Dienstag, 1. Juni 2021

Victor Hugo - Der Glöckner von Notre-Dame

 

Anlass, dieses Buch zur Hand zu nehmen, war das schreckliche Feuer, das vor zwei Jahren den Dachstuhl der wundervollen Kathedrale vernichtete. Heute noch bekannt ist der Autor wohl hauptsächlich durch das Musical 'Les Miserables', das auf seinem Roman basiert.

Autor:

Victor-Marie Vicomte Hugo wurde 1802 in Besançon geboren. Seine Eltern trennten sich früh, er lebte meistens bei der Mutter in Paris, zeitweise aber auch beim Vater, einem Militär, in Neapel oder Madrid. Früh wollte Hugo Schriftsteller werden, sein Vorbild war Chateaubriand. Dennoch studierte er erst Jura. Seine, aber bereits 1819 erhielt er erste Auszeichnungen für seine Gedichte. 1822 heiratete er eine Jugendfreundin und bekam 5 Kinder, von denen 4 überlebten, später ging seine Frau mit seinem Freund fremd, was er hilflos duldete, dann aber später eine Schauspielerin kennenlernte, mit der er glücklich bis zu seinem Tod zusammenlebte. Seine literarischen Erfolge brachte ein bescheidenes Einkommen, aber seine Anerkennung als ein Begründer des romantischen Theaters wuchs. 1831 erschien das hier zu besprechende Werk, das im Original 'Notre Dame de Paris' heißt. Es folgten zahlreiche historische Romane und Dramen. Nach politischer Kritik an Bonaparte (später Napoleon III) wird Hugo verbannte, er lebt dann einige Zeit auf Jersey und Guernsey und kann erst nach dem Sturz des Kaisers zurück nach Paris. 1862 wird das Hauptwerk 'Les Miserables' veröffentlicht. 1885 stirbt Hugo und wird im Pantheon beigesetzt. Sein Schaffen kann teils der Romantik, teils dem Realismus zugeordnet werden.

Buch:

Im Mittelpunkt steht die aufwändig geschilderte Kathedrale Notre-Dame de Paris im 15. Jahrhundert. In ihr und in ihrer Umgebung spielen die wichtigsten Teile der Romanhandlung, vor allem das Geschehen um die Gestalt des Quasimodo, des Glöckners von Notre-Dame. Victor Hugo wurde nach Erscheinen des Romans als „Shakespeare des Romans“ gefeiert. Die deutsche Übersetzung meiner Ausgabe (Deutscher Bücherbund) ist von Arthur von Riha.

Figuren:

Johannes Frollo du Moulin, Student und jüngerer Bruder von Claude
Peter Gringoire, bettelarmer Autor
Clopin Trouillefou, König der Bettler
Jakob Coppenole, Strumpfwirker aus Gent
Quasimodo, tauber Glöckner von Notre-Dame
Djali, Ziege von Esmeralda
Dom Claude Frollo, Archidiakon von Notre-Dame und Lehrer von Peter; er hat Quasimodo adoptiert
Jakob Coictier, Leibarzt des Königs
Phöbus von Chateaupers, Rittmeister der königlichen Bogenschützer
Fleur de Lys von Gondelaurier, seine Verlobte
Jakob Charmolue, Inquisitor

Inhalt und Rezeption:

Erstes Buch

6. Januar 1482, Tag der Doppelfeier des Festes der Heiligen Drei Könige und des Narrentages. Aus diesem Anlass soll es öffentliche Belustigungen geben wie Freudenfeuer, das Aufstellen eines Maibaums und Mysterienspiele im Großen Saal des Justizpalastes, bei denen ein Narrenpapst gewählt werden soll. Das Mysterienspiel soll am Mittag beginnen, damit die flämischen Gesandten teilnehmen können. Die Menschen sind schon lange vorher im Saal versammelt und werden ungeduldig, Studenten machen ihre Späße über die Anwesenden. Schließlich lässt der Autor des Stückes die Aufführung beginnen, obwohl die hohen Würdenträger noch nicht eingetroffen sind. Das Publikum genießt die Kostüme mehr als den Inhalt. Störungen erfolgen als der Kardinal von Bourbon und danach eine flämische Gesandtschaft erscheinen. Auch nachdem das unterbrochene Stück fortgesetzt wird, widmet ihm das Publikum sehr zum Verdruss von Peter keine wirkliche Aufmerksamkeit, da immer neue Ankömmlinge laut angekündigt werden. Schließlich fordert Jakob das anwesende Volk auf, den Narrenpapst zu wählen, also denjenigen, der die hässlichste Grimasse ziehen kann, die Zuschauer stimmen begeistert zu. Gewählt wird der hässliche Quasimodo, der durch das Glockenläuten taube Glöckner von Notre-Dame, ohne dass er eine Grimasse ziehen muss qua seiner abstoßenden Physiognomie.

Zweites Buch

Der mittellose Peter streift noch am selben Tag nach dem Flop mit seinem Theaterstück hungrig durch die Stadt, an einem Patz sieht er dem Tanze und hört dem Gesang einer schönen Frau (Esmeralda) zu, die auch ihre Ziege einige Kunststücke aufführen lässt. Aus der Menge heraus wird ihr Hexerei vorgeworfen. Dann erscheint auf diesem Platz der Zug des Narrenpapstes mit dem glücklichen Quasimodo. Die Insignien des Narrenpapstes werden ihm von Claude Frolle, den Archidiakon von Notre-Dame aus der Hand geschlagen, da der Kirchenmann die Narretei als Gotteslästerung empfindet. Nachdem sich die Menge zerstreut verfolgt Peter Esmeralda und ihre Ziege auf ihrem Weg nach Hause. An einer Straßenecke wird sie von Quasimodo und Claude entführt werden soll, aber dank Peters Einschreiten und des Rittmeister Phöbus kann Quasimodo festgenommen werden und Esmeralda entkommen. Peter landet im sogenannten 'Rotwelschland', dem Stadtteil der Diebe, wo er festgehalten wird und vom König der Bettler, der am Morgen schon das Mysterienspiel störte, zum Tode durch den Strang verurteilt wird, warum auch immer. Diese ganze Geschichte ist einfach nur abstrus. Jedenfalls kann das Todesurteil nur aufgehoben werden, falls sich eine Frau findet, die ihn heiraten will und -oh Wunder- es erscheint Esmeralda und erlöst aus Mitleid den armen Peter.

Drittes Buch

16 Jahre früher. Der hochgebildete Kaplan Claude Frollo, der  nach dem Pesttod der Eltern seinen jüngeren Bruder Johannes aufgezogen hat, übernimmt an Vaters Statt die Verantwortung für das vierjährige, missgestaltete Findelkind Quasimodo. Zum Zeitpunkt der Geschichte war Quasimodo auf Betreiben seines Pflegevaters der Glöckner von Notre-Dame. Und er war schon taub aufgrund des lauten Glockengeläutes, was ihn veranlasste, nur in seltenen Fällen überhaupt zu sprechen. Diese Tatsache trieb ihn in eine Schwermut und verursachte sein Bösartigkeit, besonders gegenüber all den Spöttern seiner Hässlichkeit, nur Claude verehrte er über alles. Claude war enttäuscht über seinen flatterhaften Bruder, gesättigt von den Wissenschaften und wandte sich daher der Alchimie zu, der Suche nach dem Stein der Weisen. Den meisten Menschen wurde er dadurch recht unheimlich. 

Viertes Buch

Claude hat späten Besuch von dem ihm bekannten Leibarzt des Königs und einem Begleiter, der ich später als König Ludwig XI entpuppt, zu er über die Alchimie und die Herstellung von Gold spricht. Es folgen lange Ausführungen zur großen Bedeutung der Baukunst als teinbücher im Zeitablauf der religiösen Entwicklung, bevor dann der Buchdruck alles veränderte, da das gedruckte Buch langlebiger ist als alle Kathedralen. Mit der im 16. Jahrhundert aufkommenden Renaissance ('ein haltloses Gebilde lang versunkener römischer und griechischer Formen, aus wahrer zu falschen Antike, ...') beginnt die Bedeutung der Baukunst zu schwinden. Hier werden die Betrachtungen philosophisch und sehr gelehrt, lesenswert, aber auch ein Bruch mit dem Bisherigen.

Fünftes Buch

Quasimodo erscheint vor Gericht und wird von einem ebenfalls tauben Untersuchungsrichter verhört, was zu skurrilen Missverständnissen führt. Er wird an den Pranger gestellt für sein ungebührliches Verhalten beim Fest am Vortage. Drei Damen wollen sich das Spektakel ansehen, unterhalten sich aber erst lang und breit über Kinder stehlende und Menschen fressende Zigeuner, so sei einer jungen Frau aus Reims ihre hübsche Tochter (vermutlich Esmeralda) von Zigeunern gegen ein vierjährigen überaus hässlichen Jungen getauscht worden, -welch ein Zufall- es war Quasimodo, den sie dann aussetzte und selbst gegrämt verschwand um als Büßerin (Klausnerin) in einem Loch unter dem Grève Patz in Paris von den drei Damen wieder gefunden zu werden. Dann beginnt die Folter Quasimodos auf dem Pranger, die ausführlich in ihrer Brutalität beschrieben wird. Esmeralda erscheint und gibt ihm etwas Wasser, nach zwei Stunden ist der Spuk vorbei.

Sechstes Buch

Gegenüber der Kathedrale wohnt die junge Dame Fleur de Lys bei Ihrer Mutter, auch ihre Freundinnen und ihr Verlobter Phöbus sind anwesend. Draußen tanzt Esmeralda, die dann von Phöbus hereingerufen wird. Alle jungen Damen sind ob ihrer Schönheit eifersüchtig. Claude kommt von der Kathedrale herunter, um Esmeralda zu treffen, erkennt statt dessen in ihrem Assistenten seinen ehemaligen Schüler Peter wieder, der ihm seine Geschichte von der Heirat erzählt und beteuert, dass Esmeralda noch Jungfrau sei, weil sie nur so eines Tages ihre Eltern würde finden können. Auch fragt er ihn nach weiteren Einzelheiten über das Mädchen aus, er scheint in sie verliebt zu sein. Johannes kommt zu seinem Bruder Claude, um Geld zu schnorren, er muss sich dann aber auf Wunsch vor dem Inquisitor Jakob verstecken, der ebenfalls Claude besucht und über Alchimie und einen Prozess spricht, aber auch erwähnt dass er demnächst Esmeralda verhaften will, da sie auf dem Domplatz verbotenerweise getanzt hat und ob ihrer Bildung als Teufelin angesehen wird, die gehängt werden soll. Claude, selbst offensichtlich in Esmeralda verliebt, verhindert das zunächst. Phöbus hat ein Date mit Esmeralda und will sie in einer Absteige treffen, wo Claude von einem Versteck aus zuschauen will, nachdem er durch das Verfolgen seines Bruders hiervon erfahren hat. Als die beiden Liebenden sich näher kommen, ermordet Claude Phöbus aus Eifersucht und verschwindet, Esmeralda wird für den Mord verhaftet und der Hexerei beschuldigt.

Siebtentes Buch

Der Prozess gegen Esmeralda beginnt. Da man an Hexerei glaubte, wurde tatsächlich auch die Ziege verhört, in die ein Satan gefahren sein soll. Als Esmeralda dementiert, Phöbus getötet zu haben, wird sie gefoltert, woraufhin sie dann doch gesteht und zum Tode verurteilt wird. Im Verlies erhält sie Besuch von Claude, der ihr seine Liebe offenbart, die aber aufgrund seines Zölibates ein Wink aus der Hölle ist, weshalb er sie in diese furchtbare Lage gebracht hat. Phöbus hat dann plötzlich aber doch überlebt, kümmert sich aber nicht um Esmeralda, sondern kehrt zu seiner Truppe zurück. i






Es gibt einen Erzähler, der hin und wieder die Vorgänge aus dem Jahr 1830 heraus kommentiert, etwa, dass der Justizpalast im Zusammenhang mit der Suche nach Akten über die Ermordung von Heinrich IV abbrannte. Generell werden die zahlreichen Zerstörungen schöner Gebäude zwischen 1482 und 1830 bedauert. Johannes ist pleite und sucht daher seinen Bruder Claude in seiner abgelegenen Kammer in der Kathedrale auf, in der dieser seien alchimistischen Studien betreibt. 

Lesespaßfaktor:

- Diskrepanz zwischen Adel/Geistlichkeit und dem Bürgertum/Volk
- Diskrepanz zwischen dem Schönen (Esmeralda) und dem Hässlichen (Quasimodo)
- Diskrepanz zwischen Dichtertraum (Peter) und der Wirklichkeit (Armut)
- Geschichte ist nicht immer plausibel
- kommt an die großen Dramen von Balzac nicht heran, es fehlt die psychologische Tiefe der Figuren
- Antisemitismus (über Quasimodo: 'Wahrscheinlich von einem Juden mit einer Sau gezeugt.'); Zigeuner werden als Tiere angesehen
- im Laufe der Geschichte werden die einzelne Elemente aber kunstvoll ineinander verwoben
- Aberglaube im Volk weit verbreitet, selbst bei Gebildeten (Alchimie)


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