Montag, 27. Juni 2022

Stendhal - Rot und Schwarz

 


Autor:

Stendhal ist das Pseudonym des französischen Schriftstellers Marie-Henri Beyle, der 1783 in Grenoble geboren wurde. Zu Lebzeiten eher Journalist und Kritiker, gilt er heute als herausragender Vertreter des literarischen Realismus. Da seine Mutter früh verstarb und er kein gutes Verhältnis zu seinem Vater hatte, der seine Tante geehelicht hatte, wurde er stark von seinem Großvater und seiner Großtante mütterlicherseits gefördert. Als junger Mann ging er nach Paris, lebte dort bei einem Cousin, dessen Familie Napoleon Bonaparte nahestand. Entsprechend nahm Stendhal an einigen Feldzügen nach Italien, Deutschland und Russland teil. Nach den Kriegen lebt er zeitweise in Italien, aufgrund seiner Beschreibungen einer Reizüberflutung in Florenz wurde nach ihm das Stendhal Syndrom benannt. Tragisch verliebt war Stendhal in eine verheiratete italienische  Dame aus reicher Bankiersfamilie. Er schrieb zahlreiche Reiseschilderungen, einige Novellen, einen Roman und hatte 1829 die Idee zu seinem zweiten Roman, eben den hier zu besprechenden 'Rot und Schwarz', der auch sein literarisches Meisterwerk wurde. Stendhal verstarb 1842 an einem zweiten Schlaganfall.



Buch:

Der Titel des Buches richtet sich entweder nach den Farben für Militär und Klerus, zwischen denen sich der Protagonist entscheiden muss, oder einfach nach einem damals beliebten Kartenspiel. Es geht in der Zeit nach dem Fall Napoleons um die gesellschaftlichen Kontraste in Frankreich während der Restauration (der Adel bestimmt die Dinge) und kurz vor der Julirevolution 1830. Einfache Menschen haben in dieser Gesellschaft große Probleme aufzusteigen, das geht fast nur in der Kirche, nicht aber mehr im Militär. Balzac schrieb über dieses Buch: "Stendhal gelingt es, das menschliche Herz zu verletzen“. Die Übersetzung meiner Ausgabe stammt von Rudolf Lewy.

Hauptfiguren:

Julien Sorel, Sohn eines Bauern und Sägemühlenbetreibers
Monsieur de Rênal, Bürgermeister und Fabrikant
Madame de Rênal, seine Ehefrau und Mutter dreier Söhne (Adolphe, Stanislas-Xavier
Elisa, ihre Zofe
Madame Derville, ihre Kusine
Monsieur Valenods, Armenhausvorstand und Rivale von Rênal
Marquis de La Mole, reichster Grundherr der Provinz
Graf Norbert, sein Sohn
Mathilde, seine Tochter
Monsieur Charcot de Maugiron, Unterpräfekt des Kreises
Chélan, 80 jähriger Pfarrer,
Maslon, Vikar, sein Nachfolger
Fouqué, Holzhändler und Freund von Julien
Abbé Pirard, Direktor des priesterlichen Seminars
Madame de Fervaques, Marschallin


Inhalt und Rezeption:

Die Geschichte spielt zunächst in einem kleinen Dorfe namens Verrières in der Franche Comté. Monsieur Rênal engagiert Julien als Erzieher seiner drei Söhne, auch um seine exponierte Stellung zu unterstreichen und seinem Intimfeind Valenod zu imponieren. Julien ist völlig anders als seine Brüder uns sein Vater. Er ist gebildet, wird von Pfarrer unterstützt und sein einziges Ziel ist es, sozial aufzusteigen und aus Verrière herauszukommen. Früher ging dies seiner Meinung nach immer über eine militärische Laufbahn, doch seit den Tode Napoleons sieht er nur noch die Möglichkeit, über ein Theologiestudium aufzusteigen. Dennoch tritt er die Stelle an, macht seinen Job gut, fühlt sich aber fremd in der Familie. 

"Die Kinder vergötterten ihn, er liebte sie gar nicht; seine Gedanken waren anderswo."

Er will zwar stets den Reichtum und den Einfluss haben, verachtet aber gleichzeitig die Reichen, so sagt er etwa über Valenod:

"Oh, diese Ergüsse über die Ehrlichkeit, man könnte annehmen, dass sie die einzige Tugend wäre, und dabei diese Hochachtung, dieser kriecherische Respekt vor einem Menschen, der ganz offensichtlich sein Vermögen verdoppelt und verdreifacht hat, seit seitdem er das Armengut verwaltet."

Diese Zerrissenheit setzt sich im Roman fort. Madame de Rênal ist vernarrt in Julien und nach einiger Zeit fangen die beiden eine heimliche Affäre an. Vorher wird aber seitenweise die Annäherung des völlig unerfahrenen Julien an Madame Rênal beschrieben, symbolisiert durch Händchenhalten. An der Stelle ist der Roman etwas langatmig. Sein Streben nach Reichtum lässt ihn zwischenzeitlich darüber nachdenken, ob er bei seinem Freund Fouqué einsteigen soll, er entscheidet sich aber dagegen, da er dann intellektuell unterfordert wäre.

Der König kommt zu Besuch in das Dorf und übernachtet bei Monsieur Rênal, bei der Beschreibung dieser ganzen Episode bin ich mir nicht sicher, ob Stendhal hier triefend ironisch ist oder nicht.

Die Liebesbeziehung wird dann auf eine harte Probe gestellt, als der jüngste Sohn schwer erkrankt und die naiv religiöse Madame Rênal ihre Untreue als die Ursache dieser Krankheit ansieht. Herauskommt die Liaison schließlich durch das Tratschen der Zofe, woraufhin Valenod einen anonymen Brief schreibt. Monsieur Rênal sorgt sich aber weniger um seine Ehe als vielmehr um seine Position in der Gesellschaft und die Liebenden schmieden allerlei Ränke, um Monsieur Rênal zu täuschen.

Schließlich verlässt Julien Vernières und tritt in ein priesterliches Seminar ein. Bei seiner Ankunft denkt er bereits: "Das ist nun die Hölle auf Erden." So richtig warm wird er dort aber nicht mit der Religion, er hadert mit seinen Zukunftsaussichten ("...ich werde den Gläubigen einen Platz im Himmelreich verkaufen."), erträgt aber die Martyrien, um nicht vollends abzustürzen. 

Der Abbé Pirard vermittelt Julien dann als persönlichen Sekretär an den Marquis de La Mole. Dort versteht er sich gut mit dem Marquis und wird daher in den Salon eingeführt und erlebt dort all die belanglosen Plaudereien, mit denen die Adligen ihre Langeweile zu vertreiben suchen. Er freundet sich mit Mathilde an und die beiden umschwirren sich im Sinne von 'Er liebt mich, er liebt mich nicht', langweilig und ermüdend, es erinnert an 'Gefährliche Liebschaften' von de Laclos, aber leider bei weitem nicht so zynisch. Schöne Augen macht er auch der Marschallin Fervaques, die ihn an Madame Rênal erinnert und von der er sich erhofft, ein schönes großes Bistum zu erhalten, warum, wird nicht erläutert. 



Als Mathilde schwanger wird, entschließt sie sich, ihrem Vater die Beziehung zu gestehen. Dieser ist entsetzt über den Verrat des von ihm geschätzten Julien. Trotzdem will er nach einigem Ringen Julien eine falsche Identität als adeliger Offizier geben und in die Hochzeit einwilligen, um den Ruf seines Hauses nicht zu gefährden.


Als der Marquis de la Mole jedoch Erkundigungen über Juliens Vorleben einholt, erhält er einen Brief von Madame de Rênal, in dem sie Julien als Herzensbrecher schildert, der es auf das Geld reicher Frauen abgesehen habe. Madame de Rênal hat sich wegen ihres Ehebruchs mit Julien zwischenzeitlich tief in Reuegefühle verstrickt und hat den Brief von ihrem Beichtvater diktiert bekommen – einem Jesuiten, der aus Karrieregründen dem Marquis de la Mole gefallen möchte. Als Julien von diesem Brief erfährt, der kurz vor dessen Verwirklichung seinen alten Traum von einer Karriere als Offizier und seinem gesellschaftlichen Aufstieg zerstört hat, reist er nach Verrières und schießt dort auf Madame de Rênal.


Madame de Rênal erholt sich zwar von ihrer Verletzung und söhnt sich mit Julien im Gefängnis aus. Er erkennt dort, dass sie die einzige ist, die je wirkliche Liebe für ihn empfunden hat. Julien will jedoch lieber sterben als mit der Schmach dessen, was er getan hat, leben zu müssen, und verletzt die Geschworenen durch eine ehrliche Rede so in ihrer Ehre, dass sie ihn zum Tod verurteilen. 


Lesespaßfaktor:

Die endlosen Beschreibungen der Affäre zwischen Julien und Madame Rênal ist schon manchmal zäh zu lesen. Wenn kleinste Gesichtsausdrücke zum fast minütlichen Hinterfragen der Beziehung führen, dann ist da etwas zu viel Psychologie enthalten.

An einer Stelle schreibt Stendhal:
"Die ganze Langeweile des teilnahmslosen Lebens, das Julien führte, wird der Leser zweifellos teilen."
Und genau so ist es für den Leser! Die endlos langen Ausführungen zu Beginn der Zeit Juliens im Hause La Mole langweilen und gehören deutlich gekürzt.

Stendhal ist aber sehr interessiert an der Persönlichkeit Juliens als der Protagonist für die gesellschaftliche Zerrissenheit im Frankreich des frühen 19. Jahrhunderts. Der Stil kommt meines Erachtens aber nicht an die Intensität des Schreibens von Balzac heran. Goethe bezeichnete den Roman als einen der bedeutendsten Romane der Zeit, ich kenne zwar nicht alle Romane, aber das Urteil würde ich persönlich nicht teilen. Zweifellos gute Literatur, aber die Zerrissenheit des Protagonisten hätte m.E. in verdichteter Form mehr Wirkung entfaltet.


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