Freitag, 7. Juni 2024

Percival Everett - Die Bäume

 


Autor:

Everett ist Professor für Englisch an der Universität von Southern California. Er wurde 1956 geboren. Seinen ersten von über 20 Romanen veröffentlichte er bereits zu Studienzeiten im Jahr 1983. Er erhielt zahlreiche amerikanische Literaturpreise sowie Nominierungen für die beiden renommiertesten Preise in den USA, den Booker Prize und den Pulitzer Preis.


Buch:

Dieses Werk erschien im Original im Jahre 2021 und in der deutschen Übersetzung zwei Jahre später. Es wird dem Genre der Horrorkomödie zugerechnet und wurde in der deutschen Presse sehr positiv besprochen. Wir haben das Buch von sehr guten Freunden geschenkt bekommen. 


Hauptfiguren:
  • Ed Morgan, Detective von der State Police aus Hattiesburg 
  • Jim Davis, sein Partner
  • Gertrude "Dixie" Penstock, Bedienung im örtlichen Diner, ehemalige Studentin von Damon
  • Mama Z aka Adelaide Lynch, ihre vermeintliche Urgroßmutter
  • Herberta "Herbie" Hind, FBI Agentin
  • Wheat Bryant, arbeitsloser Weißer in Money, Mississippi
  • Charlene, alias Hot Mama Yeller, seine Frau
  • Roy Bryant, sein Vater
  • Caroline Bryant, genannt Granny C, seine Mutter
  • J.W. Milam, sein Onkel
  • Junior Junior, dessen Sohn
  • Lester William Milan, ein weiterer Onkel in Chicago
  • Daisy, Junior Juniors Frau
  • Lulabelle, seine Tochter
  • Red Jetty, Sheriff in Money
  • Delroy Digby, Deputy Sheriff und Neffe von Jetty
  • Braden Brady, ebenfalls Deputy Sheriff
  • Cad Fondle, Leichenbeschauer
  • Pick Leon Dill, sein Assistent
  • Damon Nathan Thruff, Dozent an der Universität in Chicago
  • Chester Hobsinger, verschwundener LKW Fahrer
Inhalt und Rezeption:

Tief im US-Bundesstaat Mississippi liegt das kleine Kaff Money, in dem sich die Familie von Wheat Bryant zusammenfindet. Seine Mutter erwähnt, dass sie vor vielen Jahren für ihren Bruder J.K. in der Sache eines afro-amerikanischen Jungen ("Niggerjunge") gelogen hat. Digby wird von Daisy gerufen, ihr Mann wurde brutal ermordet, auch ein kleiner schwarzer Junge liegt tot neben dem Leichnam. Kurze Zeit später ist aber der Leichnam des Jungen aus dem Gebäude des Leichenbeschauers verschwunden.

Die schwarzen Detektive Ed und Jim werden aus Hattiesburg zur Unterstützung nach Money beordert. Als sie ankommen, ist auch schon Wheat ermordet worden, der zuvor verschwundene Leichnam sitzt erneut neben dem Toten und verschwindet kurze Zeit später wieder. Und der weiße Sheriff Jetty empfindet diese Entsendung als Einmischung in lokale Angelegenheiten. So weit so eine klassische Situation in einem amerikanischen Krimi.

Aus dem Fernsehen erfahren die beiden Detectives von einem ähnlich Mordfall in Chicago, wo Lester William Milanm brutal ermordet wurde, erkennen aber noch keinen Zusammenhang. Abends in einer lokalen Kneipe erfahren sie dann, dass die Väter der beiden Toten (Roy und J.W.) in den 1950er Jahren einen schwarzen Jungen namens Emmett Till umgebracht haben, weil der angeblich Granny C beleidigt haben soll, sie wurden freigesprochen. Auf einem alten Foto erkennen sie die Ähnlichkeit zu den neben den aktuellen Leichen abgelegten toten schwarzen Jungen.

Bei der alten Mama Z erfahren Ed und Jim dann den Zusammenhang zu dem Todesfall in Chicago. außerdem hat die 105-jährige ein Archiv mit Informationen über fast alle Lynchmorde an Schwarzen seit 1913. Es wird nun klar, dass in Money Rache an den rassistischen Weißen geübt wird. Granny C stirbt vor Schreck, als sie in ihrem Schlafzimmer beim Aufwachen plötzlich die Leiche des schwarzen Jungen in einem Stuhl sitzen sieht. Nun wird auch noch die schwarze FBI Agentin Hind nach Money beordert und Gertrude ruft ihren ehemaligen Lehrer Thruff. In der Rechtsmedizin wird die Identität des toten schwarzen Jungen geklärt, der vor 12 Jahren starb und einbalsamiert wurde. Der nächste Tote in Money ist der Leichenbeschauer Reverend Doktor Fondle. Die nächsten drei Toten sind im ganzen Land verteilt, neben jedem der Toten eine tote, einbalsamierte 'Beigabe', darunter auch erstmals ein Asiate. 

Aus den von Mama Z gesammelten Unterlagen über Lynchmorde wird deutlich, dass der älteste Fall der Sammlung ihren eigenen Vater Julius Lynch (sic!) betraf, auch er wurde damals auf dieselbe bestialische Weise ermordet. An allen Fronten wird nun fleißig ermittelt. Angedeutet wird, dass Gertrude wohl in einen Zirkel Schwarzer verwickelt ist, die etwas mit den Morden zu tun haben könnten und die aufgefundenen einbalsamierten Leichen scheinen aus einer 'Lieferung' an Universitäten verschwunden zu sein, dessen verschwundener Fahrer hat auf einer Karte den Ort Money markiert und den Namen eines dortigen Restaurants erwähnt, in den sich Gertrude und ihre schwarzen Freunde treffen. 

Weitere Opfer gibt es nach und nach an zahlreichen weiteren Orten im Lande. Dann aber wird dem Leser klar offenbart, dass tatsächlich Mama Z und Gertrude mit ihren Komplizen verantwortlich sind für die Morde in Money, nicht aber für all die anderen. Und schließlich werden auch die weißen Polizisten Digby und Brady Opfer eines Lynch-Mobs. Überhaupt dreht die Geschichte jetzt ziemlich ab, überall gibt es schwarze und plötzlich auch asiatische Mobs, die selbst durch Schüsse nicht verletzt werden können. Witzig immerhin, wie Donald Trumps Tonlage getroffen wird bei einer vermeintlichen Fernsehansprache des Präsidenten zu den Lynchmorden an Weißen im ganzen Lande.

Im Rahmen der Hauptgeschichte steht Gertrude dann unter Verdacht, sie enthüllt, gar nicht mit Mama Z verwandet zu sein und nur in die drei ersten Morde verwickelt zu sein. Ausgerechnet der verschwundene Fahrer ist dann plötzlich der wirkliche Urenkel von Mama Z und in alles involviert, obwohl der eigentlich vorher als Weißer geschildert wurde. Wie geht die Geschichte zu Ende? Eher gar nicht. Es gibt überall im Lande eine gewalttätige Bewegung (" Steht auf, steht auf"), Mama Z lässt Damon die Namen der schwarzen, gelynchten Toten aufschreiben und das war es.

Lesespaßfaktor:

Das Buch hat einen schönen ironischen Auftakt mit der Vorstellung der weißen, ziemlich dümmlichen  Familie von Wheat Bryant, insbesondere wie der seinen Job als LKW-Fahrer verlor. Die Sprache ist einfach mit meist sehr kurzen Sätzen, geflucht wird übrigens auch ziemlich viel. Das klingt eher wie ein Filmdrehbuch, überhaupt habe ich eher einen Kinofilm vor Augen, sepiafarbene Bilder in Breitwandformat. 

Es geht um Rassismus, ein ironischer Blick auf den Rassismus im Süden der USA klingt dann so: "Wenigstens hat der Laden ein bisschen Farbe. Außer uns, meine ich." oder "Dämlicher Redneck ist redundant." Manchmal glaube ich, das Buch wäre besser im englischen Original zu lesen, ohne damit die Qualität der Übersetzung in Frage stellen zu wollen. 

Alle Weißen, insbesondere in Mississippi werden besonders hinterwäldlerisch dargestellt, viele scheinen Mitglieder des Ku-Klux-Klan zu sein, auch wenn das selten explizit ausgesprochen wird. Everett macht es sichtbar Spaß, vor dem Hintergrund seiner absurden, nicht immer ganz ernst zu nehmenden Geschichte, die Weißen in den USA als idiotische Deppen darzustellen.

Am Rande gibt es auch Anspielungen auf die aktuelle US-Politik, so heißt es über Trump: "Er hat zwar nicht mehr Grips als ein Stachelschwein, aber wie man den liberalen Eliten heimleuchtet, das weiß er."

Schwarzer Humor (sic!) kommt nicht zu kurz. Besonders gut gefallen hat mir etwa die folgende Rechtfertigung für den Rindfleischkonsum: "Wahrscheinlich würde ich mein Leben bestenfalls um ein paar Minuten verlängern. Und außerdem, wie viel Kühe würde ich retten? Wenn man darüber nachdenkt, ist es doch so: Da kein Mensch nur zum Spaß Hausrinder züchtet und da sie zu dämlich sind, um in der Wildnis zu überleben, trage ich in Wirklichkeit dazu bei, die Spezies vor dem Aussterben zu retten."

Im letzten Drittel des Buches wird es mir dann aber etwas zu viel mit den immer neuen Morden und den immer gleichen Detailschilderungen. Schade, dass es -wie so oft in Kriminalgeschichten- auch Everett nicht gelingt, eine tolle Geschichte intelligent zu Ende zu bringen. Die komödienhaften Kapitel gegen Ende sind bis auf eine erfundene Rede Trumps m.E. nicht wirklich lustig. Vermutlich wird etwa die Hälfte der amerikanischen Bevölkerung dieses Buch eher nicht mögen, auch wenn es einen tollen Sog, schnell weiterlesen zu wollen, entfacht. Für mich ist das Buch lesenswert in seiner Mischung aus Krimi, Farce und Komödie, allerdings doch mit einigen Schwächen. Drei, vielleicht auch dreieinhalb Sterne.

♥♡♡

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