Samstag, 15. Oktober 2022

Paul Auster - Stadt aus Glas


Autor:

Paul Auster wurde 1947 in Newark (USA) als Sohn jüdischer Immigranten geboren. Bereits in jungem Jahren hat er sich sehr für Literatur interessiert und früh entschieden, selbst Schriftsteller zu werden. Aber zunächst studierte er Anglistik und Literaturwissenschaft und jobbte einige Zeit in Paris. Mitte der 70er Jahre kehrte er in die USA zurück und wurde Dozent an der Columbia Universität. Literarisch schrieb er zu dieser Zeit eher Drehbücher und kurze Theaterstücke sowie unter Pseudonym einen Krimi. Mitte der 80er Jahre feierte er dann mit der New York Trilogie seinen Durchbruch als Romancier. Der bisher letzte Roman erschien 2017. Auster gilt heute als einer der bedeutendsten amerikanischen Schriftsteller und wird auch in Deutschland sehr viel gelesen. 


Buch:

'Stadt aus Glas' ist der erste Teil der New York Trilogie, in der drei experimentelle Kriminalromane gebündelt werden, und wurde 1985 veröffentlicht. Die deutsche Übersetzung erschien zwei Jahre später. Literarisch wird das Werk der Postmoderne zugerechnet. 

Hauptfiguren:

- Daniel Quinn, 35 Jahre, Autor (alias William Wilson) von Detektivromanen, verwitwet, 
- Peter Stillman sen., ehemaliger Religionsforscher
- Peter Stillman jr., sein Sohn
- Virginia Stillman, dessen Frau
- Paul Auster, Schriftsteller

Inhalt und Rezeption:

Quinn ist Mitte Dreissig, verwitwet, einsam und hat als Schriftsteller ein passables Auskommen. Wenn er nicht schreibt läuft er ziellos durch New York und verliert sich dabei nicht nur in der Stadt, sondern auch in sich selbst. Das Schreiben ist für ihn nur noch eine Beschäftigung, weshalb er auch unter einem Pseudonym schreibt, mit dem Privatdetektiv seiner Romane identifiziert er sich aber schon eher.

Eines Nachts ruft jemand an, der nach einem Privatdetektiv namens Paul Auster verlangt. Quinn antwortet zunächst, er kenne Auster nicht und legt auf. Einige Nächte später aber kommt erneut ein Anruf des selben unbekannten Anrufers und diesmal gibt er sich als Auster aus. Der Anrufer spricht davon, das jemand ihn ermorden will und Auster denjenigen suchen soll. Am nächsten Tag trifft er sich mit dem Anrufer, der Peter Stillman heisst. Der brabbelt dann stundenlang vor sich, hin, der Leser scheint einzig daraus schließen zu können, dass Stillman als Kind von seinem Vater im Dunkeln gefangen gehalten wurde und dieser ihn nun auch umbringen will. Erst durch weitere Erläuterungen der Ehefrau erfährt Quinn, dass Stillmans Vater mit ihm ein Experiment durchgeführt hat, nämlich ob ein Kind durch Isolation die Sprache Gottes lernen kann. Das Experiment wurde zwangsweise durch ein Feuer beendet, Stillmans Vater wurde angeklagt, für verrückt erklärt und inhaftiert. Quinn nimmt schließlich den Auftrag an, den Vater von Stillman, der am folgenden tag aus der Haft entlassen werden soll, zu überwachen. Seine Motivation ist, dass er wenigstens das Kind eines anderen retten will, wenn er seinen Sohn schon nicht hatte retten können.

Um sich mit dem Vater von Stillman vertraut zu machen, liest er am nächsten Morgen in der Bibliothek dessen Buch, das von allerlei Betrachtungen aus der Bibel vom Turmbau zu Babel (Verwirrung der Sprachen) bis hin zur Besiedlung Amerikas als Ort des Paradieses handelt. Im Jahre 1960 sollte demnach ein neuer Mensch hervortreten, der Gottes Sprache spricht. Anscheinend sah er seinen Sohn in dieser Rolle, denn genau 1960 hatte er ihn eingesperrt. 

Im folgenden geht es aber immer stärker um Quinn selbst und sein Befinden in der Situation und in der Rolle als falscher Detektiv. Schließlich entdeckt er den alten Stillman am Bahnhof in New York, ist allerdings völlig irritiert, als er einen zweite Person sieht, die ebenso aussieht der der Stillman auf seinem 20 Jahre alten Foto, das er von Virginia erhalten hatte. Er folgt der ärmlicher aussehenden Person zu einem heruntergekommenen Hotel. In den Tagen danach folgt er ihm auf seinen scheinbar ziellosen Spaziergängen durch Manhattan. Irgendwann zeichnet Quinn diese Routen in seinem Notizbuch und stellt dabei überrascht fest, dass sie pro Tag einen Buchstaben ergeben, der schließlich zu dem Begriff 'The Tower of Babel' führt, ein Bezug zu seinem Buch. 

Schließlich nimmt er direkt Kontakt zum alten Stillman auf. Es entspinnt sich ein ziemlich sinnloses Gespräch über die Sprache, Stillman behauptet, die Wörter entsprechen heute nicht mehr der Welt. Tags darauf trifft er ihn wieder, aber Stillman erkennt ihn nicht, diesmal gibt er sich als die Figur seiner Romane aus. Das Gespräch wird zunehmend absurder, genauso wie das im dritten treffen, als Quinn sich als Peter Stillman ausgibt und der alte Stillman lakonisch bemerkt, er sei Peter Stillman. Am selben Abend verschwindet der alte Stillman. 

Quinn beschliesst, den richtigen Paul Auster aufzusuchen, der aber gar kein Detektiv ist, sondern ein Schriftsteller (!). Dieser bietet ihm an, den Scheck von Virginia einzulösen und ihm das Geld zu geben. Quinn wir bewusst, dass Auster das Leben mit Frau und Sohn lebt, dass er selbst verloren hat. Auster verliert sich in Betrachtungen zu Don Quijote, es dreht sich wieder um die Frage, was ist erfunden und was ist real?

Danach fängt Quinn selber an, durch die Stadt zu laufen und Betrachtungen über Obdachlose und andere Beobachtungen zu notieren. Er will zu Stillmans, aber die sind nicht mehr da. Die Geschichte beginnt, sich aufzulösen. Scheinbar wartet Quinn wie ein Obdachloser gegenüber des Hauses, ohne die Stillmans je zu sehen. Da er den alten Stillman verloren hatte, da er ihn nicht 24 Stunden beobachten konnte, versucht er es nun, so wenig wie möglich zu schlafen und so wenig wie möglich Zeit für Einkäufe zu verwenden. Sein altes Leben verschwindet, das Geld geht ihm aus, er ruft Auster an, um das Geld von dem Scheck zu bekommen, damit er weitermachen konnte. Von Auster erfährt er dann, dass der alte Stillman Selbstmord begangen hat. Hat es also den jungen Stillman überhaupt je gegeben?

Quinn geht zurück in seine Wohnung, nur um festzustellen, dass dort jemand anderes wohnt, da er seit Monaten keine Miete bezahlt hat, war die Wohnung neu vermietet worden. Vollends löst sich alles auf, als Quinn in die leere Wohnung der Stillmans geht und dort am Ende nur noch sei Notizbuch gefunden wird.

Lesespaßfaktor:

Die Geschichte beginnt wie eine klassische Kriminalgeschichte. Aber sie endet nicht wie eine. Obwohl irgendwie doch die Lösung des Rätsels Stillmans in einem kleinen Nebensatz genannt wird, geht es um die Person des falschen Detektivs, der bei der Beobachtung eines Dritten sich selbst erkennt und doch auch völlig verliert, Schritt für Schritt löst sich die Figur auf.

Es werden viele literarische und bildungsbezogene Themen gestreift in dieser eigentlich recht kurzen Geschichte. Etwa das von Kaspar Hauser oder die Geschichte des Don Quijote. Das ist schon clever gemacht und auch spannend zu lesen. Sprachlich ist der Roman einfach zu lesen, Auster verwendet eher kurze, prägnante Sätze. Es geht um die eigene Identität, die Suche danach, wer ich eigentlich bin (und wenn ja, wie viele...).


♥♡

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