Donnerstag, 4. Juli 2024

Charles Dickens - Dombey & Sohn

 

Autor:

Dickens wurde 1812 in eine mittellose Familie in Südengland hereingeboren. Noch als Kind musste er arbeiten, um Geld für den im Schuldgefängnis inhaftierten Vater zu verdienen. Erst danach konnte er wieder zur Schule gehen und wurde schließlich Schreiber bei einem Rechtsanwalt. Er heiratete 1836 und hatte 10 Kinder mit seiner Frau, trennte sich 20 Jahre später von ihr, um eine Beziehung zu einer Schauspielerin zu führen. In dieser Zeit wurde er auch Journalist und veröffentlichte seine ersten Fortsetzungsgeschichten. Fast alle seine Werke spielen in den armen, unteren Gesellschaftsschichten. Sein erster großer Erfolg war 1838 der Roman 'Oliver Twist'. Er schrieb viele Geschichten, berühmt seine Weihnachtsgeschichte. An einem zweiten Schlaganfall verstarb Dickens 1870. Er ist einer der meistgelesenen britischen Autoren.


Buch:

Dieses Werk gehört zu den heute weniger bekannten Werkens Dickens. Ich habe es mal als Teil einer Buchreihe 'Bibliothek der Weltliteratur aus der DDR erworben, bis heute aber nie gelesen. Das Werk erschien 1847/48 im Original, auch als Fortsetzungsroman. 2015 wurde der Roman zu den wichtigsten britischen Romanen gewählt. Vor allem eine Todesszene hat die Leser seinerzeit sehr bewegt.

Hauptfiguren:
  • Mr. Paul Dombey, Inhaber des Handelshauses Dombey & Sohn
  • Fanny, seine erste Frau
  • Paul, sein einziger  Sohn
  • Florence, seine einzige Tochter
  • Louisa Chick, seine Schwester
  • Mr. John Chick, ihr Ehemann
  • Miss Lucretia Tox, ihre Freundin
  • Mrs. Blockitt, Kinderfrau
  • Polly Toodle, Amme für Paul, von Dombey Richards genannt
  • Susan Nipper, Erzieherin von Florence
  • Solomon Gills, Inhaber eines Ladens für nautische Instrumente, Schiffsinstrumentenmacher
  • Walter "Wally" Gay, sein Neffe
  • Captain Edward „Ned“ Cuttle, sein Freund, ehemaliger Seefahrer
  • Mrs. Wickam, zweite Kinderfrau für Paul
  • Mrs. Pipchin, erst Erzieherin von Paul, dann später Haushälterin in Brighton
  • Mr. Brogley, vereidigter Makler und Taxator
  • Major Joseph "Joe" Bagstock, ein in Miss Tox verliebter Nachbar von ihr
  • Dr. Blimber, Pädagoge in Brighton
  • Mrs. Blimber, seine Frau
  • Cornelia, seine Tochter
  • Mr. Toots, leicht seltsamer Schüler im Hause Blimber, Freund von Paul
  • James Carker, Geschäftsführer bei Dombey
  • Harriet, seine Schwester
  • Mrs Skewton, 'Kleopatra', Freundin von Bagstock
  • Edith Grange, ihre Tochter, verwitwet, dann zweite Ehefrau von Dombey
  • John Carker, Mitarbeiter bei Dombey, sein älterer Bruder 
  • Robin „Rob“ Kessel aka Schleifer aka Toodle, Sohn von Polly
  • Mrs. MacStinger, Vermieterin von Captain Cuttle
  • Jack Bunsby, Schiffskommandant und Freund von Cuttle
  • Sir Barnet Skettles, 
  • Mrs. Brown, Bettlerin
  • Alice Marwood, ihre Tochter
  • Mr. Morfin, treuer Mitarbeiter von Dombey, spielt privat gerne Cello
Inhalt und Rezeption:

Dombey hat endlich einen Sohn und damit potenziellen Nachfolger für seine Firma, er ist glücklich. Auch wenn er sechs Jahre vorher bereits eine Tochter ("ein mißglückter Junge") bekommen hat, das zählt für ihn nicht. Die Distanz zwischen Tochter und Vater wird gleich ganz wunderbar ausgedrückt:
"Das Kind blickte bitter auf den blauen Rock und die steife weiße Krawatte, die ihm in Verbindung mit einem Paar knarrender Schuhe und einer sehr laut tickenden Uhr den Begriff Vater verkörperten, ..."
Aber seine Frau verstirbt kurz nach der Geburt. Es herrschtpotischen Erziehering  eisige emotionale Kälte im Haus Dombey, Polly versucht immerhin, Kontakt Florence aufzunehmen, da sie ihr aufgrund der Ablehnung durch den Vater leid tut. Auch bei der Taufe des Kleinen herrscht eine Stimmung wie bei einer Beerdigung. Über Dombey heißt es:

"Er hätte auf einem russischen Jahrmarkt als Musterexemplar eines gefrorenen Pökelgentlemans zum Verkauf stehen können."

Als Polly ihren Sohn besuchen will, der von Mr. Dombey einen Platz in einem Erziehungsstift bekommen hat, besuchen will, kommt es zu einem verhängnisvollen Zwischenfall, bei dem Florence von einer armen alten Streunerin (Mrs. Brown) entführt und ihrer Kleidung beraubt wird. Sie irrt alleine in die Stadt zur Firma ihres Vaters und trifft unterwegs auf Walter, den Neffen von Solomon Gills, der Inhaber eines veralteten Geschäftes für Schiffsinstrumente, der für Walter keine Zukunft hierin sieht, hat er ihn zu Dombey in die Ausbildung geschickt. Walter bringt sie zu ihrem Vater. Polly wird sofort entlassen. Miss Tox übernimmt die Betreuung des kleinen Paul und hofft, dereinst die neue Frau von Mr. Dombey zu werden.

Paul ist sehr kränkliches Kind und wird daher zu der despotischen Erzieherin Mrs. Pipchin ans Meer geschickt. Walter erfährt, dass sein Onkel einen Schuldschein bedienen muss, dies aber nicht kann. Zusammen mit dessen Freund Cuttle fahren sie nach Brighton, wo Dombey wochenends seinen Sohn bei Mrs. Pipchin besucht. Überraschenderweise hilft Dombey wirklich, da sein kleiner Sohn dies wünschte, ohne natürlich den nötigen Verstand für die Lage zu haben.

Dombey beschließt seinen Sohn in Brighton zu belassen, ihn aber in die private Schule von Dr. Blimber zu schicken. Florence soll vorerst bei Mrs. Pipchin bleiben, damit sein geliebter Sohn seine Bezugsperson in der Nähe hat. Aber das hohe Lernpensum ist für einen gerade einmal Sechsjährigen ungeeignet, Paul wird wieder kränklicher, hat Schwindelanfälle und denkt erstmals an den Tod. In den Ferien fährt er mit seiner Schwester zusammen nach Hause. Als sich sein Gesundheitszustand weiter verschlechtert, möchte Paul unbedingt seine damalige Amme Polly wiedersehen. Auch Walter ist da, als Paul poetisch beschrieben in den Armen seiner Schwester stirbt. Der trauernden Florence rät ihre Tante, sie solle doch bitte nicht durch ihre Trauer eigensüchtig den Kummer des Vaters verstärken. 

Walter dagegen wird von Dombey auf einen unbedeutenden Posten der Firma als Kommis nach Barbados geschickt, er will ihn loswerden und keine Möglichkeiten bieten, dass Walter sich doch seiner Tochter nähern könnte, er ist ja nicht standesgemäß. James Carker intrigiert hinter dem Rücken seines Chefs, indem er denn jungen Rob quasi als Spion zu Gills schickt, um zu erfahren, ob etwa Florence Kontakt zu ihm hat. Das geschieht dann auch, weil sich die einsame und um Vaterliebe ringende Florence große Sorgen um Walter macht, von dem niemand mehr Nachricht bekommen hat. Alle fürchten, das Schiff, mit dem er nach Barbados reist, sei verschollen. Gills verschwindet spurlos, seine Freunde befürchten, er habe Selbstmord begangen.

Dombey ist bei seinem Freund Bagstock zu Besuch, dieser versucht zusammen mit Mrs. Skewton, Dombey mit ihrer Tochter Edith zusammenzubringen, vor allen Dingen sie haben sie schon die Dollarzeichen in den Augen. Carker kommt auch oft vorbei, angeblich, um Dombey vom Geschäft zu berichten, tatsächlich aber, um Florence näher zu sein, er scheint so seine Macht in der Firma stärken zu wollen und Florence denkt ebenfalls über eine solche Verbindung nach, um ihrem Vater näher zu kommen. Wieder in London eröffnet Dombey seiner Tochter gefühllos, dass er wieder heiraten werde, nämlich eben diese Edith. Überaus umständlich, aber herrlich zu lesen, verkündet Mrs. Chick ihrer Freundin Tox von der anstehenden Hochzeit, woraufhin diese theatralisch in Ohnmacht fällt und Mrs. Chick erkennt, dass sie sich anscheinend selbst Hoffnung auf ihren Bruder gemacht hatte, was sie empört zur Kenntnis nimmt ("Schlange am Herd meines Bruders") und die sie beendet diese Freundschaft umgehend. Kurz vor der Hochzeit entwickelt Edith innige Gefühle für Florence, will aber um jeden Preis verhindern, dass sie auch in die Fänge ihrer manipulativen Mutter gerät. Die Trauung selbst ist unspektakulär, es scheint eine Zweckehe zu sein.

Toots ist heimlich ebenfalls verliebt in Florence ("ich bin vollständig wund vor lauter Liebe zu ihr"), er bringt Captain Cuttle die Nachricht vom Schiffbruch des Schiffes, mit dem Walter nach Barbados reisen sollte. Cuttle wird von Carker, mit dem er über Walter sprechen will, brüsk abgewiesen. Und eine neue Nebengeschichte startet mysteriös. Im Leben von John Carker und seiner Schwester Harriet muss vor vielen Jahren etwas Schlimmes passiert sein, der Leser erfährt aber noch nicht, was das war. Und die alte Mrs. Brown taucht wieder auf, als ihre Tochter Alice sie besucht. Auch hier gibt es verhaltene Anspielungen auf die Geschichte der Carkers. Tombey und seine Frau kehren zurück von ihrer Hochzeitsreise, Edith und Florence beginnen ihre innige Beziehung, auch wenn Edith etwas Geheimnisvolles umweht. Herrlich ironisch wird der steife 'Einzugsschmauss' geschildert, wo spießige, aber reiche Gäste auf redselige Bekannte von Mrs. Skewton treffen. 

Und Mr. Dombey kritisiert seine neue Frau erstmals für ihr unterkühltes, abweisendes Verhalten gegenüber seinen Gästen. Er fühlt sich in seinem Stolz verletzt durch ihren eigenen hochmütigen, abweisenden Stolz und will sie gefügig machen. ("In Mrs. Dombey herrscht in Widerspruchsgeist, der ausgerottet, der völlig besiegt werden muß;") Das projiziert er auch auf seine Tochter, weil diese nun ebenfalls schöne junge Frau sich in seinen Augen mit seiner widerspenstigen Frau verbündet. Daraufhin beauftragt er ausgerechnet den windigen Carker, der womöglich seine Fühler nach der ganzen Firma ausstreckt, seiner Frau klarzumachen, dass sie sich zu fügen habe und dass sie den Kontakt zu seiner Tochter zu unterlasen habe. Mrs. Skewton erleidet einen Schlaganfall und zur Kur fährt sie mit Tochter und Schwiegertochter Florence nach Brighton, wo sie kurz darauf stirbt. Die angespannte Stimmung im Haus wird immer schlimmer, Susan spricht schließlich mit Mr. Domby und verurteilt sein ablehnendes Verhalten gegenüber seiner Tochter auf das Schärfste, woraufhin sie fristlos gekündigt wird. 

Die Ehe wird immer schlechter, bis es zur Eskalation kommt und Edith vermeintlich mit Carker das Haus verlässt, der irgendetwas gegen sie in der Hand haben muss. Dombey ist darüber so erzürnt, dass er seine Tochter aus Mitschuldige verflucht und sogar schlägt, worauf Florence ebenfalls Hals über Kopf das Elternhaus verlässt und bei Captain Cuttle Unterschlupf findet. Und dann ist plötzlich Walter wieder da, der Leser erfährt aber zunächst nichts über sein Schicksal. Die alte fast geschwisterliche Liebe zwischen ihm und Florence ist aber belastet, Florence wirft sich vor, die Ursache für Walters Leid zu sein, als aber Walter ihr seine Liebe gesteht, sind beide zunächst vollkommen glücklich und beschließen zu heiraten.

Der unglückliche Dombey sinnt auf Rache. Ausgerechnet bei Mrs. Brown sucht er nach Informationen über den Verbleib von James Carker. Dessen Adlatus Rob erscheint dort auch kurz darauf und unter Mrs. Browns Druck gibt er die Stadt Dijon als Ziel von Carkers und Ediths Flucht preis. Aber Alice hat trotz ihrer negativen Erfahrungen mit Carker Mitleid und warnt Harriet, sie solle ihrem Bruder Nachricht geben, dass er von Dombey gesucht wird und der ihn womöglich töten will. Zu spät? Szenenwechsel. In Dijon trifft die vor Wut rasende Edith auf Carker, um ihm mitzuteilen, dass sein Traum einer gemeinsamen Zukunft auf Sizilien zerplatzen wird, eher würde sie ihn umbringen. Und sie teilt ihm mit, sie habe den rachedurstigen Dombey bereits vor dem Haus gesehen. Als es klingelt, fliehen beide getrennt voneinander, Carker als „betrogener Betrüger“ geht zurück nach England. In seinen Visionen sieht er überall Verfolger, an einer einsamen Bahnstation wird er schließlich von Zug überfahren. 

Unmittelbar vor der Hochzeit von Walter und Florence taucht plötzlich der alte Solomon Gills wieder auf, verwundert, dass alle seine Briefe an Ned an dessen vormalige Adresse geschickt wurden und ihn nie erreicht hatten. Die Hochzeit findet in einer ärmlichen Kirche in kleinstem Kreise statt und unmittelbar danach machen sich die Brautleute auf nach Übersee.

Etwa ein Jahr später geht Dombey & Sohn Bankrott, der Stolz und Starrsinn sowie die früheren, windigen Geschäfte von Carker sind die Ursache. Auch privat bleibt ihm nichts mehr. Aber ausgerechnet Harriet,     die mit ihrem Bruder John zusammen viel Geld durch den Tod ihres anderen Bruders James geerbt hat, will inkognito einen großen Teil dieses Erbes über Mr. Morfin an Dombey zurückgeben. Alice liegt im Sterben, gepflegt von Mrs. Wickham, die wiederum von Harriet bezahlt wird. Am Sterbebett erfährt Harriet nun, dass Alice die Cousine von Edith ist. Aber zunächst wird im Hause Dombey alles versteigert, die Dienstboten werden entlassen und Mrs. Pipchin kehrt nach Brighton zurück. Dombey schließt sich im leeren Haus in sein Zimmer ein, lediglich Polly ist noch bzw. wieder da. Und nach dem Verlust seines Sohnes, seiner Frau, seines engsten Freundes sowie seines Vermögens denkt er an seine Tochter, die er so sträflich schlecht behandelt hatte. Schließlich versöhnt er sich am Ende doch noch mit Florence, die inzwischen selbst Mutter wurde und ihren eigenen Sohn ebenfalls Paul genannt hat. Und als ‚wrap-up‘ heiratet Toots schließlich Susan und die Geschichten einiger weiterer Nebenfiguren werden zu Ende erzählt. Ein bisschen wie im Märchen ist am Ende alles gut.

Lesespaßfaktor:

Gleich der Beginn ist sprachlich ganz wunderbarer, voll feinster Ironie und voller Humor, das hohe sprachliche Level hält sich aber nicht immer ganz im Laufe des doch sehr langen Romans, aber von mir  ein großes Lob der Übersetzung. Alle Figuren sind liebevoll gezeichnet, mit ihren kleinen und großen Spleens (wie etwa Mr. Chick oder Captain Cuttle und seine 'Beziehung' zu seiner Vermieterin MacStinger).

Gesellschaftspolitisch wird in diesem Werk die Rolle einer jeden Person in der hierarchischen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts herausgearbeitet. Die Hochnäsigkeit der vermeintlich bedeutendere Familie Dombey wir immer wieder süffisant herausgearbeitet, bis zum tiefen Fall. Es gibt relativ wenig Handlung mit aus heutiger Perspektive eher banalen kleinen Begebenheiten, die Dickens im Roman aber sehr spannend zu erzählen weiß.

Der Leser taucht ein in die sich industrialisierende Welt des 19. Jahrhunderts, in die englische Klassengesellschaft. Wie im Sturm und Drang sind die Protagonisten voller Emotionen und Gefühle. Dennoch ist der Roman stellenweise zu lang geraten, etwa ist das 20. Kapitel m.E. überflüssig. Gerade der zunehmend laute Schrei Florence nach Liebe und Aufmerksamkeit des Vaters tut manchmal dem Leser fast körperlich weh, man möchte ihr zurufen, sei selbstbewusster, dein Vater empfindet nichts für dich, hasst dich später sogar, erst ganz zum Schluss ändert sich. 

Im Laufe des Romans tauchen auch vermeintliche Nebenfiguren wieder auf, so etwa Mrs. Brown oder die Bimbers aus Brighton. Alles ist bis zum Ende miteinander verknüpft, der Leser muss sich sehr konzentrieren, um immer den Überblick zu behalten. 

Die Eiseskälte zwischen Dombey und seiner zweiten Frau wird schön symbolisiert durch das gegenseitige Siezen, die aalglatte, gegenüber Dombey demütig, gegenüber allen anderen hochnäsig auftretende Person James Carkers ist blendend konzipiert. Auch wenn nicht immer alle Motive der handelnden Personen klar und deutlich sind,  etwa von Harriet als sie ihren Peiniger schützen will.

In den vielen Szenenwechseln erkenne ich oftmals eher die Struktur eines Theaterstückes die als eines Romans. Die einfache inhaltliche Zusammenfassung kann jedenfalls in keiner Weise den Zauber des Buches, die wunderschöne Sprache des 19. Jahrhunderts, die liebevolle Zeichnung der Charaktere, die leichte Ironie aufzeigen, den dieser Roman prägt, einer schönsten, die ich bisher gelesen habe. Volle 5 Herzen von mir!

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