Mittwoch, 20. März 2024

Colson Whitehead - Underground Railroad

 


Autor:

Whitehead ist ein afro-amerikanischer Schriftsteller, der 1969 geboren wurde. Nach seinem Studium in Harvard hat er an zahlreichen renommierten Bildungseinrichtungen in den USA doziert. Er hat bislang 6sechs Romane veröffentlicht, von denen zwei den Pulitzer Preis erhielten, was überhaupt erst drei Autoren gelungen ist. 

Buch:

Dieser Roman wurde 2016 veröffentlicht und erhielt zahlreiche Preise, darunter den Pulitzer Preis für Fiktion. Aufmerksam geworden bin ich auf das Buch durch eine Empfehlungsliste in einer Tageszeitung.

Hauptfiguren:
  • Cora alias Bessie Carpenter, eine entflohene Sklavin
  • Ajarry, ihre Großmutter
  • Mabel, ihre Mutter
  • Lovey, eine Freundin in jungen Jahren
  • Caesar, alias Christian Markson, Feldarbeiter auf der Plantage und Initiator der Flucht
  • James und Terrance Randall, Söhne des Sklavenbesitzers
  • Arnold Ridgeway, Sklavenfänger
  • Mr. Fletcher, ein weißer Farmer und Abolitionist
  • Sam, Stationsvorsteher der Underground Railway in South Carolina
  • Martin, Stationsvorsteher der Underground Railway in North Carolina
  • Ethel, seine Frau
  • Royal, ein Freund und Retter Coras, Mitarbeiter bei der Railroad
Inhalt und Rezeption:

Die Geschichte beginnt mit der Verschleppung von Coras Großmutter als Sklavin nach Amerika, wo sie unter fürchterlichen Bedingungen auf verschiedenen Plantagen (Zucker, Tabak, Baumwolle) arbeiten muss. Von vier Männer bekam sie fünf Kinder, von denen nur Coras Mutter überlebte. Als Cora 11 Jahre alt ist, verschwindet die Mutter. Sie hat ein winziges Stück Land von ihrer Mutter geerbt, das man ihr aber sofort streitig macht. Als sie etwas älter ist, wird sie von anderen Sklaven vergewaltigt. Während einer Geburtstagsfeier des ältesten Sklaven wird Cora von Caesar angesprochen, der mit ihr zusammen abhauen will. Es wird dem Leser aber nicht deutlich, warum er sie dafür ausgewählt hat, denn sie hatten bis dahin keinen wirklichen Kontakt. Der einzige Hinweis ist, dass eben auch Coras Mutter verschwunden ist und nicht wieder aufgegriffen wurde. Zunächst sagt sie nein, aber nachdem sie dann schwer verprügelt wurde, weil sie auf der Feier einem Jungen, der ebenfalls den Unmut der Herren auf sich gezogen hatte, zur Hilfe eilte, ändert sie ihre Meinung.

Der Leser erfährt kurz etwas über das Schicksal von Caesar, der erst im Norden lebte, dort sogar lesen lernte und eigentlich aus der Sklaverei entlassen werden sollte, dann aber doch in den Süden verkauft wurde. Er lernt Mr. Fletcher kennen, einen Abolitionisten (Gegner der Sklaverei), der ihnen bei der Flucht helfen will und den Zugang zur Underground Railway (System zur Unterstützung entflohener Sklaven auf ihrer Flucht) verschaffen will. Der Tag der Flucht rückt näher. Überraschenderweise schließt sich Lovey den beiden an, sie wandern durch die Sümpfe in Richtung Norden zum Treffpunkt mit Mr. Fletcher. Unterwegs warten aber schon die Sklavenjäger, nur Caesar und Cora können sich behaupten -allerdings erschlägt Cora dabei einen erst 12-jährigen Jäger- und fliehen zusammen weiter. Schließlich erreichen sie Mr. Fletchers Farm, der sie per Auto weiterbringt zur Underground Railway, mit der sie dann nach South Carolina fahren.

Vorgestellt wird im nächsten Kapitel der Sklavenjäger Arnold Ridgeway, der von Coras und Caesars Eigentümer beauftragt wird, sie wieder einzufangen.

Cora und Caesar bekommen neue Identitäten und leben -als formell vom Staat gekaufte ehemalige Sklaven zunächst in einer größeren Stadt in South Carolina, Cora als Hausangestellte der Andersons, Caesar als Fabrikarbeiter. Nur ganz langsam können sie ihr furchtbares Leben auf der Plantage hinter sich lassen. Cora bekommt eine Anstellung im Museum der Naturwunder, als Darstellerin afrikanischer Bräuche -quasi ein lebendiges Ausstellungsstück! Von staatlich finanzierten Ärzten wird Cora untersucht, ihr wird eine Sterilisation ans Herz gelegt. Der amerikanische Staat versuchte damals, hierdurch die hohen Geburtenraten der schwarzen Bevölkerung in den Griff zu bekommen! Auch wieder das Motiv der Demütigung und der Illusion von Freiheit. Eines Tages ruft Sam sie zu sich, um von diesen und anderen medizinischen Experimenten an Schwarzen zu berichten und ein paar Tage später auch vom Sklavenjäger Ridgeway zu berichten, der nach ihnen suchen würde. Cora kann gerade noch in den unterirdischen Bahnhof unter Sams Haus fliehen, bevor dieses in Flammen aufgeht. Sie ist tagelang quasi eingesperrt, bevor endlich doch ein Zug kommt und sie mitnimmt. Caesar ist verschwunden.

Aussteigen kann sie an einem eigentlich still gelegten Bahnhof in North Carolina, wo der Stationsvorsteher Martin sie zunächst mit in sein Haus nimmt und dort auf dem Spitzboden versteckt hält. Aufgrund der schwierigen Verhältnisse in South Carolina und der Angst ihrer "Gastgeber" muss sie monatelang dort ausharren, nur mit der aller notdürftigsten Versorgung. Ist das wirklich besser als ein Leben als Sklavin? Schließlich wird sie bei einer der vielen Durchsuchungen des Hauses entdeckt, das Hausmädchen hatte Verdacht geschöpft und die Behörden informiert. Ridgeway ist auch schon da und nimmt sie mit. Ihre Helfer Martin und Ethel werden vom Mob gesteinigt. 

Auf der Fahrt in Richtung Georgia durchqueren sie das durch einen verheerenden Brand verwüstete Tennessee. Ridgeway erzählt Cora schließlich, dass auch Caesar es nicht geschafft hatte und schon vor längerer Zeit den Tod gefunden hatte. Dann erscheinen plötzlich drei bewaffnete Farbige -einer heißt Royal und ist schon länger in der Anti-Sklaverei Bewegung tätig und bei der Railroad aktiv-und befreien Cora aus Ridgeways Klauen. 

Schnitt: Cora ist auf der Valentin Farm in Indiana untergekommen. Hier ergeht es den Schwarzen viel besser, sie müssen/können zwar arbeiten, sind aber frei. Royal nimmt Cora eines Tages mit zu einer verlassenen Station der Underground Railroad, dabei erinnert sich Cora an ihre Rettung in Tennessee und wie sie nach Indiana gekommen war. Als aber auf der Farm eine große Versammlung abgehalten wird, überfallen Weiße, denen auch in Indiana eine erfolgreiche schwarze Farm unheimlich ist, die Versammelten und töten zahlreiche Bewohner, darunter auch Royal. Merke, auch wenn Schwarze vermeintlich frei leben dürfen, leben sie praktisch aber doch noch wie Sklaven. Zu den marodierenden Weißen gehört auch Ridgeway, der Cora also erneut einfangen kann, auch wenn ihr Sklavenhalter in Georgia längst verstorben ist.

Aufgeklärt wird auch noch das Schicksal von Coras Mutter. Tatsächlich ist sie eines Nachts entflohen, wollte aber nach wenigen Stunden wieder zurück zu ihrer Tochter, wurde dann aber von einer giftigen Schlange gebissen und starb daran, im Sumpf versinkend. Schließlich kann Cora Ridgeway erneut entkommen, bei dem Gerangel kommt er ums Leben. Durch den Tunnel der stillgelegten Underground Railway Station, die Royal ihr gezeigt hatte, flieht sie per Draisine und zu Fuß und trifft schließlich ein Schwarzen auf einem Kutschbock, der mitnimmt in Richtung Norden. Ende der wunderbaren Geschichte, die eigentlich nicht zu Ende ist und irgendwie auch immer so weiter gehen könnte.

Lesespaßfaktor:

Das brutale Leben in der Sklaverei wird hier aus Sicht der jungen Cora erzählt. Die Sklaven sind -keine neue Erkenntnis- immerwährender Demütigung und Gewalt ausgesetzt. Der Sklave ist ein Vermögenswert, atmendes Kapital, fleischgewordener Profit, wie Whitehead es ausdrückt. Was die Erzählung aber sehr lesenswert macht, sind die häufigen Wechsel der Zeiten. Ohne Vorwarnung wird dann etwa von der Flucht der Mutter Coras erzählt, eingebettet in die Geschichte von Cora selbst. Das erfordert volle Konzentration, bringt aber in der Summe auch gutes Verständnis für die Periode der Sklaverei, die mehrere Generationen umfasste. 

Die Underground Railroad ist eine Fiktion, die der Geschichte einen guten Rahmen gibt. Ein tolles Buch, das einen enormen Lese-Sog entfaltet und dessen herausragende Qualität ich hier als eine Sammlung von Zitaten vorstellen möchte.
"In ihrer Erschütterung entfärbte sich die Welt für sie zu grauen Eindrücken."

"Es gab eine Ordnung von Elend, ein in anderem Elend steckendes Elend, ..."

"Die Welt hatte einem nichts mehr zu bieten als die neuesten Varianten von Grausamkeit." 

"Der weiße Südstaatler entsprang den Lenden des Teufels, und welche Übeltat er als nächstes begehen würde, war nicht vorherzusagen. 

"Methodisten und ihre Albernheiten hatten am Busen von König Baumwolle nichts zu suchen." 

"Hier lag der wahre große Geist, der göttliche Strang, der alles menschliche Streben miteinander verband -wenn du es halten kannst, gehört es dir. Dein Eigentum, ob Sklave oder Kontinent. Der amerikanische Imperativ." 

"Geraubte Körper bearbeiten geraubtes Land." 

Im Tod wurde der Neger zu einem Menschen. Erst da war er dem Weißen gleichberechtigt." 

"Alle Menschen sind gleich, es sei denn, wir entscheiden, dass du kein Mensch bist."

"Manchmal ist eine nützliche Illusion besser als eine nutzlose Wahrheit." 

 

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