Donnerstag, 20. Mai 2021

T.C. Boyle - Wassermusik

 


Autor: 

Tom Coraghessan Boyle wurde 1948 im US Bundesstaat New York geboren. Seine Eltern kamen aus ärmlichen Verhältnissen und waren beide Alkoholiker, was seine schulischen Leistungen beeinträchtigte. Trotzdem studierte er nach dem knapp geschafften High School Abschluss Englisch und Geschichte und begann während dieser Zeit mit dem Schreiben. Nach dem ersten Abschluss arbeitete er einige Jahre als Lehrer und promovierte dann doch noch in Iowa in Englischer Literatur. Dort wurde John Irving sein Mentor für seine literarischen Ambitionen. Seit den 1980er Jahren ist er neben seinen schriftstellerischen Ambitionen auch als Professor für Englisch tätig. Er schrieb zahlreiche Kurzgeschichten und bisher 16 Romane, oft mit historischem Hintergrund. 


Buch:

'Wassermusik' ist sein erster Roman, der 1982 erschien und bereits ein großer Erfolg wurde. Es geht um die Expeditionen des Schotten Mungo Park im frühen 19. Jahrhundert nach Afrika, um die Mündung des Niger zu finden. Die hier vorgestellte erste Übersetzung ins Deutsche stammt aus dem Jahr 1987. 'Die Zeit' urteilte:
Wir haben es mit einer so vergnüglichen wie verblüffenden wie gelegentlich auch ärgerlichen Mischung zu tun: einem pikaresken Roman, der historische Fakten so souverän benutzt wie ignoriert. (…) Eine Scheherazade also, in der auch schon mal ein Krokodil Harfe spielt, weil ihm nach Verspeisen des Harfenisten das Instrument in den Zähnen klemmt, oder ein ärgerlich gewordener Kumpan fein verschnürt wie ein Kapaun den Menschenfressern geschenkt wird.“
Figuren:

Mungo Park, schottischer Abenteurer, zu Beginn 24 Jahre alt
Al-Hadsch' Ali Ibn Fatoudi, Emir von Ludamar
Ned Rise, 
Johnson, eigentlich Katunga Oyo, ehemaliger Sklave, nun Führer und Dolmetscher für Mungo
Alice 'Ailie' Anderson, Verlobte von Mungo daheim in Schottland, 22 Jahre alt
Alexander 'Zander' Anderson, ihr Bruder
George Peter 'Georgie' Glen, Assistent von Ailies Vater
Mansong, Herrscher von Bambarra

Inhalt und Rezeption:

1. Teil

Es ist das Jahr 1795. Der Niger war sagenumwoben und bisher noch nicht von den Europäer entdeckt worden, obwohl alle europäischen Kolonialmächte ihre Fühler danach ausstreckten. Zu Beginn werden Mungo und sein Dolmetscher Johnson von einem maurischen Emir festgehalten, erst sollen Mungo die Augen ausgestochen werden, da sein Blick für die Einheimischen unheimlich ist, dann hält man ihn unter erbärmlichen Bedingungen gefangen. In Rückblicken wird dann von einzelnen Personen aus seiner Umgebung erzählt, wie von Johnson, seinem Führer und Dolmetscher oder der seltsamen Frau des Emir. 

Die Schilderungen aus der Gefangenschaft im Maurenreich Ludamar sind manchmal dann schon witzig, etwa die Beschreibung eines Rezeptes für ein Hochzeitsessen: 

          Gebackenes Kamel mit Füllung:
für ca. 400 Personen: 4 Trappen, gereinigt und gerupft; 500 Datteln, 2 Schafe, 200 Regenpfeifereier, 1 großen Kamel, 20 Karpfen (Zweipfünder), div. Gewürze Diese Zutaten werden dann ineinander gefüllt, die Eier und Datteln in die Karpfen, die Karpfen in die Trappen, diese in die Schafe und diese wiederum in das Kamel, dass dann in die Glut im Boden versenkt wird.

Aber die Erkundungsgeschichte hat doch etwas Übertriebenes. Die Erlebnisse Mungos sind so total realitätsfern wie in einem schlechten Film. Das kann man als Ironie auslegen oder aber es langweilt den Leser, so viel Dreck, so viele Schläge, so oft ausgeraubt zu werden und so viele wilde, teils riesige, teils fette Menschen zu treffen, das nervt dann schon etwas. Auf eine gewisse Art und Weise erinnert es mich an eine Fantasy Geschichte wie etwas die 'Unendliche Geschichte'. 

Schließlich wird Mungos Dolmetscher vom Krokodil gefressen. Aber nach vielen Monaten und weiteren Abenteuern schafft er es dann doch zurück nach England. Dort wird er von Salon zu Salon geführt und erzählt von seinen Erlebnissen.

Parallel zu den afrikanischen Erlebnissen von Mungo beginnt die Geschichte des Verlierers Ned Rise, der sich mit einigen Betrügereien in London über Wasser hält. Die üblen Umstände seiner Geburt, seine Mutter war eine Schnapsdrossel, geben bereits den Lebensweg vor. Sein ihm von seiner Mutter gegebener Nachname soll aber der "metaphorische Ausdruck einer Hoffnung" sein. Er wird von seinem Stiefvater verstümmelt, damit er besser betteln kann. Hier wird das Leben der Menschen ganz unten ziemlich drastisch beschrieben. Aber nach furchtbarer Kindheit wird er als Zwölfjähriger von einem Witwer aufgenommen, der ihm Obdach und Bildung gewährt, sein Leben normalisiert sich. Ausgerechnet dieser duelliert sich dann aber einige Jahre später mit Johnson, als der noch in London weilte, weil der Genugtuung nach rassistischer Beleidigung fordert, und stirbt dabei. Er landet wieder in der Gosse und schlägt sich mit krummen Dingen durch, immer wenn wenn er wieder irgendwie zu etwas Geld kommt, passiert das nächste Unglück. Es ist ähnlich übertrieben wie die Zustände in Afrika. Boyle suhlt sich geradezu in dem Dreck und der Armut der Zeit. Als bei einem Handgemenge in seiner Wohnung ein Adeliger aus dem Fenster stürzt und verstirbt, wird Ned zum Tode durch den Strang verurteilt. Schon auf dem Seziertisch, erwacht er wieder zum Leben, ein Wunder sei es, ja das zeigt hier den Stil der Erzählung!

Der dritte Erzählstrang handelt von Mungos Verlobter Ailie daheim in Schottland. Sie wird vom Assistenten ihres Vaters verehrt, wartet aber zunächst lange auf Mungo, erst als der nicht zurückkommt, stimmt sie einer Verlobung mit Glen zu. Als aber die Hochzeit droht, flüchtet sie am selben Tag, sehr zum Verdruss ihres Vaters und ihres Bruders. Glen, Zeit seines Lebens ein Loser, verschwindet daraufhin. 

Titelgebend ist übrigens der Wunsch des englischen Königs, beim Weihnachtskonzert statt Händels Messias lieber seine Wassermusik hören zu wollen. Und Mungo hat Musik in den Ohren, wenn er an das Rauschen des Nigers denkt.

2. Teil

Nun beginnen sich die Erzählstränge zu verbinden. Mungo kehrt zurück zu Ailie, die ihn aber erst abweist, weil sie sauer ist, dass Mungo Monate nach seiner Ankunft nur in London war, um Vorträge zu halten und sie nicht einmal besucht hat. Dann heiraten sie aber doch und sie bekommt zwei Jahre nach seiner Rückkehr den ersten Sohn und in den Jahren danach schnell drei weitere Kinder. Mungo wird aber nicht mehr heimisch, er will neue Abenteuer. Die Welt von Ned wabert weiter dahin mit Orgien, Leichendiebstahl und ähnlichem, es wird immer ermüdender das zu lesen und ich überfliege vieles nur noch. Irgendwann landet er auf einer Insel vor Westafrika. Mungo bricht schließlich mit 40 Mann wieder nach Afrika auf, um den Verlauf des Nigers zu erkunden, ohne dass er seiner Frau vorher Bescheid gab, sie erhält einen einfachen Brief mit der Nachricht.

3. Teil

Mungo ist auf dem Weg zu seiner zweiten Expedition, sammelt auf der westafrikanischen Insel noch ein paar Begleiter ein, zu denen auch Ned gehört, der ich so erhofft, doch noch in Freiheit zu gelangen. Die üblichen Probleme einer solchen Expedition beginnen gleich zu Beginn. Die Einheimischen weigern sich als Träger mitzukommen, also müssen es die Engländer selber schleppen. In dem Ort seines ehemaligen Weggefährten Johnsons will Mungo einen neuen Führer anheuern, aber der eigentlich vom Krokodil gefressene Johnson lebt doch noch und begleitet ihn erneut. An dieser Stelle des Buches höre ich auf zu lesen, die Absurditäten nehmen einfach überhand.

Lesespaßfaktor:

Der Roman ist durchzogen von zahlreiche Metaphern und gekennzeichnet durch eine sehr blumige, oft auch derbe Sprache ("Ned lächelt, bis ihm das Zahnfleisch weh tut." oder "Der Prozeßtag dämmerte wie eine Infektion herauf, der Himmel war tief und eiterfarben, die Sonne ein verschorftes Auge."). Die  Sprache passt sich der Umgebung an, etwa wenn die Handlung in den Spelunken Londons spielt. - Boyle zelebriert die sprachlichen Übertreibungen, die kulturellen Differenzen mit den Afrikanern Ende des 18. Jahrhunderts werden lustvoll und übertrieben dargestellt. Hier geht es nicht um eine historisierende Erzählung einer Entdeckungsreise.

Die immer neuen, aber doch immer irgendwie gleichen Erlebnisse sowohl während der Entdeckungsreise Mungos aber auch im Leben des Herumtreibers Ned in London folgen in schneller Abfolge, das nutzt sich aber irgendwann ab, das Buch ist einfach zu lang. Die Hauptfiguren werden zwar blumig beschrieben, aber ich lerne keine Person so richtig kennen, das kratzt alles nur an der Oberfläche, zugeschüttet durch durch die vielen Erlebnisse in der äußeren Welt. Einzelne Erlebnisse werden detailliert beschrieben, dann kommt plötzlich ein großer zeitlicher Sprung, die inhaltliche Verbindung erfolgt oft nur lose.

Aus meiner Sicht ist dieser erste Roman von T.C. Boyle noch nicht auf dem Niveau der späteren Werke, auch wenn der überbordende Ideenreichtum durchaus aus schon da ist, aber noch nicht gut kanalisiert wurde.



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