Mittwoch, 24. Juli 2024

Stefan Zweig - Joseph Fouché (Bildnis eines politischen Menschen)

 

Autor:

Dieser jüdisch-österreichische Schriftsteller gehörte im frühen 20. Jahrhundert zu den populärsten deutschsprachigen Schriftstellern. Er wurde geboren 1881 in Wien und schied 1942 freiwillig aus dem Leben in seinem brasilianischen Exil, nachdem er bereits 1934 seine Heimat verlassen in Richtung London verlassen hat. Zweig gehörte während des nationalsozialistischen Terrors zu den verbotenen Autoren. Er war ein glühender Pazifist, was sicherlich in den schlimmen Kriegszeiten seine Depressionen gefördert hat. Zu seinen bekanntesten Werken gehört sicherlich die Schachnovelle oder die verfilmte Novelle 'Brennendes Geheimnis' sowie sein einziger vollendeter Roman 'Ungeduld des Herzens. Er schrieb auch zahlreiche historische Miniaturen und einige romanhafte Biografien wie eben dieses Buch. In vielen seiner Werke geht es um Tragik, Drama, Melancholie und Resignation.

Buch:

1929 erschien dieses Werk über das Leben des französischen Politiker Joseph Fouché, der zur Zeit der französischen Revolution und in der Kaiserzeit danach ein überaus einflussreicher Mann war. Da andere Werke Zweigs viel bekannter sind oder aber mir geläufigere historische Personen porträtierten, habe ich bislang immer einen Bogen um die Lektüre gemacht. Da ich mir aber gerade die Geschichte der französischen Revolution wieder neu erschlossen habe, soll dieses Buch das Thema vertiefen.

Inhalt und Rezeption:

Bereits im Vorwort wird eine zeitgenössische Einschätzung über den Machiavellisten Fouché gegeben (Verräter, Intrigant, Reptiliennatur usw). aber bereits Balzac hat diesen Mann als den psychologisch interessantesten Charakter seines Jahrhunderts gesehen. 

Fouché wurde 1759 in Nantes geboren als Sohn einer Fischerfamilie, Bildung und damit nicht-handwerkliche Tätigkeiten schienen ihm damit zunächst verwehrt in der ständegeprägten Gesellschaft im Frankreich des 18. Jahrhunderts. Bleibt die Kirche, in der er 10 Jahre ausgebildet wird und als Lehrer tätig ist (in Arras). Aber das Gelübde, Priester zu werden, das verweigert er. Was ihm für seine Zukunft bleibt ist erlernte Selbstdisziplin sowie ausgeprägte rhetorische Fähigkeiten. In einem Salon, in dem sich die so genannten 'Rosati' treffen, lernt er früh Robespierre kennen, der Ende der 1770er Jahre noch ein einfacher Anwalt war, und freundet sich mit ihm an. Aufgrund umtriebiger Vorschläge in seinem Kloster wird er zurück nach Nantes abgeschoben, gibt dort legt er aber schnell die Soutane ab und geht in die Politik. Er heiratet, um im Bürgertum mitmischen zu können. Und dann lässt er sich als Kandidat für den Konvent aufstellen, die gesetzgebende Versammlung Frankreichs.

Der erste Teil der Revolution war zu diesem Zeitpunkt (1791) schon geschehen, jetzt geht es um die künftige politische Ausrichtung der Republik. Auf der einen Seite die gemäßigten Girondisten, unter der Führung von Condorcet und Roland, auf der anderen Seite die Vertreter des Proletariats unter der Führung von Marat, Danton und Robespierre, die die Revolution weiter führen wollen. Fouché folgt wie immer der zu erwartenden Mehrheit und gesellt sich zu den ersteren. Damit endet die Freundschaft zu Robespierre endgültig. Auch wenn Fouché bei der Abstimmung über Leben oder Tod für den König Ludwig XVI sich auf die Seite der Aufrührer stellt. 

Als Vertreter des Konvents geht er zurück in seine Heimat, um dort die revolutionären Ziele durchzusetzen, was er mit eiserner Hand tut. Er schreibt ein Jahrhundert vor Marx quasi ein kommunistisches Manifest, enteignet die Kirche und alle Besitzenden. Aufgrund dieses Erfolges wird  er vom Konvent nach Lyon gesandt, um auch dort Aufstände zu unterdrücken. Diesmal allerdings auf blutigste Art und Weise lässt er bald 2.000 Gegner der Revolution erschießen und rechtfertigt sich mit den blumigsten Worten. Kurze Zeit später wird er aber vom "revolutionären Saulus" "zum humanen Paulus", er wittert wieder die Mehrheit woanders. Angeklagt wird er von Robespierre aber ausgerechnet wegen zu großer Menschlichkeit und damit dem Verrat an der Revolution, welch eine Farce. Es beginnt ein tödlicher Kampf der Protagonisten, an dessen Ende Robespierre guillotiniert wird. 

Zum Ende der Revolution hin taucht Fouché erst einmal unter. Er lebt 3 Jahre in bitterster Armut, bis er als Spion des neuen starken Mannes der neuen Republik, Barras, wieder ins Spiel kommt. Bei dubiosen Beschaffungsgeschäften für die Armee verdient er mit, beim Staatsstreich, der Abschaffung eben dieser Republik ist er auch wieder dabei. Er reist nach Italien und in die Niederlande im Namen der neuen, reaktionären Regierung, ist dort erfolgreich und wird 1799 zum Polizeiminister ernannt. Seine erste Tat ist das Verbot der Club der Jakobiner, der Herzkammer der Revolution, die damit auch beendet ist. Dann baut er ein stasi-ähnliches Informanten-Netzwerk auf, zu seinen Spionen gehört gar die spätere erste Ehefrau Napoleons. Er lernt Napoleon persönlich kennen, unterstützt seinen Umsturz in gewohnt subtiler Art und bleibt als Polizeiminister an der Seite des Heroen beim Wiederaufbau der französischen Nation.

Einen ersten Riss in diese eher berufliche Verbindung bringt ein Attentat auf Napoleon, der dieses den Jakobinern vorwirft und Fouché anklagt, diese Verschwörung nicht rechtzeitig aufgedeckt zu haben. Dieser wiederum kann ermitteln, dass Royalisten hinter dem Anschlag standen, seine Position ist wieder einmal gerettet. Aber Napoleons Familie will ihn loswerden, da Fouché sich auf die Seite Napoleons verschwenderischer und kinderlosen Gattin gestellt, die damit der Kaiserkrone im Wege steht, und schließlich lobt Napoleon ihn weg in den Senat, vergoldet mit Geld und einem Fürstentum. Er wird sehr reich, bleibt aber ungeduldig, wieder an der Macht teilzuhaben, was zwei Jahre später schon der Fall ist, denn Napoleon braucht jetzt die Senatoren, zu denen Fouché inzwischen als Teil seiner Belohnung gehört, um Kaiser einer Erbdynastie zu werden.

Während des Kaiserreichs entwickelt sich dann eine weitere Feindschaft, die zum Außenminister Talleyrand, der ebenso wichtig für Napoleon ist wie Fouché selbst; beide vereint aber auch die Ablehnung der immer größer werdenden Macht des Kaisers und insbesondere die Sinnlosigkeit des Krieges gegen Spanien 1808. Aber es kommt wie immer. Napoleon zürnt über die vermeintliche Konspiration, die nur aus einem öffentlichen Treffen der beiden bestand, aber nur Talleyrand wird entlassen, Fouché zusätzlich Innenminister. In der Funktion mobilisiert er in Abwesenheit Napoleons, der wieder Krieg gegen Österreich führt, selbstständig die Nationalgarde, als die Engländer in Frankreich einfallen und gewinnt. Dafür wird er zum Herzog von Otranto (im Südosten Italiens) ernannt. 

Aber wie Napoleon selbst wird auch Fouché größenwahnsinnig, er will einen Separatfrieden mit England einfädeln, ohne das Wissen des Kaisers. Als dieser Komplott auffliegt, wird er (mal wieder) entlassen, aber erneut mit weiteren Pfründen bedacht, er soll Staatsrat und Botschafter in Rom werden, Napoleon erkennt immer die Widerstandskraft und die Macht Fouchés an. Dazu kommt es aber nicht, denn Fouché vernichtet oder entwendet vor seiner Demission als Polizeiminister alle wichtigen Papiere. Diese Freveltat erzürnt Napoleon so sehr, dass er ihn 1809 nach Aix auf sein dortiges Gut verbannt. Fouché erleidet einen Nervenzusammenbruch. Dann stirbt noch seine geliebte Frau und er will nur noch seine Ruhe.

Erneut dreht sich die politische Welt, Napoleon verliert erstmals einen Krieg, 1912 in Russland, seine Macht bröckelt und er sucht in Sachsen eine Entscheidungsschlacht. Um Fouché, der inzwischen wieder näher an Paris wohnen darf, von dort wegzulocken, befiehlt er ihm Statthalter der Provinz Illyrien (ein Gebiet in und rund um das heutige Slowenien) zu werden, der dort aber nur noch den geordneten Rückzug organisieren kann, denn Napoleon verliert seine Weltmacht in der Völkerschlacht bei Leipzig. Als Fouché nah einer weiteren Mission in Italien endlich nach Paris zurückkehrt, kommt er zu spät, Napoleon ist bereits abgesetzt und Ludwig XVIII der König, die Regierung wird ausgerechnet von seinem einstigen Widersacher Talleyrand geführt. 

Aber Napoleon kehrt aus seinem Exil auf Elba zurück, um den unbeliebten neuen König wieder zu stürzen. Die berühmten 100 Tage bis Waterloo stehen bevor. Die meisten der ehemaligen Unterstützer haben sind indes abgewendet, nur der machtgierige Fouché ist sofort wieder zur Stelle und wird zum dritten Mal der Polizeiminister. Unterstützung für Napoleon gibt es nicht mehr, das Volk ist der Opfer an Soldaten überdrüssig, die anderen europäischen Mächte anerkennen ihn nicht mehr. Der Zweikampf der beiden Protagonisten beginnt erneut. Als sich die Niederlage gegen die Engländer in Waterloo in Paris herumspricht hat Fouché schon alle politischen Institutionen auf seine Seite gebracht. Napoleon wird zum Abdanken gezwungen, Fouché Vorsitzender der neuen Übergangsregierung. 

Dann unterstützt Fouché gegen ein schönes Ministeramt die Restauration und bringt den König Ludwig XVIII wieder an die Macht. Und wieder ist er Polizeiminister, diesmal des Königs, gegen dessen Bruder er noch das Todesurteil mit ausgesprochen hatte. Und ausgerechnet er soll nun eine Racheliste erstellen mit all denjenigen, die während der 100 Tage Napoleon gedient haben. Die nächste Farce, Fouché selbst müsste ganz oben stehen, tut es aber natürlich nicht. Aber er hat die Rechnung ohne die Tochter des seinerzeit ermordeten Königs gemacht, ohne die Herzogin von Angouleme, die als einzige der Königsfamilie das Massaker überlebt hat. Sie fordert nun vehement die Absetzung Fouchés und als der neue König seine Macht hinreichend gesichert hat, geschieht dies auch, aus der Hand des zweiten Überläufers, von Talleyrand, formell wird er jedoch einfach als Gesandter nach Dresden geschickt, was er auch annimmt, anstatt seinen luxuriösen Ruhestand zu genießen. Aber nach nur wenigen ereilt ihn die Nachricht, dass das französische Parlament ihn mit überwältigender Mehrheit für den Rest seines Lebens aus Frankreich verbannt hat, den unbedeutenden Posten ist er also sehr schnell wieder los. Seine letzten Jahre verbringt er unter Hohn und Spott mit seiner jungen, zweiten, adeligen Frau, in Prag, Linz und Triest, wo er 1820 vereinsamt verstirbt.

Lesespaßfaktor:

Zweig hat eine Fülle despektierliche Begriffe für Fouchés Charakter bereit, etwa "Charakterchamäleon" oder " absoluter Amoralist". Diese Bewertung Fouchés zieht sich durch den ganzen Roman. 
Der Leser erfährt viel über die französische Revolution, noch mehr über Herrschaft Napoleons, beides mal aus einer anderen Perspektive. 

Wie immer bei Stefan Zweig ist die Erzählweise psychologisch dicht, in süffigen Worten, in klaren Sätzen, d.h. die Geschichte Fouchés genauso wie die Zeitgeschichte wird oft durch inhaltliche Wiederholungen, die aber sprachlich schön diversifiziert sind, dem Leser quasi eingebläut.

Literarisch ist diese Geschichtsstunde nicht zu bewerten, daher habe ich auch eigentlich nur eine Inhaltsangebe verfasst und weniger eine inhaltliche Rezeption. Ich könnte mir auf jeden Fall eine schöne, schaurige Verfilmung dieses Buches gut vorstellen.



Freitag, 19. Juli 2024

Johann Wolfgang von Goethe - Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand

 

Autor:

Goethe kennt wohl jeder. Geboren 1749 in Frankfurt am Main, gestorben 1832 in seinem Haus in Weimar. Er ist der bedeutendste Dichter deutscher Sprache und war nebenbei auch noch Naturforscher. Seine Eltern stammen aus einer angesehenen bürgerlichen Familie, zusammen mit seiner Schwester erhielt er früh eine umfassende Bildung. Er studierte Jura und arbeitete anschließend auch als Anwalt. Literarisch erzielte Goethe 1773 und 1774 seine ersten Erfolge mit dem Drama 'Götz von Berlichingen'  sowie dem Briefroman 'Die Leiden des jungen Werther'. 1775 wurde er an den Hof von Weimar geladen und nahm dort administrative Aufgaben wahr, was seine Kreativität belastete. Er befreite sich daraus erst 1786 durch eine zweijährige Reise nach Italien. Ab 1791 leitete er in Weimar als Freund des Herzogs viele Jahre das Hoftheater. Sein Drama 'Faust' von 1808 gilt als das bedeutendste Werk der deutschen Literatur überhaupt. 

Buch:

Hier handelt es sich um ein Schauspiel Goethes, das 1773 erschien und ein Jahr später erstmals aufgeführt wurde. Literaturgeschichtlich gehört es zur Gattung des Sturm und Drang, innerhalb von Goethes Werkverzeichnis zu den früheren Werken. Das Schauspiel spielt an über 50 Orten zu verschiedenen Zeiten, einzig der Charakter der Hauptfigur hält die Geschichte zusammen. Grundlage ist die echte Lebensgeschichte des Gottfried von Berlichingen aus dem 16. Jahrhundert. Dieses Werk machte Goethe seinerzeit berühmt. 

Hauptfiguren:
  • Götz von Berlichingen, Ritter
  • Georg, sein Sohn
  • Karl, sein anderer Sohn
  • Maria, seine Schwester
  • Elisabeth, seine Frau
  • Bruder Martin, ein Mönch aus Erfurt
  • Adelbert Weislingen, Jugendfreund von Götz, nun als Ritter Diener des Bischofs von Bamberg
  • Bischof von Bamberg
  • Olearius (eigentlich Öhlmann), Jurist
  • Liebetraut, Höfling beim Bischof
  • Adelheid von Walldorf, schöne Witwe am Hof des Bischofs
  • Kaiser
  • Hanns von Selbitz, einbeiniger Weggefährte von Götz
  • Franz von Sickingen, ebenfalls ein Gefährte von Götz
  • Franz Lerse, Reitersknecht
Inhalt und Rezeption:

Erster Aufzug:

Burgherr Götz von Berlichingen  - mit seiner rechten Eisenhand, da ihm einer Schlacht die eigene Hand abgeschlagen wurde- unterhält sich mit Bruder Martin über religiöse Dinge und erwartet einen Diener des Bischofs von Bamberg, mit dem er überkreuz liegt. Das ist sein Jugendfreund Weislingen, den er gefangen nimmt und auf seine Burg verbringt, weil dessen Dienstherr, der Bischof, wiederum seinen Sohn gefangen hält, um im Sinne des Kaisers gegen die Ritter vorgehen zu können. Und sie erinnern sich ihrer gemeinsamen Kindheit und Jugend. Obwohl der Bischof seinen Sohn nicht austauschen will, lässt Götz seinen Freund frei und stimmt einer Heirat mit seiner Schwester Maria zu. Dieser will sich fortan vom Bischof abwenden. 

Zweiter Aufzug:

Der Bischof sendet seinen Höfling Liebetraut zu Weislingen, um ihn von der Rückkehr nach Bamberg zu überzeugen, was auch gelingt. Götz fürchtet um die Loyalität seines Freundes und sendet seinen Sohn Georg zum Hof, um zu spionieren. Weislingen verliebt sich in die schöne Adelheid und Götz erfährt von dem Verrat von seinem Sohn. 

Dritter Aufzug:

Nürnberger Kaufleute beschweren sich beim durchreisenden Kaiser, dass sie von Götz ausgeraubt wurden. Daraufhin will der Kaiser Berlichingen festsetzen, verhängt über ihn die Acht, d.h. entzieht ihm alle bürgerlichen Rechte und gibt ihn damit zur Tötung frei. Dieser gibt seine Schwester Sickingen, einem seiner Vertrauten, zur Frau und schützt sie damit auch vor einem drohenden Überfall auf seine Burg. Es kommt zu einigen Scharmützeln mit den Truppen des Kaisers, er verschanzt sich in seiner Burg, wird belagert, will zunächst nicht aufgeben, wird dann aber dennoch gefangen genommen.

Vierter Aufzug:

Der Kaiser hält Götz in Heilbronn fest, im Rathaus muss er sich vor Gericht einer Untersuchung stellen. Falls er dem Kaiser ewige Treue schwöre würde, würde er freigelassen und die Acht würde aufgehoben. Das lehnt Götz ab, man will ihn ins Gefängnis stecken als sein Schwager Sickingen mit 200 Mann vor der Stadt steht und droht, sie anzuzünden. Er kehrt auf seine Burg zurück. Weislingen zürnt der Schwäche der Heilbronner und hat Angst vor der Vergeltung von Götz. Seine Geliebte Adelheid intrigiert weiter und hofft auf einen ihr gewogenen Nachfolger des Kaisers, um ihren politischen Einfluss weiter zu vergrößern, auf Weislingen nimmt sie dabei keine Rücksicht, im Gegenteil missbraucht sie sogar seinen Sohn für ihre Ränkespiele.

Fünfter Aufzug:

Ein Bauernaufstand beginnt, mit viel Mord und Totschlag. Um dem zu begegnen wollen einige der Anführer Götz zu ihrem Hauptmann machen, der für 4 Wochen diese Aufgabe annimmt, Aber er wird von den Bauern verraten, eine Stadt wird niedergebrannt, aber die kaiserlichen Truppen unter Weislingen nehmen die Aufständischen gefangen oder töten sie. Auch Götz wird wieder inhaftiert. Adelheid ist Weislingens überdrüssig geworden und bringt seinen Knappen dazu, ihn zu vergiften, sie wird anschließend wegen Ehebruchs und Mordes zum Tode verurteilt. Vorher hat er aber noch auf Marias inständige Bitte hin das Todesurteil gegen Götz aufgehoben. Dennoch stirbt Götz an seinen Verletzungen, an seiner Trauer, dass ihm alles genommen wurde und vor allem über den Tod seines Sohnes. 

Lesespaßfaktor:

Es ist ein klassisches Theaterstück, spielt im Mittelalter und ehrt das Rittertum. Im relativ kurzen Text übt Goethe aber auch durchaus Kritik an der Kirche und am Zölibat in Person des Bruder Martin ("Ich kenne keine Weiber, und doch war die Frau die Krone der Schöpfung!"). Er parliert über die Juristerei, mit einem kleinen Augenzwinkern ("...; der Pöbel hätte mich fast gesteinigt, wie er hörte, ich sei ein Jurist."), aber auch über die damalige Politik, etwa dass der Kaiser unzufrieden ist mit der Macht der zahlreichen Fürsten.

Im Sturm und Drang geht es verstärkt um die Erfüllung persönlicher Träume ("So gewiß ist der allein glücklich und groß, der weder zu herrschen noch zu gehorchen braucht, um etwas zu sein!"). Persönliche Beziehungen, Freundschaft und Liebe spielen neben der eigentlichen Handlung eine große Rolle. Es gibt in diesem Stück sehr viele Szenenwechsel, wodurch viel und schnelle Handlung geschaffen wird und anders als in späteren Werke lange Betrachtungen über das Leben fehlen. 

Ich finde, der 'Götz' ist ein kurzweiliges Stück, daher auch verständlicherweise seit der Veröffentlichung ein großer Publikumserfolg, aber hat noch nicht ganz die Tiefe der Spätwerke Goethes.

Sonntag, 14. Juli 2024

Ocean Vuong - Auf Erden sind wir kurz grandios

 

Autor:

Ocean Vuong ist ein Schriftsteller mit vietnamesischen Wurzeln. Geboren in Saigon, kam er bereits im Alter von zwei Jahren mit Teilen seiner Familie in die USA. Dort studierte er englische Literatur mit Schwerpunkt Lyrik, seine Gedichte haben in den USA bereits mehrere Preise gewonnen. Neben seiner eigenen schriftstellerischen Tätigkeit hat er eine Hilfsprofessur für Literatur in Amhurst. Er lebt offen schwul und gibt als Religionszugehörigkeit den Buddhismus an.

Buch:

Dieses Buch ist Vuongs erster Roman, der 2019 erschien und im selben Jahr auch ins Deutsche übersetzt wurde. 

Hauptfiguren:
  • ein Sohn, aka 'Kleiner Hund', 28 Jahre alt
  • Rose, seine halb-vietnamesische Mutter, Adressatin des Briefes
  • Lan, seine vietnamesische Großmutter
  • Paul, ihr amerikanischer Mann aus Virginia
  • Mai, die 12 Jahre ältere Halbschwester seiner Mutter
  • Trevor, sein Freund von der Plantage
Inhalt und Rezeption:

Der Ich -Erzähler gedenkt im Alter von 28 Jahren in Briefform -der Brief ist an seine nicht des Lesens fähige Mutter gerichtet- seines Lebens als Einwandererkind, als ein von seiner Mutter sowie seiner Großmutter, die beide schwer vom Vietnamkrieg traumatisiert wurden, aufgezogener junger Mensch, sein Vater ist unbekannt, wird nicht erwähnt. Die Mutter schlägt ihn bis zu seinem 13. Lebensjahr regelmäßig, er ist ein Außenseiter in der Schule, wird überall gemobbt. 

Vor allem von seiner Großmutter Lan erfährt er vieles über die Zeit des Krieges in Vietnam und über die Umstände seiner Geburt. Sie hat sich prostituiert, nachdem sie aus ihrer ersten Ehe mit einem kleinen Kind geflüchtet war. um zu überleben. Seinen vermeintlichen Großvater Paul hat sie jedoch in einer Bar kennengelernt und ihn geheiratet, ein Jahr nach der Geburt seiner Mutter. Erst später erfährt er, dass seine Mutter in Wahrheit doch das Kind eines namenslosen amerikanischen Freiers ist.

Das Außenseitertum ist immer präsent, als kleiner Junge hat er schon zu Paul gesagt, dass "andere Kinder mehr leben als" er selbst. Die Mutter arbeitet in einem Nagelstudio, kontinuierlich den giftigen Chemikalien ausgesetzt, die Hoffnungslosigkeit einer Einwandererexistenz. 
"Ein neuer Einwanderer wird innerhalb von zwei Jahren begreifen, dass das Nagelstudio letztlich ein Ort ist, wo Träume zu dem Wissen verkalken, was es bedeutet, in amerikanischen Leibern -mit oder ohne Staatsbürgerschaft- wach zu sein: schmerzhaft, toxisch, unterbezahlt."
Die Erinnerungen beziehen sich intensiv auf seinen ersten Job auf einer Tabakplantage, wo er Trevor kennen und lieben lernt, später auf ihre Freundschaft oder wie seine Mutter im Nagelstudio einen amputierten Fuß einer Kundin phantomartig massiert. Eines Tages outet er sich seiner Mutter gegenüber über sein Schwulsein, die aber nicht sehr positiv darauf reagiert, gleich das Thema wechselt und ihm im selben Gespräch offenbart, er habe einen älteren Bruder, der aber nach einer vergeblichen Abtreibung bei der Geburt starb. Unappetitlich eine Szene, in der amerikanische Soldaten das Hirn eines Makaken Affen verspeisen, genauso wie der erste richtige schwule Sex mit Trevor.

Er trennt sich eines Tages von Trevor, geht nach New York und kehrt erst dann nach Hartford zurück, als er vom Drogentod seines ehemaligen Freundes erfährt. Einige Monate später stirbt seine Großmutter an Krebs, wieder werden Erlebnisse der Großmutter erzählt, die er selbst nur aus ihren Erzählungen kennt und zusammen mit seiner Mutter begraben sie die Urne in Saigon. die letzten Erinnerungen diffundieren ins Nichts.

Lesespaßfaktor:

Die Geschichte wird in Fragmenten und in Briefform erzählt, nicht als eine Sammlung vieler Briefe, sondern als ein ganz langer Brief. Die 'Handlung' ist die Rückschau auf das Leben des Sohnes, ein Leben mit einer prügelnden, traumatisierten Mutter, die sich in den USA immer fremd fühlt, zumal sie nicht einmal die Sprache erlernt hat. Das ist nicht immer rein sequenziell geschrieben, sondern im Fortlauf des Lebens von Little Dog gibt es auch zwischendurch immer wieder neue Rückblicke, quasi Rückblicke im Rückblick.

Man merkt, dass Vuong auch ein Dichter ist, die Sprache ist in einzelnen Aspekten virtuos, fast lyrisch. Gleich auf der ersten Seite etwa heißt es über die Freiheit: "Freiheit ist nur der Abstand zwischen dem Raubtier und seiner Beute." Auch eine gute Prise Humor ist vorhanden: "Ich sehe von genau drei Seiten gut aus und ätzend von überall sonst." Aber manchmal ist mir die Sprache auch zu blumig, zu metaphorisch ("..., ihr Gesicht ein herabfallender Pfirsich."). Dennoch sind die vielen detailreichen Beobachtungen des jungen Erzählers über seine kleinen Umwelt im Hartford  seiner Jugend sehr schön zu lesen. 

Es geht auch immer wieder darum, wie das Leben als Einwanderer in den USA ist, am Rande der Gesellschaft, Rassismus ausgesetzt und oft sprachlos, weil die Einwanderer die englische Sprache nicht oder kaum erlernen. Die recht detailliert und lang beschriebene homosexuelle Erweckung gefällt mir nicht, bin ich deswegen womöglich homophob?

Zum Ende des zweiten Teils löst sich die Sprache auf in einzelne Gedankenfetzen, es sind quasi Spiegelstriche statt zusammenhängender Gedanken, so wie sich das Leben seines Freundes Trevor auflöst. Man muss als Leser aufpassen, immer den richtigen zeitlichen Bezug zu haben, die zeitlichen Ebenen wechseln ständig, manchmal von Absatz zu Absatz. Sehr Schöne Sätze stehen oft allein dar im Text, ohne inhaltliche Bindung. ("Du und ich, wir waren amerikanisch, bis wir unsere Augen öffneten."). Mit der Lesezeit wird das aber etwas ermüdend, nicht alle Gedanken kann ich nachvollziehen, etwa: "Wo waren wir, bevor wir waren? Wir müssen am Rand eines Feldweges gestanden haben, als die Stadt brannte. Wir waren bestimmt im Begriff zu verschwinden, wie jetzt.".

Am Ende ein Briefroman, der stark beginnt und dann aber ebenso stark nachlässt, nämlich zu dem Zeitpunkt, als ich den Gedankenfragmenten nicht mehr folgen kann, als es egal wird, ob ich diese Sätze lese oder nicht. Daher eine nur durchschnittliche Bewertung, die Begeisterung der vielen Rezensenten kann ich nur sehr bedingt teilen.

♥♡♡

Donnerstag, 4. Juli 2024

Charles Dickens - Dombey & Sohn

 

Autor:

Dickens wurde 1812 in eine mittellose Familie in Südengland hereingeboren. Noch als Kind musste er arbeiten, um Geld für den im Schuldgefängnis inhaftierten Vater zu verdienen. Erst danach konnte er wieder zur Schule gehen und wurde schließlich Schreiber bei einem Rechtsanwalt. Er heiratete 1836 und hatte 10 Kinder mit seiner Frau, trennte sich 20 Jahre später von ihr, um eine Beziehung zu einer Schauspielerin zu führen. In dieser Zeit wurde er auch Journalist und veröffentlichte seine ersten Fortsetzungsgeschichten. Fast alle seine Werke spielen in den armen, unteren Gesellschaftsschichten. Sein erster großer Erfolg war 1838 der Roman 'Oliver Twist'. Er schrieb viele Geschichten, berühmt seine Weihnachtsgeschichte. An einem zweiten Schlaganfall verstarb Dickens 1870. Er ist einer der meistgelesenen britischen Autoren.