Mittwoch, 8. Mai 2024

Klaus Mann - Mephisto

 

Autor:

Klaus Mann ist der älteste Sohn des berühmten Nobelpreisträgers Thomas Mann. Geboren wurde er 1906. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten emigrierte er und wurde einer der bedeutendsten Schriftsteller der Exilliteratur. Sein erster Erfolg war 1925 ein Theaterstück (Anja und Esther), in der er seine Internatszeit verarbeitete und bei dessen Uraufführung er selbst, seine Schwester Erika und Gustav Gründgens (die zeitweise verheiratet waren) mitspielten. Auf einer Reise nach Marokko lernten Klaus und seine Schwester Drogen kennen, die ihn zeitlebens nicht mehr los ließen. Nach Hitlers Machtergreifung gehörte Klaus Manns erster Roman, der von einem Homosexuellen handelt, zu den entarteten Büchern und wurde verbrannt. Mann geht nach Paris ins Exil und später an verschiedene weitere Orte und schließlich 1938 in die USA, wo er sogar vom FBI überwacht wird wegen vermeintlich kommunistischer Gesinnung. Nach dem Krieg wird er mit Deutschland nicht mehr warm. Schließlich stirbt er 1949 an einer Überdosis Schlafmittel (Suizid?).

Buch:

Eben Gustav Gründgens und seine künstlerische Nähe zum Regime Hitlers wird als Vorbild für die Hauptfigur Hendrik Höfgen in diesem Roman aus dem Jahre 1936 gesehen. Mit dem Verbot der Wiederveröffentlichung des Romans im Jahre 1971, da die Persönlichkeitsrechte des verstorbenen Gründgens höher eingestuft wurde als die künstlerische Freiheit Manns, verursachte das Buch einen veritablen Skandal in der alten Bundesrepublik. Der Roman gilt als eines der wichtigsten Werke Klaus Manns.

Hauptfiguren:

  • Hendrik (Heinz) Höfgen, Staatstheaterintendant
  • Bella Höfgen, seine Mutter
  • Josy, seine Schwester
  • Juliette Martens (Prinzessin Tebab), seine halbafrikanische Freundin in Hamburg
  • Cäsar von Muck, Staatsrat und Präsident der Dichterakademie, Freund des Diktators (=Hitler)
  • Oskar H. Kroge, Direktor der Kammerspielbühne in Frankfurt a.M., dann in Hamburg am H.K.
  • Dora Martin, jüdische Schauspielerin aus Berlin
  • Otto Ulrichs, Schauspieler im H.K., Kommunist
  • Hans Miklas, Schauspieler im H.K., Nazi
  • Nicoletta von Niebuhr, Gastschauspielerin im H.K.
  • Barbara Bruckner, ihre Freundin und Tochter des Geheimrates Bruckner, eines Freundes ihres verstorbenen Vaters
  • Theophil Marder, Autor des Stückes "Knorke"
  • Lotte Lindenthal, Schauspielerin und Freundin des Ministerpräsidenten

Inhalt und Rezeption:

Vorspiel 1936:

Zu Ehren des theaterverliebten Ministerpräsidenten (=Göring) findet in der Berliner Oper ein großer Empfang statt. Mann beschreibt mit triefender Ironie dieses Fest sowie die anwesenden Prominente und Profiteure des neuen Deutschlands ("...die geschwätzige Dame, die den lebhaften deutschen Kriegsvorbereitungen ihr wundervolles Collier, ihre langen Ohrgehänge, die Pariser Toilette und all ihren Glanz verdankte."). Auf der Tombola gibt es etwa unter anderem ein Maschinengewehr aus Lübecker Marzipan zu gewinnen. Genüsslich zeichnet Mann ein Treffen des Propagandaministers (=Goebbels) mit dem verhassten Ministerpräsidenten nach und beschreibt die Eifersucht ihrer jeweiligen Ehefrauen aufeinander. Der Ministerpräsident nennt Höfgen auf dieser Veranstaltung 'Mephisto'.

H.K. (Hamburger Kammertheater) und Die Tanzstunde:

Rückblick in das Jahr 1926. Der Frankfurter Theaterintendant Kroge ist an das Hamburger H.K. gewechselt. Dort tritt auch Höfgen als Regisseur und als Schauspieler auf, der zu dieser Zeit mit dem Kommunismus sympathisiert, ebenso wie sein Schauspielkollege Ulrichs, ohne dies aber wie dieser zu exponiert zu vertreten. Ein junger Mann im Theater, Hans Miklas, ist Anhänger der zu dieser Zeit noch nicht so weit verbreiteten Nationalsozialisten. In diesem Kapitel und damit an einem einzelnen Tag im Theater geht es um die Reflektion der politischen Gegebenheiten im Lande, dargestellt an den verschiedenen Personen im Theater. Und um die damaligen Selbstzweifel Höfgens an seinem Genie. Am nächsten Morgen sind Proben angesetzt und Höfgen leitet diese in despotischer und arroganter Art, am Nachmittag muss er schnell gehen, um sich mit Juliette in seinem Zimmer zu treffen. Der Leser erfährt über die Vorgeschichte Juliettes, die Hendrik als Tänzerin in einer schmuddeligen Kneipe in St. Pauli kennengelernt hat und für Tanzstunden verpflichtet hat, die ihm als Schauspieler helfen sollen. Sie wird quasi als seine Domina beschrieben.

Knorke, Barbara und Der Ehemann:

Es wird ein neues Stück des Autors Marder geprobt, der Nicoletta als Hauptdarstellerin  an der Seite von Höfgen haben will. Auch deren Freundin Barbara kommt zur Premiere. Die wird ein grandioser Erfolg und im Anschluss lädt der selbstverliebte Autor Höfgen, Nicoletta und Barbara zum Dinner ein. Dabei lernt Höfgen Barbara näher kennen und interessiert sich für sie, mehr als für den plötzlich eitlen und reaktionären Marder. Während noch das Stück aufgeführt wird, lernen sich die beiden besser kennen und verloben sich schließlich, Höfgen blickt dabei auch auf den gesellschaftliche Einfluss ihres Vaters. Am Tage vor der Hochzeit lernt er ihn erst kennen und fühlt sich zunächst etwas unwohl und schämt sich seiner kleinbürgerlichen Familie. Trotz der gesellschaftlichen Unterschiede wird geheiratet. Auf der Hochzeitsreise an einen idyllischen See treffen sie (Hendrik, Barbara und Nicoletta) wieder auf Theophil, der hier ein Haus besitzt und zu Hendrik verwundert bemerkt, dass er doch eine überaus schwierige und langweilige Frau geheiratet habe. Hendrik kann seinen ehelichen Pflichten nicht nachkommen, er braucht anscheinend die dominante Art von Juliette. Zurück in Hamburg finden sie nicht in ein geregeltes Eheleben, im Gegenteil Hendrik geht gleich wieder zu Juliette und dort klagt er über seine Ehefrau. Diese freundet sich wiederum mit einigen Mitgliedern des Theaterensembles an und hat einige politische Diskussionen mit dem jungen Miklas. Ein Streit hierüber und mit Miklas direkt führt dazu, dass Höfgen ihn entlassen lässt.

Es ist doch nicht zu schildern...:

Ausgerechnet Marder verschafft Höfgen ein Gastspiel in Wien, wo er an der Seite der berühmten in Berlin erfolgreichen Dora Martin eine 'mittlere' Rolle in einem Boulevard Stück spielen soll. Obwohl das Gastspiel nicht sehr erfolgreich verläuft veranlasst ausgerechnet Dora Martin, die über ihn sagt. "Er ist ganz gewissenlos, ein ganz schlechter Mensch", dass er ein schlecht dotiertes Angebot in Berlin erhält, aber er ist so süchtig nach Ruhm in der Hauptstadt, dass er es annimmt. Und er hat Erfolg. Bereits in seinem zweiten Stück wird er gefeiert, als Inkarnation des Bösen, erstmalig quasi als Mephisto. Er dreht einen ersten Film und innerhalb von 2 Jahren ist er der umschwärmte Star  in der Berliner Gesellschaft. Auch Juliette kommt nach Berlin und nutzt ihn nun vollends aus. Von Barbara entfremdet er sich zusehends und sein Schwiegervater meidet Berlin aufgrund der drohenden politischen Umwälzungen. Von denen will Hendrik nichts wissen, er konzentriert sich allein auf seinen Bühnenerfolg und bewegt sich mühelos in linken, rechten und jüdischen Zirkeln. 1932/33 spielt Höfgen dann erstmals wirklich die Rolle des Mephistopheles in Goethes Faust. Es ist ein überwältigender Erfolg. Nach er Premiere kommt Dora Martin in seine Garderobe, gratuliert ihm, sagt ihm eine erfolgreiche Zukunft und und verabschiedet sich nach Amerika, da sie als Jüdin in Deutschland nichts mehr zu suchen hat. Hendrik versteht das alles nicht. 

Der Pakt mit dem Teufel:

Hitler ("jener Mann mit der bellenden Stimme") kommt an die Macht, Henrik befindet sich zu dieser Zeit zu Dreharbeiten in Madrid. Er ist entsetzt, aber vor seiner selbst willen, hat er es sich in der Vergangenheit doch mit einigen Sympathisanten der Nazis verdorben. Aus Berlin erfährt er, dass er ebenso wie sein Schwiegervater auf einer schwarzen Liste steht, daher fährt er zunächst besorgt nach Paris, wo er unruhig und gelangweilt überlegt, was er tun soll. Da erfährt er, das Lotte Lindenthal ein gutes Wort für ihn eingelegt hat, so dass er als Nicht-Jude nach Berlin zurückkehren kann. Kurz vor seiner Abfahrt sieht er aber rein zufällig ausgerechnet seine Frau Barbara, die er monatelang nicht mehr  gesehen hatte und einige der alten Hamburger Kollegen wieder. Aber aus Angst, selbst gesehen zu werden, geht er schnell weiter. Schnell passt er sich in Berlin an, verleugnet seine bisherigen künstlerischen Weggefährten und schmeichelt der schlechten Schauspielerin Lindenthal besonders, da er ohne ihre Protektion verloren wäre, denn seine künstlerischen Feinde (von Muck) haben wichtige Positionen ergattert. Genau diese Protektion nutzt er durch seine Anbiederung, um wieder die Rolle des 
Mephisto zu bekommen. Ausgerechnet der ihn aus Hamburger Zeit hassende Altnazi Hans Miklas soll auch eine kleine Nebenrolle übernehmen. Sein Spiel ist aber Triumph, schon in der Pause bittet ihn der begeisterte Ministerpräsident in sein Loge, Hendrik begeistert ihn auch mit seinen Anekdoten, aber er denkt auch. "Jetzt habe ich mich verkauft...Jetzt bin ich gezeichnet!"

Über Leichen:

Und nun gehört er zum inneren Zirkel der neuen Macht, ein zartes schlechtes Gewissen bleibt, aber eigentlich suhlt Hendrik sich in seinem Glück. "Sie sind ja gar nicht so schlimm,..." denkt er für sich. Mann kehrt dann in der Beschreibung all der zu Macht gekommenen Nazis zu seinem wunderbaren Zynismus vom Anfang zurück. Im Theaterwesen verbleiben nur Speichellecker und schauspielernde Nazis, aber die gleichgeschaltete Presse bejubelt alle. Immerhin ist Hendriks Beziehung zum Ministerpräsidenten inzwischen so gut, dass er seinen alten Weggefährten Otto aus dem Gefängnis holt. Er heult mit den Wölfen, vielleicht ein wenig zu laut. Nun muss er Juliette loswerden. Da sie aber zunächst Widerstand leistet, lässt Hendrik sie verhaften, erst nach einigen Wochen Haft kann sie nach Paris ausreisen. Hans Miklas ist dagegen so desillusioniert von den Nazis, dass er unvorsichtig wird und schließlich aufgrund seines losen Mundwerks erschossen wird. 

In vielen Städten

1934 lässt Höfgen sich von Barbara scheiden, diese ist in der Pariser Emigration in den Widerstand eingetreten; ihrem Vater wird unreines Blut vorgeworfen, er wird ausgebürgert, aber er konnte rechtzeitig nach Südfrankreich auswandern. Ganz in der Nähe wohnt der ebenfalls emigrierte Theophil Marder zusammen mit Nicoletta, ersterer ebenfalls persona non grata in Deutschland, sie kehrt später zurück und spielt wieder mit Höfgen in Hamburg Theater. Auch über all die anderen Weggefährten, die überall verstreut leben, wird kurz berichtet. Dann wird Hendrik Nachfolger des Intendanten von Muck, nach heftiger Auseinandersetzung zwischen dem Propagandaminister und dem Ministerpräsidenten. Er "genoß es, sich bitten zu lassen von der blutbefleckten Macht."

Die Drohung

So devot Höfgen sich dem neuen Establishment gegenüber verhielt, er war nicht Parteimitglied und hatte doch einige Zweifel, was passiert, wenn dieser Spuk doch mal vorbeigehen sollte. dafür bauchte er "Rückversicherungen". Und so hatte er einen halbjüdischen Assistenten, was ihm auch in oppositionellen Kreisen durchaus angerechnet wurde. Otto Ulrichs nimmt wieder Kontakt zu den Widerstandsgruppen im Untergrund auf, was ebenso nicht ungefährlich für Höfgens Position ist, wie die Gerüchte, die ausgerechnet von Muck verbreitet, nämlich über seine Rassenschande, die er mit Juliette getrieben haben soll. Zum Schutz heiratet er Nicolette. Und der Ministerpräsident schickt ihn gar zur Audienz zum "Messias aller Germanen" (Hitler), um alle Gerüchte zu zerstreuen. Da Höfgen den passenden, unterwürfigen Eindruck macht, darf er im Amt bleiben, wird gar mit weiteren Titeln überhäuft. Aber etwas später wird Ulrichs doch verhaftet und gleich ermordet. Höfgen hatte sich zwar noch einmal für ihn eingesetzt, dabei aber beinahe den Bogen der Geduld des Ministerpräsidenten überspannt. Immerhin spendet er anonym für den Sarg seines alten, verleugneten Weggefährten. Nach der Premiere seines Hamlet gewinnt er aber wieder die Bewunderung zurück, auch wenn er selbst mit seiner Darstellung hadert. Höfgen ist am Ende zerrissen, am Abend der Premiere erhält er noch Besuch eines Freundes von Otto Ulrichs, de ihm indirekt droht, auch nach der Zeit der Nazis werde man Rolle dieser Zeit nicht vergessen. Er heult sich bei seiner Mutter aus, versteht diese Drohung nicht. "Ich bin doch nur ein ganz gewöhnlicher Schauspieler."

Lesespaßfaktor:

Das Vorspiel ist einfach großartig, es trieft vor Sarkasmus und ist wunderbar geschrieben. Danach beginnt rückbetrachtend die Geschichte Hendrik Höfgens, Klaus Mann beschreibt immer wieder ausführlich seine Charakterzüge, eitel, aber voller Selbstzweifel, dann wieder arrogant und von seinen Fähigkeiten überzeugt, immer wahrnehmend, was andere von ihm halten. Sein 'aasiges' Lächeln symbolisiert seine Unaufrichtigkeit, andererseits lässt er über sagen: "Seine Falschheit ist seine Echtheit." Genauso widersprüchlich sein Äußeres, mal wird er als schöner Mann tituliert, dann wieder als fahler, verfetteter Mann.

Die innere Zerrissenheit Höfgens zwischen dem äußerlichen Erfolg auf der Bühne  und den Selbstzweifels jenseits der Bühne ziehen sich durch den ganzen Roman. Der schlechte Charakter von Höfgen wird zusehends im Roman deutlicher, ganz besonders, als er seine Frau nach der Machtergreifung der Nazis in Paris sieht, sie aber nicht einmal mehr anspricht, um nicht Gefahr zu laufen, seine Rückkehr auf die Bühnen nach Berlin zu gefährden. Er dreht sein Fähnchen immer nach dem Winde. Für seinen Erfolg lässt er sich auch mit dem Teufel ein, hier in Form des Ministerpräsidenten (=Hermann Göring).
Die subtile Beschreibung der Anfangszeit der nationalsozialistische Regierung gegen Ende des Romans ist ebenso unwiderstehlich wie das Vorspiel. Ein ganz großer Roman, auch heute noch brandaktuell.

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