen auch in Indiana eine erfolgreiche schwarze Farm unheimlich ist, die Versammelten und töten zahlreiche Bewohner, darunter auch Royal. Merke, auch wenn Schwarze vermeintlich frei leben dürfen, leben sie praktisch aber doch noch wie Sklaven. Zu den marodierenden Weißen gehört auch Ridgeway, der Cora also erneut einfangen kann, auch wenn ihr Sklavenhalter in Georgia längst verstorben ist.

Aufgeklärt wird auch noch das Schicksal von Coras Mutter. Tatsächlich ist sie eines Nachts entflohen, wollte aber nach wenigen Stunden wieder zurück zu ihrer Tochter, wurde dann aber von einer giftigen Schlange gebissen und starb daran, im Sumpf versinkend. Schließlich kann Cora Ridgeway erneut entkommen, bei dem Gerangel kommt er ums Leben. Durch den Tunnel der stillgelegten Underground Railway Station, die Royal ihr gezeigt hatte, flieht sie per Draisine und zu Fuß und trifft schließlich ein Schwarzen auf einem Kutschbock, der mitnimmt in Richtung Norden. Ende der wunderbaren Geschichte, die eigentlich nicht zu Ende ist und irgendwie auch immer so weiter gehen könnte.

Lesespaßfaktor:

Das brutale Leben in der Sklaverei wird hier aus Sicht der jungen Cora erzählt. Die Sklaven sind -keine neue Erkenntnis- immerwährender Demütigung und Gewalt ausgesetzt. Der Sklave ist ein Vermögenswert, atmendes Kapital, fleischgewordener Profit, wie Whitehead es ausdrückt. Was die Erzählung aber sehr lesenswert macht, sind die häufigen Wechsel der Zeiten. Ohne Vorwarnung wird dann etwa von der Flucht der Mutter Coras erzählt, eingebettet in die Geschichte von Cora selbst. Das erfordert volle Konzentration, bringt aber in der Summe auch gutes Verständnis für die Periode der Sklaverei, die mehrere Generationen umfasste. 

Die Underground Railroad ist eine Fiktion, die der Geschichte einen guten Rahmen gibt. Ein tolles Buch, das einen enormen Lese-Sog entfaltet und dessen herausragende Qualität ich hier als eine Sammlung von Zitaten vorstellen möchte.
"In ihrer Erschütterung entfärbte sich die Welt für sie zu grauen Eindrücken."

"Es gab eine Ordnung von Elend, ein in anderem Elend steckendes Elend, ..."

"Die Welt hatte einem nichts mehr zu bieten als die neuesten Varianten von Grausamkeit." 

"Der weiße Südstaatler entsprang den Lenden des Teufels, und welche Übeltat er als nächstes begehen würde, war nicht vorherzusagen. 

"Methodisten und ihre Albernheiten hatten am Busen von König Baumwolle nichts zu suchen." 

"Hier lag der wahre große Geist, der göttliche Strang, der alles menschliche Streben miteinander verband -wenn du es halten kannst, gehört es dir. Dein Eigentum, ob Sklave oder Kontinent. Der amerikanische Imperativ." 

"Geraubte Körper bearbeiten geraubtes Land." 

Im Tod wurde der Neger zu einem Menschen. Erst da war er dem Weißen gleichberechtigt." 

"Alle Menschen sind gleich, es sei denn, wir entscheiden, dass du kein Mensch bist."

"Manchmal ist eine nützliche Illusion besser als eine nutzlose Wahrheit." 

 

Samstag, 9. März 2024

Franz Kafka - Der Proceß

 

Autor:

Franz Kafka wurde 1883 in Prag als Sohn jüdischer Eltern geboren. In der Stadt blieb er fast sein ganzes Leben. Nach seiner Promotion als Jurist 1906 begann er ein Jahr später in der Prager Filiale einer italienischen Versicherungsgesellschaft zu arbeiten und wechselte wiederum ein Jahr später in die Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt, wo er bis zur vorzeitigen Pensionierung 1922 arbeitete. Er starb sehr jung an der Folgen einer Tuberkulose 1924. Viele seiner Werke wurden erst posthum durch seinen Freund Max Brod veröffentlicht, übrigens gegen seinen Willen. Daher sind auch viele Texte unvollendet. Seine Art der Schilderung von unergründlich bedrohlichen und absurden Situationen hat zur Bildung des auch im außerliterarischen Kontext verwendeten Adjektivs „kafkaesk“ geführt. Insbesondere seine schwierige Beziehung zum Vater hat Kafka in seinen Werken immer wieder thematisiert.

Buch:

Der Anlass für die Lektüre ist die gestrige Lesung des deutschen Schriftstellers Rüdiger Safranski, der eine neue Biografie über Kafka verfasst hat anlässlich seines 100. Todestages. Dieses Buch ist einer der drei unvollendeten Romane Kafkas und wurde 1914/15 geschrieben. Kurz vor Schreibbeginn war Kafkas Verlobung unter Anwesenheit der Familie seiner Verlobten aufgelöst worden, ein Ereignis, das er als Gerichtshof empfang. Und mit Attentat von Sarajevo begann der erste Weltkrieg. Das Buch wurde nicht in einer bestimmten Reihenfolge geschrieben und aufgrund einer Schreibblockade (nur bezogen auf dieses Werk) nicht vollendet.

Hauptfiguren:
  • Josef K., Prokurist in einer Bank
  • Elsa, seine Verlobte
  • Frau Grubach, seine Vermieterin
  • Fräulein Bürstner, seine Zimmernachbarin
  • Albert, sein Onkel
  • Leni, Pflegerin des Anwaltfreundes seines Onkels
  • Dr. Huld, Armenanwalt und Freund von Albert
  • Titorelli , Gerichtsmaler

Inhalt und Rezeption:

Für ihn völlig unvermittelt und grundlos wird Josef K. an seinem 30. Geburtstag in seinem Zimmer in der Wohnung von Frau Grubach durch zwei Beamte (Franz und Willem) verhaftet. Dabei muss er erst noch einige Zeit in seinem eigenen Zimmer warten, während die beiden Aufseher im Nebenzimmer warten, bis der Aufseher ihn rufen lässt. Konkretes erfährt er nicht, aber Andeutungen, seine Schuld wiege doch schwer. Irritierenderweise darf er danach in seine Bank zur Arbeit gehen, in Begleitung dreier junger Männer, die alle Beamte seiner Bank sind. Abends entschuldigt sich er (warum eigentlich?) sowohl bei Frau Grubach als bei Fräulein Bürstner. 

Für den Sonntag danach wird K. in eine Wohnung in einem Mietshaus zur Vernehmung bestellt, aber so wie man ihm nicht den Grund für die Verhaftung nannte, nennt man ihm weder den genauen Ort der Vernehmung noch die Uhrzeit, sondern nur die Adresse. Am Haus angekommen, irrt er umher und als er schließlich den Ort findet, heißt es lapidar, er sein zu spät. Und warum die Verhandlung dort öffentlich ist und viele Leute anwesend sind, das bleibt verborgen. Aber als der Untersuchungsrichter K. mit einem anderen Namen anspricht, meint man, dass K. hier wohl fälschlicherweise als Angeklagter steht. K. redet sich etwas um Kopf und Kragen und klagt die Obrigkeit im allgemeinen an.

Am nächsten Sonntag geht er wieder dort hin, ohne dass er aber einbestellt wurde. Er unterhält sich eine Weile mit der Frau des Gerichtsdieners, schließlich kommt dieser aber heim und geht mit K. eine Etage höher, wo sich ein seltsames Bürolabyrinth befindet, das die Kanzleien genannt wird. Hier fühlt er sich seltsam benommen, was aber wieder verschwindet, sobald er diesen seltsamen Ort verlassen hat. Alles ist seltsam beklemmend.

Einige Tage später hört K. in seiner Bank Seufzer aus einer Rumpelkammer dringen. Als er neugierig die Tür öffnet entdeckt er die beiden Diener Franz und Willem, die dort verprügelt werden sollen, weil er sich beim Untersuchungsrichter über sie beschwert habe. Er hat Mitleid und will das mittels Bestechung des Prüglers verhindern, was aber nicht funktioniert.

K.'s Onkel Albert kommt zu ihm in die Bank, da er von dem Proceß gehört hat und sich nun Sorgen um ihn macht (auch um den Ruf der Familie). Deshalb zerrt er K. zu einem alten Freund, der Armenanwalt ist. Dort hält sich auch noch ein Kanzleidirektor auf sowie die Pflegerin des Anwalts (Lena), die K. näher kennenlernen will und mit ihm anbändelt. Warum sie auch schon von dem Proceß weiß, bleibt unklar.  Jedenfalls rät sie K., künftig weniger unnachgiebig zu sein, um seine Aussichten in dem Proceß zu verbessern. Er solle einfach ein Geständnis ablegen, weil man sich gegen das Gericht nicht wehren könne. Sein Onkel ist entrüstet, dass K. einfach mit Lena für ein paar Stunden verschwunden ist, statt sich mit dem Anwalt zu unterhalten.

K. hat noch mehrere Besprechungen mit Dr. Huld, der in indirekter Rede in extensio (=langatmig) die positive Rolle eines Anwalts beschreibt. In der Bank besucht ihn ein Fabrikant (=Kunde), der ihm vom Gerichtsmaler Titorelli berichtet, der ihm vielleicht bei seinem Proceß helfen kann. K. sucht ihn in seinem schäbigen Atelier auf. Titorelli teilt ihm als Vertrauter des Gerichtes mit, dass das Gericht noch niemals einen Angeklagten als unschuldig angesehen hat, daher auch eine wirkliche Freisprechung unmöglich ist. Mit seiner Hilfe möglich sei allerdings die scheinbare (zeitweise) Freisprechung durch die untersten Richter oder die Verschleppung, d.h. das kontinuierliche Bearbeiten (Bestechung?) der untersten Richter, so dass der Proceß dauernd verschoben wird.

Da sein Proceß nicht vorangeht beschließt K. seinen Anwalt zu feuern. Er geht also wieder zu Dr. Huld, um ihm seine Entscheidung mitzuteilen. Dort trifft er auf den Kaufmann Block, von dem er einiges über dessen eigenen Proceß erfährt, vor allem, dass er schon sehr lange dauere, dass er weitere Winkeladvokaten engagiert habe, aber ohne irgendeinen Nutzen und dass man eigentlich nichts tun kann, um seinen Proceß zu beschleunigen. Huld versucht aber K. von seinem Nutzen zu überzeugen und holt Block zu dem Gespräch, der sich nach den vielen Jahren seines Processes sehr demütig verhält, was seine Abhängigkeit unterstreichen soll. Das Kapitel endet mitten in dem Gespräch.

Von seinen Vorgesetzten in der Bank ist K. beauftragt worden, einem italienischen Kunden den lokalen Dom zu zeigen. Im Vorgespräch beim Direktor der Bank wird ein Treffen für 10 Uhr im Dom vereinbart, K. kommt aber warum auch immer erst um 11 Uhr dort an, meint pünktlich zu sein, trifft aber den Kunden nicht an. Statt dessen trifft er dort auf einen Geistlichen, der gleichzeitig Gefängniskaplan ist und der behauptet, ihn in die Kirche bestellt zu haben. Er teilt K. mit, sein Proceß stünde schlecht und erzählt ihm ein Gleichnis über einen Mann vom Lande, der in das Gericht (=Himmel?) eingelassen werden will, aber von einem Türsteher daran gehindert wird. Der Geistliche und K. interpretieren die Geschichte anschließend sehr unterschiedlich.

Und schließlich wird K. von zu Hause abgeholt, in eine Kiesgrube geführt und dort brutal mit einem Fleischermesser erstochen. Seine letzten Gedanken: "Wo war der Richter den er nie gesehen hatte? Wo war das hohe Gericht bis zu dem er nie gekommen war?"

Das Werk blieb wie erwähnt unvollendet, die einzelnen Kapitel wurden separat geschrieben und dann erst zusammengesetzt. Es gibt noch einige Fragmente weiterer Kapitel, die ich hier aber nicht weiter zusammenfassen will, der Roman wäre im Idealfall noch etwas umfassender gewesen und vielleicht wären die harten Übergänge zwischen vielen Kapiteln durch die unvollendeten weiteren Kapitel etwas besser zu verstehen gewesen.

Lesespaßfaktor:

Der Leser wird sofort in die Geschichte hineingezogen und vermutet auch bald staatliche Willkür bei der Verhaftung des Protagonisten. Es stellt sich Unbehagen ein, weil man zum einen nicht so genau weiß, was K. eigentlich passiert und weil K. durch sein Verhalten alles nur schlimmer macht. Diese Gefühle des Unbehagens beim Leser zu erzeugen, das ist schon große literarische Kunst. 

Alle Figuren scheinen immer schon von der Anklage gegen K. zu wissen, Kafka lässt es aber im Unklaren, woher und warum. Aber was ist der Grund für diesen Proceß? Welche vermeintliche Schuld hat K. auf sich geladen? Ist das vielleicht religiös zu sehen? 

Die Sprache ist sachlich nüchtern, so gar nicht emotional. Im Mittelteil des Buches, bei den langen Beschreibungen der Funktion des Anwalts durch Huld wird es etwas langweilig. 

Zunehmend wird auch deutlich, wie mächtig das Justizwesen ist, sowohl auf der Anklageseite als auch auf Seiten der Verteidigung; K. wird quasi vollständig davon absorbiert. Und kurz vor der Ermordung K. bringt die Parabel 'Vor dem Gesetz', die der Geistliche erzählt, erneut religiösen Interpretationsspielraum.

Das Werk ist etwas wie frühere Schullektüre. Es bietet zahlreiche Auslegungsansätze und die Fragen im Deutschunterricht schweben einem vor Augen. Aber es entfaltet dennoch einen gewissen Lese-Sog und ich verstehe, warum die Werke Kafkas auch heute noch zur Weltliteratur zählen.

Donnerstag, 29. Februar 2024

Primo Levi - Das periodische System

 

Autor:

Primo Levi ist eine jüdisch-italienischer Schriftsteller und Chemiker mit entsprechendem Universitätsabschluss, der den Holocaust in Auschwitz überlebt hat. Geboren wurde er 1919, gestorben ist er 1987, jeweils in Turin. Kurz vor dem 2. Weltkrieg war er Teil einer antifaschistischen Partisanengruppe, er wurde in dieser Rolle 1943 verhaftet. Er wurde vor die Wahl gestellt, als Partisan sofort erschossen zu werden oder aber als Jude inhaftiert zu werden, für letzteres entschied er sich und wurde dann zunächst in ein KZ in Italien gebracht, bevor er nach Auschwitz deportiert wurde. Nach seiner Befreiung 1945 kehrte er im Oktober desselben Jahres nach Italien zurück und begann direkt, seine Erfahrungen aufzuschreiben. Das erste dieser beiden Werke erschien bereits 1947, das zweite folgte 1963. Beruflich war Levi als Chemiker tätig und hat nur nebenbei geschrieben. Er starb durch einen Sturz in den Treppenschacht des Hauses, in dem er wohnte, die Umstände sind nicht ganz geklärt (Selbstmord oder medikamentenbedingter Unfall).

Sonntag, 28. Januar 2024

Jakob Wassermann - Romantrilogie: Der Fall Maurizius: Geschichte eines Justizirrtums und Familienkonflikte + Etzel Andergast + Joseph Kerkhovens dritte Existenz

 


Autor:

Jakob Wassermann wurde 1873 im fränkischen Fürth in eine jüdische Familie geboren. Eine Lehre als Kaufmann im elterlichen Betrieb brach er früh ab, weil er schreiben wollte. Nach einigen Jahren des Umherwanderns traf er in München auf einen Verleger, der ihm eine Anstellung bei der Zeitschrift 'Simplicissimus' verschaffte. Dort veröffentlichte er auch 1896 seinen ersten Roman und danach zahlreiche weitere Werke. Zusätzlich schrieb er für das Feuilleton der F.A.Z. In München freundete er sich mit Thomas Mann und Rainer Maria Rilke an. Wie bei so vielen Autoren dauerte es aber lange, bis seine Werke Anerkennung fanden. Erst 1915 hatte ein Roman eine höhere Auflage. Er schrieb ähnlich wie Stefan Zweig Bücher mit stark psychologischen Komponenten, konnte aber bei weitem nicht an den Erfolg Zweigs heranreichen. Dennoch zählte er vor dem zweiten Weltkrieg zu den meist gelesenen deutschen Autoren. 1933 wurden die Werke Wassermanns verboten und verbrannt, er war finanziell ruiniert und starb bereits 1934 in Altaussee in Österreich, wo er zuletzt mit seiner zweiten Frau lebte. 


Mittwoch, 20. Dezember 2023

Jon Fosse - Melancholie

 

Autor:

Jon Olav Fosse wurde 1959 in einer kleinen norwegischen Küstenstadt in eine Quäkerfamilie hinein geboren. Nach Abitur und Studium der Literaturwissenschaften, Psychologie und Soziologie begann er zunächst nebenberuflich mit dem Schreiben. Stark beeinflusst war seine Berufswahl von einem Unfallerlebnis als Kind, wobei nach einer schweren Schnittverletzung ein Nahtoderlebnis hatte, das ihn stark geprägt hatte. Fosse hat bisher vor allem als Dramatiker Erfolg, viele seiner Stücke finden sich auf Theaterbühnen wieder. In seinen Texten spielt Glaube und Religion oft eine wichtige Rolle, er selbst war zunächst ebenfalls Quäker, bevor dann zum Katholizismus konvertierte. Stilistisch werden seine Werke dem Postmodernismus zugerechnet. In diesem Jahr erhielt Fosse den Literatur Nobelpreis.

Donnerstag, 7. Dezember 2023

Matt Haig - Die Mitternachtsbibliothek

 

Autor:

Der Brite Haig wurde 1975 geboren und hat Englisch sowie Geschichte studiert. Bevor er ein Bestsellerautor wurde hat er auf Ibiza einen Club gemanaged, dort einen psychischen Zusammenbruch erlitten, der ihn anschließend verstärkt zum Schreiben veranlasst hat. Er schreibt neben fiktionalen Werken auch Sachbücher und arbeitet als Journalist. Viele seine Bücher, die Erwachsenen- und Jugendbücher umfassen, beschäftigen sich mit Phantastik. Seine ersten beiden Romane Anfang der 00 Jahre sind Neuerzählungen von Werken Shakespeares. Das bisher erfolgreichste Werk ' The Humans' erschien 2013

Montag, 4. Dezember 2023

Thomas Pynchon - Die Versteigerung von No. 49

 


Autor:

Pynchon, geb. 1937 auf Long Island in eine alte neuenglische Familie, ist ein Vertreter der literarischen Postmoderne und hat während seines Literaturstudiums u.a. bei Nabokov studiert. Nach Beginn seiner literarischen Karriere 1963, als sein prämierter Debütroman 'V.' erschien, lebte Pynchon an verschiedenen Orten der USA sehr zurückgezogen. Bisher sind 8 Romane sowie einige Kurzgeschichten erschienen. Als sein bedeutendstes Werk gilt der Roman 'Die Enden der Parabel aus dem Jahr 1973. Typisch für seinen Schreibstil sind Wechsel literarischer Gattungen innerhalb eines Werkes sowie eine komplexe Themenvielfalt. 

Buch:

Dieses Buch ist Pynchon zweiter Roman aus dem Jahr 1966 und da er als am zugänglichsten gilt, habe ich ihn mir zur Lektüre ausgewählt. Er gilt als ein Hauptwerk der Postmoderne. Gelesen habe ich die deutsche Übersetzung aus dem Jahre 1967 von der österreichischen Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek.

Hauptfiguren:
  • Oedipa Maas
  • Wendell (Mucho) Maas, ihr Mann, Diskjockey
  • Pierce Inverarity, ihr ehemaliger Geliebter (verstorben)
  • Dr. Hilarius, ihr Seelenklempner
  • Roseman, ihr Anwalt
  • Metzger, beigeordneter Testamentsvollstrcker
  • Manfred 'Manny' DiPresso, ein anderer Anwalt

Inhalt und Rezeption:

Oedipa Maas kommt angetrunken nach Hause und findet einen Brief vor, der sie als Testamentsvollstreckerin für einen gewissen Pierce Inverarity einsetzt, mit dem sie vor ihrer Hochzeit mit Wendell, einem Diskjockey im Radio, liiert war. Sie kann sich aber nicht erklären, warum er sie in diese Funktion eingesetzt hat, da sie sich ihm nicht mehr verbunden fühlt und fachlich sich ungeeignet fühlt. Dennoch fährt sie nach San Narciso, Pierces, Wohnort, um sich der Aufgabe zu stellen. Sie steigt in einem Motel ab, wo Metzger sie aufsucht und mit ihr einem Film schaut, in der er selber als Kind mitgespielt hat (sic!). Außerdem beginnen sie eine Affäre.

Oedipa beginnt mit der Sichtung des Nachlasses, etwa einer Briefmarkensammlung. Immer wieder blickt sie dabei zurück auf ihr Leben, etwa die Seitensprünge ihres Mannes mit minderjährigen Mädchen. Sie scheint sich dabei irgendwie selbst entdecken oder besser verstehen zu wollen. Man macht einen Ausflug, dort stiehlt die Gruppe ein Boot. Hier beginnt die Handlung in den Hintergrund zu treten. Zwar gibt es eine vermeintliche Geschichte, die aber wirkt eher kubistisch, zusammengesetzt aus lauter Einzelteilen, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben. allerlei windige Geschäfte, etwa Knochenhandel, werden aufgedeckt. Sie entdeckt ein Symbol, das für ein bestimmtes privates Postsystem (W:A:S:T:E:) stehen soll und worin irgendwie eine der Firmen verwickelt ist, die zum Nachlass zählen. 

Ziemlich langweilig ist dann die seitenlange Deskription eines Theaterstückes des fiktiven Autors Wharfingers, in dem erstmals das Postmonopol der Familie Thurn und Taxis erwähnt wird sowie das Wort 'Trystero' in einem Gedicht innerhalb des Stückes auftaucht, aber auch Oedipas Gespräch mit dem Regisseur sorgt nicht für irgendeine Aufklärung. Ausgerechnet beim Briefmarkenexperten taucht das o.e. Symbol wieder auf. Irgendwie geht es wieder um einen privaten Postdienst wie den von Thurn und Taxis im europäischen 14. bis 19. Jahrhundert im Wettbewerb zur öffentlichen Post. Oedipa sucht den Erfinder der Maschine und es folgen wirre Gedanken rund um den den Doppelbegriff 'Entropie', der sowohl eine physikalische als einen informationstechnologische Bedeutung hat. spätestens jetzt verliert der Autor mich! Die Protagonostin ist hinter dem wirren Zeichen her, versucht etwas zu entschlüsseln, verirrt sich von A nach B und findet am Ende doch keine Lösung. Das kann man natürlich alles mit einer furchtbar symbolischen Bedeutung aufblasen und an verschiedenen Stellen historischen Anspielungen finden, die die Belesenheit des Autor unterstreichen, man kann sich als Leser aber auch einfach furchtbar langweilen in den wirren Gedankengängen. So geht es mir. Nach der Hälfte des Buches höre ich auf zu lesen.


Lesespaßfaktor:

Pynchon ergeht sich oft in langen, mäandernden Sätzen, innerhalb derer sich  Gedanken von einem zum anderen entwickeln. Es gibt viele Anspielungen auf den amerikanischen Bürgerkrieg und andere historische Begebenheiten. Ein fiktives Theaterstück wird erfunden sowie bestimmte physikalische Maschinen ('Nefastis' Maschine), hier merkt man, das Pynchon zunächst Physik studiert hat. Das Ganze erinnert mich ein bisschen an den Joyce'schen Bewußtseinsstrom, mit dem ich auch gar nichts anfangen konnte.