Mittwoch, 30. September 2020

Honoré de Balzac - Vetter Pons

Nun gilt es einen Klassiker aus dem 19. Jahrhundert zu besprechen. In der Schule im Leistungskurs Französisch habe ich zum ersten Mal ein Werk von Balzac lesen müssen und sprachbedingt eigentlich nicht viel verstanden. Es handelte sich um "Vater Goriot". Viel später habe ich dann einige Klassiker der Weltliteratur günstig erworben und das wunderbare Buch "Verlorene Illusionen" gelesen. Im Bücherregal schlummern aber noch einige andere Werkes dieses Autors, unter anderem das hier vorzustellende Werk "Vetter Pons".


Autor:

Über Honoré de Balzac muss ich wohl nicht viel schreiben, er dürfte weithin bekannt sein. Balzac wurde 1799 in Tours geboren und starb vergleichsweise jung im Jahr 1850 und gilt im literarischen Sinn als Romantiker. Seit dem oben erwähnten Buch "Vater Goriot" lässt er verschiedene Figuren in seinen nachfolgenden Romanen immer wieder auftreten. Sein Hauptwerk ist der sehr umfangreiche Zyklus "Die Menschliche Komödie", die ursprünglich fast 140 Romane enthalten sollte. Immerhin 91 Werke wurden fertiggestellt. Das lässt bereits auf den unglaublichen Schaffensdrang Balzacs schließen. Wer mehr über diesen Titan der Weltliteratur erfahren möchte, dem empfehle ich die wunderbare, fesselnde Biografie von Stefan Zweig.


Buch:

Dieses Buch, das in seinem Langtitel "Vetter Pons oder Die beiden Musiker" heißt, ist das viertletzte Werk aus der Menschlichen Komödie, es erschien 1847 und gehört zu den Sittenstudien, Szenen aus dem Pariser Leben. Es handelt von dem Komponisten und Dirigenten Sylvain Pons und seinem deutschen Freund Wilhelm Schmucke, zusammen mit Pons ebenfalls Musiker in einem kleinen Theater in Paris. Die Geschichte erzählt von den Verwicklungen und Intrigen im Leben ebendieses Pons, Feingeist und Kunstsammler, der gutes Essen liebt, es sich aber nicht leisten kann und daher viele Jahre in besseren Familien verkehrt und sich dort aushalten lässt. Dieses angenehme Leben bricht dann im Laufe dieser Geschichte schlagartig zusammen.

Inhalt und Rezeption:

Pons ist Musiker und Kunstsammler, ein Mann mit veraltetem Kleidungsstil, der als hässlich beschrieben wird und dementsprechend unverheiratet ist. Er wohnt in einer Wohnung, die das Portierehepaar Cibot betreut, zusammen mit seinem treusorgenden deutschen Freund Schmucke. Seine echte Familie besteht nur aus einem 'richtigen' Vetter 2. Grades, dem Gerichtspräsidenten Camusot de Marville, der eine Pons nicht besonders zugeneigte Frau und eine Tochter Cécile hat. Alle anderen sind 'unechte' Vettern aus der zweiten Ehe des Mannes seiner Schwester. Pons ist auch ein Feinschmecker und liebt es, sich bei den echten und unechten Verwandten an ihren Tafel verköstigen zu lassen. Das kommt nicht bei allen gut an, insbesondere die Angestellten in diesen besseren Häusern machen sich oft über ihn lustig, was Pons, wenn er es denn mal mitbekommt, überaus traurig stimmt.

Die tragische Geschichte beginnt, als Pons Cécile verheiraten will an den wohlhabenden, aber zwielichtigen deutschen Bankier Fritz Brunner, den er über einen seiner Musikerkollegen kennengelernt hat. Céciles Mutter ist voller Vorfreude in der Erwartung eines stattliches Vermögens, aber während des aufwändig arrangierten Kennenlernens macht Brunner plötzlich einen Rückzieher, als er erfährt, dass Cécile eine Einzelkind ist und damit aus seiner Sicht total verzogen sein muss. Die Schuld für diese furchtbare Peinlichkeit wird Pons angelastet, der den Bankier in die Familie eingeführt hat, er wird daher von den Camusots, aber auch von der ganzen Gesellschaft verstoßen. Pons wird daraufhin depressiv und liegt zu Hause krank im Bett. Gepflegt wird er von der Portiersfrau Cibot, die nun ihrerseits die Chance wittert, sich als Erbin von Pons einsetzen zu lassen und an das erhebliche Vermögen aus seiner Kunstsammlung zu gelangen. Hierfür intrigiert sie zusammen mit dem jüdischen Kunstkenner Elias Magus, dem Hausarzt Poulain, dem Juristen Fraisier sowie dem Nachbarn Rémonencq gegen Pons, spielt dem Ahnungslosen ihre grenzenlose Fürsorge vor und hofft auf eine Berücksichtigung im Testament.

Nach und nach wird deutlich, dass von all diesen Intriganten jeder wiederum seine eigene Strategie verfolgt und die jeweils anderen betrügt, um selbst an den Großteil des erwarteten Vermögens von Pons zu gelangen. Kurz vor seinem Tod erkennt Pons zwar noch das ganze Ausmaß des Betrugs und versucht seinerseits und mit Hilfe seines Freundes Schnucke die Aasgeier gegeneinander auszuspielen, um seinen Freund als Alleinerbe einzusetzen, aber Schmucke ist so schmerzhaft naiv in seiner Trauer, dass er nach dem Tod von Pons ebenfalls übervorteilt wird und selbst nach einem Schlaganfall, den er vor lauter Schmerz über die üble Welt erleidet, nur wenige Tage nach Pons verstirbt. Das Erbe fällt am Ende ausgerechnet dem einzigen lebenden Verwandten zu, seinem Vetter Camusot. Und die Portiersfrau Cibot, die ohne ihr Wissen ihren Mann durch eine Vergiftung durch den Nachbarn verliert, heiratet diesen Rémonencq, der wiederum versehentlich durch sein eigenes Gift stirbt, und kommt doch noch zu bescheidenem Wohlstand.

Wenn man sich auf den feinen, genau beobachteten Stil von Balzac einlässt, dann erfährt man viel über die Lebensumstände und Träume der verschiedenen Klassen im Paris des 19. Jahrhunderts. Herausstechen aber die messerscharfen Charakterbeschreibungen der Protagonisten, die Naivität von Pons, die fast dümmliche Ergebenheit seines Freundes Schmucke, die Hintertriebenheit der Portiersfrau Cibot und all ihrer Mitsreiter in ihrer Hoffnung auf Wohlstand. Neben der eigentlichen Geschichte, wo man schmerzhaft verfolgt, wie das Desaster immer schneller auf Pons zukommt, sind aber auch die vielen kleinen Ausschweifungen über die Kunst oder die Astrologie sehr lesenswert. Und immer wieder durchziehen kleine humoristische Spitzen oder verächtliche Bemerkungen über die Deutschen den Roman. Hier ein paar Beispiele:

"Er war wahrlich eine typisch deutsche Erscheinung: viel Judenschläue und viel Einfalt, Dummheit und Mut, ein Wissen, das Langeweile erregt, eine Erfahrung, welche durch die geringsten Kinderei zu etwas Unnützem wird, Mißbrauch von Bier und Tabak."

"... Freien Reichsstadt Frankfurt am Main machte, in der, wie es heißt, die Millionäre ein Stadtgesetz erlassen möchten, das die Frauen zwingen soll, sie ganz allein zu lieben. Die Deutsche liebt liebte die unterschiedlichen Essigsorten, die von den Deutschen gemeinhin Rheinweine genannt. werden."

" Man muss in Deutschland gegessen und mitangesehen haben, wie die Flaschen einander folgen wie Welle auf Welle an einem schönen Mittelmeerstrand und wie sie verschwinden, als besäßen die Deutschen die die Saugfähigkeit des Schwamms und des Sandes, aber in vollster Harmonie, ohne den französischen Lärm."

Im letzten Drittel schreitet dann fast nur die Geschichte unerbittlich voran, die gedanklichen Ausflüge nach rechts und links werden weniger, dafür steigt die Spannung. Mir hat es mal wieder viel Freude bereitet, Balzac zu lesen. Nun möchte ich nicht gleich die ganze Comedie Humaine am Stück lesen, aber von Zeit zu Zeit mal wieder in das 19. Jahrhundert in das Pariser Leben einzutauchen, das ist schon sehr lesens- und lohnenswert.

Lesespaßfaktor:


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