Mittwoch, 5. Mai 2021

Edward M. Forster - Wiedersehen in Howards End

 



Autor: 

Edward Morgan Forster ist ein britischer Schriftsteller (1879 - 1970), der aufgrund seiner Gesellschaftsromane bekannt wurde. Sein Vater verstarb früh, er wurde von seiner Mutter und seinen Tanten aufgezogen. Nach der Schule und Studium der Philologie in Cambridge sowie Reisen mit seiner Mutter nach Italien und nach Griechenland arbeitete er zeitweise als Hauslehrer in Pommern. Sein erster Roman erschien 1905. Vor dem 1. Weltkrieg arbeitete er in der National Gallery in London, im Krieg diente er für das Rote Kreuz in Ägypten. Ab 1921 arbeitete er in Indien, wo auch schon 1924 sein letzter Roman erschien.


Buch:

Dieses Buch erschien 1910 als sein vorletzter Roman. Er gilt laut zahlreicher internationaler Kritiker als einer der bedeutendsten britischen Romane. Die deutsche Übersetzung erschien erst 1949 und liegt auch dem hier besprochenen Buch aus der Edition der Süddeutschen Zeitung zugrunde.

Personen:

Helen Schlegel, ihre englische Mutter und ihr deutscher Vater sind verstorben
Margaret 'Meg' Schlegel, ihre ältere Schwester, 29 Jahre alt
Theobald 'Tibby' Schlegel, ihr jüngerer Bruder
Juley Munt, Tante von Helen und Meg
Frieda Mosebach, ihre Cousine
Herr Liesecke, Friedas Verlobter
Mrs. Ruth Wilcox, 51 Jahre
Mr. Henry Wilcox
Evie Wilcox, ihre Tochter
Paul Wilcox, jüngerer Sohn
Charles Wilcox, älterer Sohn
Dolly Wilcox, geb. Fussell, seine Ehefrau
Percy Cahill, Evies Verlobter
Leonard Blast, Angestellter bei einer Versicherung
Jacky, seine Verlobte, 33 Jahre


Inhalt und Rezeption:

Helen schreibt ihrer Schwester und berichtet von ihrem Aufenthalt bei den Wilcox, in Howards End, dem Landhaus von Mrs. Wilcox, die sie beide im letzten Jahr in Deutschland kennengelernt hatten. Als sie ihr mitteilt, dass sie sich in den jüngsten Sohn Paul verliebt habe, schickt ihre Schwester die gemeinsame Tante Juley, die sich nach dem Tod der Mutter um sie gekümmert hatte, in das Haus der Wilcox. Noch während diese unterwegs ist telegrafiert Helen aber ihrer Schwester, die Beziehung sei schon wieder zu Ende. Als sie vor Ort ankommt kommt es zu einem netten Missverständnis, da sie glaubt, ebendiesen Paul am Bahnhof getroffen zu haben, in Wahrheit handelt es sich aber um den älteren Bruder Charles; sie kabbeln sich um den jeweiligen Schutz ihrer Familien und einige peinliche Missverständnisse entstehen. Es ist schon amüsant zu lesen, wie Anfang des 20. Jahrhunderts ein Kuss als das große Heiratsversprechen angesehen wurde und wenn dann daraus nichts wurde, die Katastrophe vollkommen war. 

Die beiden Schwestern sind einige Zeit später mit einigen Bekannten in einem Konzert, versehentlich nimmt Helen einen Regenschirm von Leonard Bast, einem jungen Mann, der in sehr ärmlichen Verhältnissen lebt, aber immer davon träumt, eines Tages ganz nach oben zu kommen. Er kommt später zu ihnen, um den Schirm abzuholen, einige Monate später kreuzen sich die Wege erneut, allerdings in einer recht überflüssigen Geschichte, die auch deutlich macht, wie sehr die Schlegels als Synonym für die bessere Gesellschaft den einfachen Angestellten arrogant von oben herab behandeln und deren Bildung sie als nicht gleichwertig betrachten ("er braucht nicht mehr Bücher zum Lesen, sondern er muss lernen, Bücher richtig zu lesen.").

Die Wilcox mieten in London eine Wohnung gegenüber der Schlegel Schwestern. Nach anfänglichem Zögern wegen der Geschichte mit Helen nimmt Meg aber dennoch Kontakt zu Mrs. Wilcox auf. Selbige stirbt überraschend kurze Zeit später, noch größer ist die Überraschung für die Familie Wilcox, als ein Zettel auftaucht, der das Haus in Howards End Meg -ohne ihr Wissen allerdings- vermacht, da sie für ihr Haus einen geistigen Erben suchte, aber die Wilcox verbrennen den Zettel und ignorieren den Wunsch der Toten und sind auf Meg nicht gut zu sprechen. Später vermieten sie Howards End. Nach und nach kommen sich Mr. Wilcox und Meg näher. Er bietet ihr an, sein Haus an sie zu vermieten, da sie aus dem bisherigen Wohnsitz ausziehen muss, während der Besichtigung macht er ihr plötzlich einen Heiratsantrag ("Doch war der Heiratsantrag nicht von solcher Art, dass man ihn unter die großen Liebesszenen der Weltgeschichte zählen könnte.") und auch wenn Helen ihr abrät nimmt Meg den Antrag an. Wunderbar, wie sie dann auf die ganz praktischen Themen während der Hochzeitsvorbereitungen eingeht, diese Ehe ist mehr Vernunft denn Liebe.

Eigentlich passen Meg und Henry überhaupt nicht zusammen, sie die quirlige, Menschen zugewandte, er der rein praktische, gefühlsarme Unternehmer. Auch die jeweiligen Familien sehen die Verbindung skeptisch. Die Geschichte entwickelt sich dann weiter, Henrys Tochter heiratet, die Vorbereitung und die Feier wird etwas in die Länge gezogen beschrieben. Durch den Besuch der Basts auf der Hochzeitsgesellschaft, er hat seinen Job verloren und macht Henry wegen schlechter Beratung dafür verantwortlich, kommt dann zu Tage, dass Henry vor ca. 10 Jahre eine Affäre ausgerechnet mit der dümmlichen Jacky hatte. Das wiederum gibt Meg zu denken, soll sie Henry dennoch heiraten?

Helen ist so außer sich über das den Bast widerfahrenden Unrechts, dass sie beschließt, eine große Summe ihres Vermögens an das Paar zu verschenken, die aber lehnen ab und sind dann unbekannt verzogen. Sie reist daraufhin ins Ausland. Meg und Henry heiraten in aller Stille, was Forster eine herrlich ironische Anmerkung machen lässt:
"Sie, die monogam Veranlagte, bedauerte, dass sie nun an manch unschuldigem Duft des Lebens nicht teilhaben konnte; er, dessen Triebe polygam beschaffen waren, fühlt sich durch die Veränderung in seinem Leben moralisch gestärkt und weniger anfällig für die Versuchungen, mit denen er in der Vergangenheit zu kämpfen gehabt hatte."
Die Beziehung der beiden Schwestern ist schlecht geworden, sie sehen sich kaum noch, Meg vermutet gar eine Geisteskrankheit. Als Helen anlässlich der Krankheit der Tante nach England zurückkehrt, lotst Meg sie nach Howards End, wo sie ihre eingelagerten Bücher fände, die sie holen wollte. Tatsächlich ist Helen aber schwanger. Interessanterweise wird zunächst nicht aufgeklärt, wer der Vater ist, nur, dass Helen künftig mit einer Freundin in München leben will. Da versehentlich alle Möbel von Meg in Howards End ausgepackt wurden, wirkt das nicht bewohnte Haus wie ihr gemeinsames Zuhause, wodurch die beiden Schwestern auch wieder zusammenfinden. Als aber Helen vor ihrer Abreise in Howards End übernachten will, fühlt Meg sich bemüßigt, ihren Mann um Erlaubnis zu fragen, die er nicht geben will. Darüber geraten die beiden in heftigen Streit. Dann kommt doch heraus, dass ausgerechnet Leonard der Vater des Kindes ist, es passierte in Folge des Mitleides nach der Hochzeit von Evie. Leonard wiederum sieht sich genötigt, bei Meg eine Beichte abzulegen und fährt genau an diesem Abend nach Howards End, dort ist aber auch Charles, der aufgrund der Familienschande Leonard vor Wut angreift und dieser -wohl aufgrund eines Herzleidens- dabei stirbt. Dennoch wird er verurteilt und muss ins Gefängnis. Meg erkennt nun, dass die Diskrepanzen zwischen ihr und Henry zu groß sind und will zusammen mit ihrer Schwester nach München gehen, wozu es aber nicht kommt. Es folgt zum Ende hin ein zeitlicher Sprung, die Schwestern leben mit dem Kind Helens in Howards End, Henry regelt seinen Nachlass und Howards End geht schließlich doch an Meg. Meg und Henry haben zusammengefunden, die Familien nicht unbedingt.

Lesespaßfaktor:

Das Buch beschreibt die aristokratische Welt des frühen 20. Jh. in England. Es geht um die Diskrepanzen zwischen armen und reichen Leuten ("Die Armen sind arm und sie tun einem leid, aber so ist's nun mal."), um die Unterschiede zwischen Männern und Frauen -wie emanzipiert durften die Frauen denn zu dieser Zeit sein?- und um das Landleben (viktorianisch in Howards End als Symbol für die vergehende Zeit) versus das Stadtleben in London (georgianisch als Symbol für den Aufbruch). 

Das Buch ist voll feiner Ironie und kleiner Spitzen etwa gegenüber den Deutschen. Bildung spielt eine große Rolle, aber auch hier im Gegensatz zwischen den schönen Künsten der Literatur sowie der Musik ("Man wird allgemein zugeben, dass Beethovens fünfte Symphonie den erhabensten Lärm darstellt, der je ins menschliche Ohr gedrungen ist.") und den harten wirtschaftlichen Interessen in der Figur von Mr. Wilcox. Aus heutiger Sicht ist die Geschichte etwas aus der Zeit gefallen, aber dennoch sehr schön zu lesen und das eine oder andere kann man immer noch gut auf die heutige Zeit übertragen.



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