Samstag, 9. März 2024

Franz Kafka - Der Proceß

 

Autor:

Franz Kafka wurde 1883 in Prag als Sohn jüdischer Eltern geboren. In der Stadt blieb er fast sein ganzes Leben. Nach seiner Promotion als Jurist 1906 begann er ein Jahr später in der Prager Filiale einer italienischen Versicherungsgesellschaft zu arbeiten und wechselte wiederum ein Jahr später in die Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt, wo er bis zur vorzeitigen Pensionierung 1922 arbeitete. Er starb sehr jung an der Folgen einer Tuberkulose 1924. Viele seiner Werke wurden erst posthum durch seinen Freund Max Brod veröffentlicht, übrigens gegen seinen Willen. Daher sind auch viele Texte unvollendet. Seine Art der Schilderung von unergründlich bedrohlichen und absurden Situationen hat zur Bildung des auch im außerliterarischen Kontext verwendeten Adjektivs „kafkaesk“ geführt. Insbesondere seine schwierige Beziehung zum Vater hat Kafka in seinen Werken immer wieder thematisiert.

Buch:

Der Anlass für die Lektüre ist die gestrige Lesung des deutschen Schriftstellers Rüdiger Safranski, der eine neue Biografie über Kafka verfasst hat anlässlich seines 100. Todestages. Dieses Buch ist einer der drei unvollendeten Romane Kafkas und wurde 1914/15 geschrieben. Kurz vor Schreibbeginn war Kafkas Verlobung unter Anwesenheit der Familie seiner Verlobten aufgelöst worden, ein Ereignis, das er als Gerichtshof empfang. Und mit Attentat von Sarajevo begann der erste Weltkrieg. Das Buch wurde nicht in einer bestimmten Reihenfolge geschrieben und aufgrund einer Schreibblockade (nur bezogen auf dieses Werk) nicht vollendet.

Hauptfiguren:
  • Josef K., Prokurist in einer Bank
  • Elsa, seine Verlobte
  • Frau Grubach, seine Vermieterin
  • Fräulein Bürstner, seine Zimmernachbarin
  • Albert, sein Onkel
  • Leni, Pflegerin des Anwaltfreundes seines Onkels
  • Dr. Huld, Armenanwalt und Freund von Albert
  • Titorelli , Gerichtsmaler

Inhalt und Rezeption:

Für ihn völlig unvermittelt und grundlos wird Josef K. an seinem 30. Geburtstag in seinem Zimmer in der Wohnung von Frau Grubach durch zwei Beamte (Franz und Willem) verhaftet. Dabei muss er erst noch einige Zeit in seinem eigenen Zimmer warten, während die beiden Aufseher im Nebenzimmer warten, bis der Aufseher ihn rufen lässt. Konkretes erfährt er nicht, aber Andeutungen, seine Schuld wiege doch schwer. Irritierenderweise darf er danach in seine Bank zur Arbeit gehen, in Begleitung dreier junger Männer, die alle Beamte seiner Bank sind. Abends entschuldigt sich er (warum eigentlich?) sowohl bei Frau Grubach als bei Fräulein Bürstner. 

Für den Sonntag danach wird K. in eine Wohnung in einem Mietshaus zur Vernehmung bestellt, aber so wie man ihm nicht den Grund für die Verhaftung nannte, nennt man ihm weder den genauen Ort der Vernehmung noch die Uhrzeit, sondern nur die Adresse. Am Haus angekommen, irrt er umher und als er schließlich den Ort findet, heißt es lapidar, er sein zu spät. Und warum die Verhandlung dort öffentlich ist und viele Leute anwesend sind, das bleibt verborgen. Aber als der Untersuchungsrichter K. mit einem anderen Namen anspricht, meint man, dass K. hier wohl fälschlicherweise als Angeklagter steht. K. redet sich etwas um Kopf und Kragen und klagt die Obrigkeit im allgemeinen an.

Am nächsten Sonntag geht er wieder dort hin, ohne dass er aber einbestellt wurde. Er unterhält sich eine Weile mit der Frau des Gerichtsdieners, schließlich kommt dieser aber heim und geht mit K. eine Etage höher, wo sich ein seltsames Bürolabyrinth befindet, das die Kanzleien genannt wird. Hier fühlt er sich seltsam benommen, was aber wieder verschwindet, sobald er diesen seltsamen Ort verlassen hat. Alles ist seltsam beklemmend.

Einige Tage später hört K. in seiner Bank Seufzer aus einer Rumpelkammer dringen. Als er neugierig die Tür öffnet entdeckt er die beiden Diener Franz und Willem, die dort verprügelt werden sollen, weil er sich beim Untersuchungsrichter über sie beschwert habe. Er hat Mitleid und will das mittels Bestechung des Prüglers verhindern, was aber nicht funktioniert.

K.'s Onkel Albert kommt zu ihm in die Bank, da er von dem Proceß gehört hat und sich nun Sorgen um ihn macht (auch um den Ruf der Familie). Deshalb zerrt er K. zu einem alten Freund, der Armenanwalt ist. Dort hält sich auch noch ein Kanzleidirektor auf sowie die Pflegerin des Anwalts (Lena), die K. näher kennenlernen will und mit ihm anbändelt. Warum sie auch schon von dem Proceß weiß, bleibt unklar.  Jedenfalls rät sie K., künftig weniger unnachgiebig zu sein, um seine Aussichten in dem Proceß zu verbessern. Er solle einfach ein Geständnis ablegen, weil man sich gegen das Gericht nicht wehren könne. Sein Onkel ist entrüstet, dass K. einfach mit Lena für ein paar Stunden verschwunden ist, statt sich mit dem Anwalt zu unterhalten.

K. hat noch mehrere Besprechungen mit Dr. Huld, der in indirekter Rede in extensio (=langatmig) die positive Rolle eines Anwalts beschreibt. In der Bank besucht ihn ein Fabrikant (=Kunde), der ihm vom Gerichtsmaler Titorelli berichtet, der ihm vielleicht bei seinem Proceß helfen kann. K. sucht ihn in seinem schäbigen Atelier auf. Titorelli teilt ihm als Vertrauter des Gerichtes mit, dass das Gericht noch niemals einen Angeklagten als unschuldig angesehen hat, daher auch eine wirkliche Freisprechung unmöglich ist. Mit seiner Hilfe möglich sei allerdings die scheinbare (zeitweise) Freisprechung durch die untersten Richter oder die Verschleppung, d.h. das kontinuierliche Bearbeiten (Bestechung?) der untersten Richter, so dass der Proceß dauernd verschoben wird.

Da sein Proceß nicht vorangeht beschließt K. seinen Anwalt zu feuern. Er geht also wieder zu Dr. Huld, um ihm seine Entscheidung mitzuteilen. Dort trifft er auf den Kaufmann Block, von dem er einiges über dessen eigenen Proceß erfährt, vor allem, dass er schon sehr lange dauere, dass er weitere Winkeladvokaten engagiert habe, aber ohne irgendeinen Nutzen und dass man eigentlich nichts tun kann, um seinen Proceß zu beschleunigen. Huld versucht aber K. von seinem Nutzen zu überzeugen und holt Block zu dem Gespräch, der sich nach den vielen Jahren seines Processes sehr demütig verhält, was seine Abhängigkeit unterstreichen soll. Das Kapitel endet mitten in dem Gespräch.

Von seinen Vorgesetzten in der Bank ist K. beauftragt worden, einem italienischen Kunden den lokalen Dom zu zeigen. Im Vorgespräch beim Direktor der Bank wird ein Treffen für 10 Uhr im Dom vereinbart, K. kommt aber warum auch immer erst um 11 Uhr dort an, meint pünktlich zu sein, trifft aber den Kunden nicht an. Statt dessen trifft er dort auf einen Geistlichen, der gleichzeitig Gefängniskaplan ist und der behauptet, ihn in die Kirche bestellt zu haben. Er teilt K. mit, sein Proceß stünde schlecht und erzählt ihm ein Gleichnis über einen Mann vom Lande, der in das Gericht (=Himmel?) eingelassen werden will, aber von einem Türsteher daran gehindert wird. Der Geistliche und K. interpretieren die Geschichte anschließend sehr unterschiedlich.

Und schließlich wird K. von zu Hause abgeholt, in eine Kiesgrube geführt und dort brutal mit einem Fleischermesser erstochen. Seine letzten Gedanken: "Wo war der Richter den er nie gesehen hatte? Wo war das hohe Gericht bis zu dem er nie gekommen war?"

Das Werk blieb wie erwähnt unvollendet, die einzelnen Kapitel wurden separat geschrieben und dann erst zusammengesetzt. Es gibt noch einige Fragmente weiterer Kapitel, die ich hier aber nicht weiter zusammenfassen will, der Roman wäre im Idealfall noch etwas umfassender gewesen und vielleicht wären die harten Übergänge zwischen vielen Kapiteln durch die unvollendeten weiteren Kapitel etwas besser zu verstehen gewesen.

Lesespaßfaktor:

Der Leser wird sofort in die Geschichte hineingezogen und vermutet auch bald staatliche Willkür bei der Verhaftung des Protagonisten. Es stellt sich Unbehagen ein, weil man zum einen nicht so genau weiß, was K. eigentlich passiert und weil K. durch sein Verhalten alles nur schlimmer macht. Diese Gefühle des Unbehagens beim Leser zu erzeugen, das ist schon große literarische Kunst. 

Alle Figuren scheinen immer schon von der Anklage gegen K. zu wissen, Kafka lässt es aber im Unklaren, woher und warum. Aber was ist der Grund für diesen Proceß? Welche vermeintliche Schuld hat K. auf sich geladen? Ist das vielleicht religiös zu sehen? 

Die Sprache ist sachlich nüchtern, so gar nicht emotional. Im Mittelteil des Buches, bei den langen Beschreibungen der Funktion des Anwalts durch Huld wird es etwas langweilig. 

Zunehmend wird auch deutlich, wie mächtig das Justizwesen ist, sowohl auf der Anklageseite als auch auf Seiten der Verteidigung; K. wird quasi vollständig davon absorbiert. Und kurz vor der Ermordung K. bringt die Parabel 'Vor dem Gesetz', die der Geistliche erzählt, erneut religiösen Interpretationsspielraum.

Das Werk ist etwas wie frühere Schullektüre. Es bietet zahlreiche Auslegungsansätze und die Fragen im Deutschunterricht schweben einem vor Augen. Aber es entfaltet dennoch einen gewissen Lese-Sog und ich verstehe, warum die Werke Kafkas auch heute noch zur Weltliteratur zählen.

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