Dienstag, 16. Dezember 2025

Arno Geiger - Reise nach Laredo

 

Autor:

Arno Geiger (*1968 in Bregenz ) ist ein österreichischer Schriftsteller, der Deutsche Philologie, Alte Geschichte und Vergleichende Literaturwissenschaft in Innsbruck und Wien studierte. 1997 publizierte er seinen ersten Roman ('Kleine Schule des Karussellfahrens'), für den Roman 'Es geht uns gut' erhielt er 2005 den Deutschen Buchpreis. Es folgten zahlreiche weitere Auszeichnungen in ganz Europa. Heute ist er freier Schriftsteller.

Buch:

Bei meiner Beschäftigung mit der Weltgeschichte stieß ich vor einiger Zeit auf diesen im Jahr 2024 erschienen Roman, der die letzten Lebensjahre von einem Karl thematisiert, auch die Kritiken waren vielversprechend. Ich glaubte, es ginge um Karl den Großen, das tut es aber gar nicht. Vielmehr geht es um den habsburgischen Kaiser Karl V., der im 16. Jahrhundert als römisch-deutscher Kaiser regierte und gleichzeitig in Spanien als König Karl I. regierte.

Hauptfiguren:
Inhalt und Rezeption:

1558: Karl, 58 Jahre alt, lebt seit fast drei Jahren zurückgezogen in einem Kloster in einem kleinen spanischen Dorf namens Yuste, sein Körper ist verbraucht, er kann sich nur beschwerlich bewegen. Wenn er ein Bad nimmt, muss sein gichtgeplagter Körper mittels einer Hebevorrichtung ins Wasser gehievt werden. Seine 47 Bediensteten warten auf seinen Tod, um der Einsamkeit der Umgebung endlich entfliehen zu können. Er will sich selber erkennen, in den langen Jahres als König und Kaiser hat er das offenbar nicht herausfinden können.

Sein illegitimer Sohn Geronimo, der nicht weiß, dass Karl sein Vater ist und als Stallbursche im Kloster arbeitet, wird von Karl beauftragt, nachts zwei Reittiere vorzubereiten, damit sie zusammen das Kloster unbemerkt verlassen. Nun wird die Geschichte wie eine Version von Don Quijote (selbst Windmühlen kommen vor), sie retten ein Geschwisterpaar, die einer unterdrückten Minderheit angehören ('Cagots'), das von Männer misshandelt wurde, und bringen es in ein armseliges Haus einer heilkundigen Frau. Dort fällt Karl in einem wochenlangen Schlaf, als er aufwacht geht es dem Todgeweihten etwas besser, so dass sie weiterreisen können nach Laredo. Der misshandelte Honza hat sich inzwischen erholt und wird beauftragt, mit seinem Fuhrwerk Karl zu begleiten. 

 
Dieser Muli-Roadtrip ist nicht mehr so spannend zu lesen, da wird es m.E. etwas zu seicht. Karl bleibt inkognito und muss sich an das einfache Landleben anpassen. Er wird in der Toten Stadt beim Kartenspiel über das Ohr gehauen, er ist pleite, er lernt seinen Sohn etwas besser kennen, aber bislang auch nur oberflächlich, zu empathischen Gefühlen scheint Karl bislang nicht fähig zu sein. Hier fehlt aber Handlung! Es wird belanglos. Die kleine Reisegesellschaft sitzt in einem Wirtshaus fest, Karl prügelt sich mir dem Wirt, der hat ein Auge auf Angelita geworfen, ihr Bruder unterstützt das, er will die Verantwortung für sie offensichtlich loswerden, sie will aber nicht, was den Wirt verärgert. In der Nacht vor dem geplanten Aufbruch stürzt Honza aus dem Fenster und stirbt, war es wirklich ein Unfall? Aber sie befinden sich ja immer noch in der Toten Stadt!

Aber sie schaffen es, zu dritt weiterzureisen, in Laredo angekommen, verlässt sie auch Angelita. Am Meer angekommen gehen sie ins Wasser, für Karl das Ende seiner Lebensreise. Es war dann doch nur ein Traum, tatsächlich ist Karl im Kloster verstorben. Am Ende der Geschichte brechen dann Honza und Angelita zu zweit auf, um das Kloster zu verlassen und sich auf ihre Lebensreise zu begeben. 

Lesespaßfaktor:

Der Roman hat zu Beginn eine Fülle wirklich schöner Gedanken, viele in schöne Metaphern gekleidet, wie etwas diese her. " Karl ist vollständig in Schwarz gekleidet, damit sein Empfinden einen äußeren Ausdruck hat."

Die Geschichte verhängt verheißungsvoll an, der Leser möchte wissen, zu welchen Erkenntnissen Karl denn kommt bei seiner Begegnung mit der realen Welt des 16. Jahrhunderts. Aber leider verflacht die Geschichte mit dem Beginn der Reise nach Laredo. Sie wirkt auf mich unglaubwürdig, passt nicht zu einer historischen Person und wirkteher wie eine Rittergeschichte. Zum Ende hin kommen wieder etwas mehr Betrachtungen ins Spiel. Der zurückgetretene Kaiser erkennt sich als Mensch in der realen Welt, nicht als geborener König, dem automatisch Respekt gezeigt wird.

Die zahlreichen positiven Kritiken kann ich nur bedingt nachvollziehen.

♡♡

Hier ein paar der durchaus schönen Zitate, wenn sie auch manchmal wie Kalendersprüche wirken:

"Schönheit ist selten wahr und Wahrheit selten schön."
"Das Reden macht Mühe, wenn man um seine Wirkungslosigkeit weiß."
"Gute Vorsätze, die man nicht einlöst, sind schlimmer als schlechte Gewohnheiten."
"Es heißt, der Mensch ist das, was ihm bleibt, nachdem er alles verloren hat."
"Der Mensch ist zwar stark genug, um zu erkennen, dass ihm etwas fehlt, aber zu schwach, um das Fehlende zu finden
„Der Tod könnte schön sein, wenn man gelebt hat.“


Samstag, 6. Dezember 2025

Christian Kracht - Faserland

 

Autor:

Christian Kracht (* 1966) ist ein Schweizer Schriftsteller, Drehbuchautor und Journalist. Er wuchs in der Schweiz, Deutschland, den USA, Kanada und Südfrankreich -auch in mehreren Internaten- auf und studierte nach seinem Abitur 1985 Film und Literatur. Mitte der 1990er Jahre ging Kracht nach Neu-Delhi und arbeitete er als Indien-Korrespondent für den Spiegel. Später bereiste er von Bangkok aus Asien und verfasste darüber zahlreiche Reiseberichte, bevor er ein eigenes Magazin herausgab. Später kamen Tätigkeiten als Journalist und Kolumnist für die F.A.Z. hinzu, er schrieb ein Theaterstück. Aktuelle ist er Gastprofessor an der Universität Zürich, vorher war er auch für mehrere Jahre Generalbevollmächtigter und erster stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender des Axel-Springer-Konzerns. Er galt sogar als möglicher Kandidat für den Nobelpreis für Literatur des Jahres 2025. Seinen erster Roman war der hier zu besprechende, der 1995 veröffentlicht wurde, seit dem folgten sechs weitere sowie einige Veröffentlichungen zusammen mit anderen Autoren.

Buch:

Dieser Roman zählt heute zu den bekanntesten deutschsprachigen literarischen Texten der 1990er-Jahre und ist lt. des Autors der erste Teil eines Triptychons, bestehend aus den Romanen Faserland, 1979 und Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten. Das Werk wurde zunächst sehr kontrovers rezipiert und erst sehr viel später in seiner Bedeutung für die zeitgenössische deutsche Literatur erkannt. 

Hauptfiguren:
  • ein Icherzähler
  • Karin, eine Freundin
  • Nigel, ein Freund in Hamburg
  • Alexander, ein früherer Freund in Frankfurt
  • Rollo, ein Freund aus München
Inhalt und Rezeption:

Eins
Der Icherzähler ist auf Sylt und hat dort eine alte Freundin aus Internatstagen getroffen, mit der er über die Insel zieht. Übliche Klischees der 90er Jahre werden bemüht (Porschefahrer, Markenklamotten, Champagner, Kampen), man plaudert, ohne einander zuzuhören.

Zwei
Der Icherzähler fährt von Sylt mit dem Zug nach Hamburg zu seinem Kumpel Nigel. der -man ahnt es schon- im reichen Stadtteil Pöseldorf wohnt. Seine arrogante Haltung wird deutlich gegenüber dem Taxifahrer, der ihn zu Nigels Wohnung fährt.
"Aber das würde der Taxifahrer nicht verstehen, weil er ja sonst auch ein Jackett von Davies & sons tragen würde, sich die Haare abständig schneiden und kämmen und seinen Regenbogen-Friedens-Nichtraucher-Ökologen-Sticker von seinem Armaturenbrett reißen würde, Also zahle ich den Taxifahrer und gebe ihm noch ein dickes Trinkgeld, damit er in Zukunft weiß, wer der Feind ist."
Abends geht er mit Nigel auf eine Party, viele dort nehmen Drogen, er fühlt sich unwohl, nimmt aber auch eine ihm angebotene Pille und hat einen undefinierten Rausch.

Drei
Der Icherzähler verlässt Hamburg, angewidert von Nigel, der unter Drogeneinfluss zwei Partygäste zwecks Sex mit nach Hause genommen hat, ihn aber hat stehenlassen. Im Flugzeug nach Frankfurt provoziert er andere Fluggäste, etwa in dem er im Nichtraucherbereich raucht (was damals noch erlaubt war!). Herrlich sein Unbehagen, als ihm Joghurt in der Jackentasche ausläuft und seine Hose und seinen Sitz durchfeuchtet, die Peinlichkeit dieser Situation beschreibt Kracht einfach so schonungslos, wie eine solche Situation für alle so peinlich wäre. 

Vier
Im Hotel in Frankfurt denkt über seinen Internatsfreund Alexander nach, mit dem er befreundet war, sich mit ihm über seine Freundin gestritten hat, die er gar nicht ausstehen konnte und ihn dann aus den Augen verloren hat; soll er ihn in Frankfurt besuchen? Abends in einem Bistro trifft er ihn aber zufällig, der erkennt ihn nicht und so klaut er seine Barbour Jacke. Ja, aber warum?

Fünf
Per Zug geht es nach Heidelberg. In einer Bar lernt er eine Gruppe Studenten kennen, die ihn zu einer Party einladen, auf der er sich natürlicherweise ziemlich fremd fühlt und als er dann noch zu Koks und und homosexuellem Sex aufgefordert wird, betrunken meint er auch noch Nigel mit einer Spritze im Arm im Keller des Hauses zu sehen. Er hat einen Blackout.

Sechs
Und so weiß er zunächst nicht, wie er nach München gekommen ist und dort nun auf einem Rave gelandet ist. Ja, was junge Leute halt immer so machen. Party, Rave und Drogen. Dann dämmert es ihm, in Heidelberg war auf der Party auch ein Freund von ihm aus München namens Rollo, der ihn offenbar mitgenommen hat. Na ja. Weiter passiert nichts.

Sieben
Am folgenden Tag hat Rollo Geburtstag und feiert in seinem Elternhaus in Meersburg -na was?- eine Party. Und dort taucht auch wieder Karin auf, die er schon auf Sylt getroffen hatte. Und wieder flüchtet der Erzähler von der Party, diesmal nimmt er einfach Rollos Auto mit und fährt in die Schweiz.

Acht
Dort erfährt er aus der Zeitung, dass Rollo im Bodensee ertrunken ist mit zu viel Alkohol und zu viel Valium im Blut. IN Zürich fährt er dann aus schulnostalgischen Gründen zu einem Friedhof auf der Such nach den Grab von Thomas Mann, dass er aber in der beginnenden Dunkelheit nicht finden kann. Ende. 

Lesespaßfaktor:

Ein bisschen Easton-Ellis steckt in diesem Buch. Der Protagonist ist reich, schnöselig, egoistisch und überheblich, der Leser erfährt nicht, woher sein Wohlstand stammt. Sein Alter dürfte um die 30 sein, ohne das es genau beziffert wird. Er schaut auf fast alle Menschen in seiner Umgebung herab. Und es ist unfassbar 90er. Es gibt noch Hanuta, man trinkt Prosecco, Isabella Rossellini gilt als schönste Schauspielerin und überall trägt man Barbour Jacken und hört Technomusik. Zwischen der Handlung, der kleinen Reise durch Deutschland gibt es immer wieder Erinnerungen des Icherzählers an frühere Begebenheiten, wodurch man den Erzähler immerhin schrittweise etwas besser kennenlernt.

Kracht meint es auch nicht immer so gut mit den Deutschen. "Ab einem bestimmten Alter sehen alle Deutschen aus wie komplette Nazis." Oder die Ansicht des schnöseligen Icherzählers, dass Bedienstete ("diese Frau von den Philippinen...") doch bestimmte gerne für junge Leute kochen oder Hemden bügeln. Vermutlich ist das ironisch gemeint. 

Ist das nun große Literatur? Gar Schullektüre? Meines Erachtens nach nicht. Sprachlich einfach gehalten mit kurzen Sätzen und keinem komplizierten Vokabular, eher im Stil einer Reportage. Im Laufe der 8 kurzen Kapitel wird die Geschichte immer etwas abstruser (der Vater von Rollo unterstützt ein Ashram in Indien mit viel Geld). Nun ja, der kurze Roman  ist immerhin innerhalb von ein paar Stunden zu lesen.

♡♡




Donnerstag, 4. Dezember 2025

Robert Musil - Der Mann ohne Eigenschaften

 

Autor:

Musil (1880 - 1942) war ein österreichischer Schriftsteller und Theaterkritiker. Seiner Lebenszeit entsprechend war sein Schaffen geprägt durch den 1. Weltkrieg sowie die Errichtung der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland und Österreich. Geschrieben hat er Novellen, Dramen, Essays, Kritiken und zwei Romane, 1906 'Die Verwirrungen des Zöglings Törleß' und eben dieses zur Weltliteratur zählende Hauptwerk, das von autobiographischen Aspekten mitbestimmt ist  und an dem Musil seit den 1920er Jahren bis zu seinem Tode fortlaufend gearbeitet hat, ohne es abschließen zu können. Er war interessiert sowohl an natur- als auch an zahlreichen geisteswissenschaftlichen Themen wie etwa Psychologie, er war Offizier im 1. Weltkrieg, studierte Maschinenbau. Zu Beginn der Naziherrschaft lebte er mit seiner jüdischen Frau in Berlin, und wanderte 1933 erst nach Karlsbad aus, ging dann nach Wien, um nach dem Anschluss an das deutsche Reich 1938 in die Schweiz zu emigrieren. 

Buch:

Ich habe einmal gehört, dass Musils opus magnum zu den Werken gehört, die viele Menschen besitzen, aber nie lesen. Das triggert mich natürlich, es selbst doch einmal zu versuchen. Auch dass es unter großen finanziellen Schwierigkeiten in problematischen Zeiten entstanden ist, der erste Teil schließlich 1930 erschien und das ganze Werk gar nicht vollendet ist, trägt bestimmt zum Mythos bei. Das Buch gehört zu den bedeutendsten Romanen des 20. Jahrhunderts.


Hauptfiguren:
  • Ulrich, der Mann ohne Eigenschaften, 32 Jahre alt, Mathemtiker
  • Leontine „Leona“, seine Freundin, Liedsängerin
  • Bonadea, seine Geliebte, Ehefrau eines Richters
  • Agathe, seine Schwester
  • Walter, Jugendfreund und Clarisse, seine Frau (25)
  • Se. Exzellenz Graf Stallburg, Freund von Ulrich's Vater
  • Se. Exzellenz Graf Leinsdorf, dessen Freund
  • Ermelinda ‚Hermine’ Tuzzi, Ulrich‘s Cousine, auch Diotima genannt
  • Hans ‚Giovanni‘ Tuzzi, Sektionschef, ihr Ehemann
  • Rachel, ihre Dienerin
  • Dr. Paul Arnheim, preußischer Freund von Hermine
  • Soliman, sein Diener (Negersklave)
  • Direktor Leo Fischel, jüdischer Prokurist einer Bank, auch Mitglied des Projektes
  • Klementine, seine Frau (aus adliger Familie)
  • Gerda, ihre gemeinsame Tochter, frühere Geliebte von Ulrich,
  • Hans Sepp, ihr Freund
  • von Meier-Ballot, Gouverneur der Staatsbank
  • Generalmajor Stumm von Bordwehr, Offizier im Kriegsministerium
  • Gottlieb Hagauer, Schuldirektor und Agathes Ehemann
  • Lindner, ein Lehrer und Dozent
Inhalt und Rezeption:

Erstes Buch:

Erster Teil: Eine Art Einleitung

Im August 1913 in Wien. Ein Lastwagen überfährt einen Fußgänger. Der Mann ohne Eigenschaften ist in seiner Wiener Wohnung, einem alten, kleinen Schloss und tut eigentlich nichts. ("...und man könnte ermessen, welche ungeheure Leistung heute schon ein Mensch vollbringt, der gar nichts tut."). Was ist denn ein Mann ohne Eigenschaften? Ein Mann, der sich selbst gegenüber keinen Wirklichkeitssinn aufbringt (sondern eher einen Möglichkeitssinn, es könnte nämlich auch alles anders sein). Ulrich wurde als Kind nach einem despektierlichen Aufsatz zum Thema österreichischer Vaterlandsliebe von seinem gesellschaftlich ehrbaren Vater in ein Internat nach Belgien geschickt, mit 32 Jahren kehrt er nach einigen Wanderjahren zurück nach Wien.

Seine Lebensgefährtin Leona wird mit herrlich ironischem Unterton vorgestellt. („…, und ihr Besitz erschien ihm begehrenswert wie der eines vom Kürschner ausgestopften großen Löwenfells.“). Nach einer Schlägerei wird er verletzt von der verheirateten Bonadea heimgebracht, die seine Geliebte wird. In kleinen Rückblicken wird erzählt von Ulrichs kurzer, aber unerfüllter Zeit beim Militär, bevor er die Mathematik für sich entdeckte. Er beginnt, seinen alten Jugendfreund Walter und seine Frau Clarisse zu besuchen, er will offenbar vergeblich musikalisch reüssieren will. An die gemeinsame Jugend denkend, betrachtet Ulrich die gesellschaftlichen Veränderungen, ein wenig hadert er mit ihnen, schön geschrieben und brandaktuell. Walter hingegen ist eifersüchtig auf ihn und versucht vergeblich, ihn Clarisse gegenüber schlecht zu machen. 

Berichtet wird über einen Mordprozess, ein brutaler Mord an einer Prostituierten, der Ulrich bewegt und im weiteren Verlauf des Buches wird auf diesen psychologischen Kriminalfall immer wieder rekurriert und gefragt, wo fängt Unzurechnungsfähigkeit eigentlich an? Und der Vater fordert ihn auf, in einem Komitee mitzuarbeiten, das in einigen Jahren das Thronjubiläum des österreichischen Kaisers vorbereiten soll. Das soll ihm dann endlich die väterlich gewünschte gesellschaftliche Anerkennung bringen. 

Zweiter Teil: Seinesgleichen geschieht

Ulrich geht tatsächlich in die Hofburg zu Stallburg und wird Mitarbeiter bei der so genannten Parallelaktion, bei der das 70 jährige Thronjubiläum von Kaiser Franz Joseph I, das aber erst in fünf Jahren stattfindet, vorbereitet werden soll und vor allem großartiger werden soll als das im gleichen Jahr stattfindende des deutschen Kaisers Wilhelm II und es soll quasi der Geist der österreichischen Heimat gefunden werden. Er besucht ebenfalls auf Wunsch seines Vaters seine Cousine, über deren Entwicklung zu einer geistigen, schönen Frau im folgenden erzählt wird und die durch ihre Freundschaft zu Leinsdorf ebenfalls an der Parallelaktion teilnimmt, deren Mittelpunkt ihr Salon darstellt. 

Die Beziehung zu Bonadea geht in die Brüche, Ulrich hatte sie gefragt, ob sie sich aufgrund der außerehelichen Beziehung nicht schuldig fühlen würde, schien aber auch froh, dass sie daraufhin Schluss machte. Auf der Straße trifft er Fischel, der von ihm wissen will, was das Adjektiv ‚wahr‘ im Zusammenhang mit der Parallelaktion bedeuten soll, genauer den Begriffen Vaterlandsliebe, Österreich und Fortschritt? Was natürlich nicht zu beantworten ist. Ein kurzer kafkaesker Moment: durch eine unbedachte Äußerung gegenüber einem Polizisten wird er kurz inhaftiert und gar dem Polizeipräsidenten vorgeführt, der glücklich darüber ist, denn Graf Leinsdorf hatte ihn gerade um die nicht öffentlich bekannte Adresse von Ulrich gebeten, denn dieser wurde nun zum offiziellen Sekretär der Parallelaktion ernannt.

Die erste Sitzung des Komitees findet statt, auf der allerlei patriotisches Geschwätz stattfindet. Schön, wie Musil dem eine Pseudobedeutung und-schwere beimisst. Die Teilnehmer faseln dummes Zeug und wissen in Wirklichkeit gar nicht, was nun der darzustellende Patriotismus überhaupt ausmacht. Sowohl im Hause Tuzzi als auch bei den Fischels kommt es zu Beziehungsproblemen, einmal weil die Frau zu viel Zeit mit Arnheim verbringt, das andere Mal, weil die Ehefrau andere Ansprüche an ihren Mann hat und auch weil zunehmender Antisemitismus die Ehe vergiftet. 

Die Parallelaktion nimmt Fahrt auf, aber es passiert gar nichts Konkretes, alles geht in unspezifischen Unterausschüssen seinen unklaren Weg. Bonadea kommt zu Ulrich, will ihn zurück und irgendwie mitmachen bei der Parallelaktion. Und es wird beleuchtet, wie unterschiedlich Ulrich und Arnheim sind, beide mit Diotima in einer Art Beziehung verbunden, die sich gegenseitig aber nicht ausstehen können. Und auch Diotima wird Ulrich‘s Verworrenheit seiner Gedanken fremd. Clarisse kommt zu ihm und bittet um Unterstützung für ihren Vater, erzählt Ulrich aber auch von einer intimen Szene, die sie vor Jahren mit ihrem Vater hatte, auch wenn es nicht zur Vereinigung kam. Ulrich besucht Gerda auf Wunsch deren Mutter, er soll sie aus den antisemitischen Kreisen ihrer jungen Freunde entreißen. 

Durch Diotimas Engagement in der Parallelaktion entfremdet sie sich von ihrem Mann, der als Beamter mit den unkonkreten Zielen dieses Projektes nichts anfangen kann und eifersüchtig ist auf Arnheim. Verwunderlich ist, wie Soliman dargestellt wird, alle Vorurteile über Schwarze enthaltend, das würde heute so nicht mehr geschrieben werden können. Schön, wie General Stumm beschrieben wird, der zivilisierte Militär im kulturellen Kreis der Aktion. Ulrich bewegt sich in den vielen Treffen immer mit einer ironischen Distanz, die Diskussionen findet er leer und zu vergeistigt. Und er wundert sich, dass Tuzzi dieses in seinem Haus geschehen lässt. 

Bei einer Unterhaltung mit Diotima konfrontiert Ulrich seine Cousine mit ihrer Beziehung zu Arnheim, der Leser erfährt, dass dieser ihr sogar die Heirat angetragen hat. So schwankt das Buch immer wieder zwischen der großen, gesuchten Idee für die österreichische Monarchie und den kleinen Gedanken, die die einzelnen Protagonisten umtreibt. Aber auch zwischen den beiden knistert es durchaus. Bei einem Besuch bei Gerda erfährt Ulrich von ihrem Mann, dass es nun eine Gegenbewegung zur Parallelaktion geben wird, die den gemeinsamen deutschen Geist in dem Mittelpunkt des Thronjubiläums stellen will, um der Verslawung Österreichs entgegenzuwirken. 

Die zwischenmenschlichen Beziehungen blühen: Rachel und Soliman kommen einander näher, in der Ehe von Clarisse und Walter kriselt es heftig, sie wirft ihm vor: „Statt selbst etwas zu leisten, möchtest du dich in einem Kind fortsetzen.“ Gerda eilt zu Ulrich, um ihm eine Erkenntnis ihres Vaters weiterzuleiten, wonach Arnheim es weniger auf Diotima als auf die galizischen Ölfelder abgesehen habe. Dieser glaubt zunächst, sie sei nur gekommen, um ihm wieder ihre Liebe zu gestehen, der Versuch mit ihr zu schlafen scheitert grotesk an einem hysterischen Anfall Gerdas. 

Intensiver wird das Verhältnis von Ulrich zu Arnheim beleuchtet, das beidseitig ambivalent ist und zwischen Anerkennung und Konkurrenz schwankt, immerhin bietet Arnheim Ulrich einen Job in seinem Unternehmen an, den er aber nicht annehmen will. Als er an diesem Abend nach Hause kommt, erfährt er, dass sein Vater gestorben ist, was ihn genauso kalt lässt wie der Besuch von Clarisse, die von ihm ein Kind will und nicht von ihrem Ehemann.

Zweites Buch

Dritter Teil: Ins Tausendjährige Reich (Die Verbrecher)

Ulrich reist in seine Geburtsstadt zur Beerdigung seines Vaters und trifft nach Jahren mal wieder auf seine Schwester Agathe. Sie nähern sich an, vergleichen ihre Erinnerungen. Vertrauen zwischen ihnen entsteht, Agathe bittet ihren Bruder gar um Hilfe, um ihren ungeliebten zweiten Ehemann loszuwerden. Und sie beschließen, dass sie zu Ulrich in die Stadt zieht. In Sachen Parallelaktion wird Ulrich nach seiner Rückkehr von General Stumm über die neuesten Entwicklungen in Kenntnis gesetzt, die betreffen vor allem einen geheimen möglichen Deal zu den o.e. ukrainischen Ölfeldern mit Arnheim. Ulrich verkündet, er wolle sich aus der Aktion verabschieden. 

Seine Schwester Agathe will ihr bisheriges Leben hinter sich lassen und zu Ulrich in die Stadt ziehen. Ist sie heimlich in ihren Bruder verliebt? Jedenfalls sinniert sie über ihr bisheriges Leben, aus Angst vor der Zukunft hat sich sogar eine Giftkapsel besorgt, um jederzeit aus dem Leben scheiden zu können. Aber noch schaut sie voller Vorfreude auf den nächsten Abschnitte, ohne ihren Ehemann, denn diese Ehe will sie beenden. Ulrich seinerseits sieht die geplante Ankunft seiner ihm eigentlich fremden Schwester, sie waren nämlich nicht gemeinsam aufgewachsen, mitgemischten Gefühlen und fühlt sich dadurch bedroht, auch er denkt aber an eine verbotene geschlechtliche Beziehung. Von seiner Geliebten Bonadea trennt er sich aber schon einmal. Als Agathe dann bei ihm einzieht, führen sie viele Gespräche und lernen sich kennen und schätzen, bezeichnen sich gar als Zwillinge. 

Agathe will sich scheiden lassen, Ulrich schreibt entsprechend an ihren Ehemann Hagauer, in eine Scheidung einzuwilligen, doch das will dieser nicht. Der Leser lernt Hagauer nun etwas besser kennen, der an Agathe u.a. folgende Worte schreibt: „Du bist vielleicht das strikteste Gegenteil einer ins Leben gerichteten uns seiner kundigen Menschenart, wie ich sie selbst darstelle, aber gerade darum solltest du dich nicht leichtfertig der Stütze entäußern, die ich dir biete!“ Er verlangt, dass sie zu ihm zurückkehre, sie ist verzweifelt und denkt über Suizid nach. Als sie verzweifelt am Waldrand am Grabe eines Poeten ausharrt, der sich umgebracht hatte, trifft sie auf einen Herrn namens Lindner, ein Lehrer und Dozent, der sowohl ihren Mann als auch ihren Bruder kennt und sie aus ihrer Verzweiflung befreien möchte.

Und der Fall Moosbrugger taucht schon wieder auf. Diesmal wollen Clarisse, Ulrich und Stumm den zum Tode Verurteilten in der Psychiatrie besuchen. Genussvoll wird bei einer Besichtigung der Anstalt die Gegenwelt mit all den Verrückten dargestellt, Ekel und ein wohliger Schauer breitet sich bei den Besuchern aus, aber zum Treffen mit Moosbrugger kommt es nicht, da ein Zwischenfall den Arzt zu einem anderen Patienten ruft, vermutlich inszeniert, denn die Rechtmäßigkeit des Todesurteils will man wohl nicht durch eine Dame der Gesellschaft anzweifeln lassen. 

Zum Schluss des unvollendeten Romans geht es noch einmal um die Parallelaktion: Bei Diotima treffen sich wieder alle, diesmal erweitert um alle möglichen gesellschaftlichen Koryphäen, jeder will dabei sein, aber es kommt nicht dabei heraus, das ganze ist bloß ein Symbol dafür, dass in dieser österreichischen Gesellschaft alle dabei sein wollen, sie aber zu keinen konkreten Beschlüssen mehr fähig ist, die Personen verbergen sich hinter ihren schwülstigen Titeln und banalem Geplauder. Das mag ich  dann auch nicht mehr im Detail lesen. 

Am Ende bin ich froh, dass der Roman endlich zu Ende ist, ohne zu Ende zu zu sein, es war schon ziemlich anstrengend, da am Ball zu bleiben. Ich möchte mir nicht ausmalen, wieviel länger er geworden wäre, hätte Musil ihn beenden können.

Lesespaßfaktor:

Das Werk weist keine chronologische Handlung auf, es mäandert auf sehr vielen Seiten durch das Leben von Ulrich, einem Mann, der bedeutend werden will, aber nicht weiß, wie das anzustellen ist. Ankerpunkt ist die Jetztzeit, als er mit 32 Jahren im Wien der Vorkriegszeit (1. Weltkrieg) lebt. Musil übt Kritik an der technologieversessenen Gesellschaft und dem damit verbundenen Verlust von Menschlichkeit („…, daß die Mathematik, Mutter der exakten Naturwissenschaft, Großmutter der Technik, auch Erzmutter jenes Geistes ist, aus dem schließlich Giftgase und Kampfflieger aufgestiegen sind.“). Die Dichte schöner, wertvoller Gedanken ist immens! Aktuelle Politik der direkten Vorkriegszeit spielt immer wieder eine Rolle, dazu gehört auch die Zerrissenheit der KuK Monarchie. Aber im Mittelpunkt stehen Introspektionen der Hauptfiguren, alle fragen sich irgendwie, wer sie sind in der Welt und wie sie im Vergleich zu den Menschen in ihrer Umgebung dastehen. 

Es gibt sehr viele tolle Sprachbilder, wie dieses hier: „Als auch das vorbei war, war nichts geschehen; zurückquellendes Tagesgerede füllte die Leere aus, und die Zeit setzte Bläschen an wie ein Glas schales Wasser.“  oder dieses hier: „Sie war eines eines jener reizend heutigen Mädchen, die auf der Stelle Omnibusschaffner würden, wenn eine allgemeine Idee dies verlangte.“ Oder: „Du bist ein Mensch, der das Büchsengemüse für den Sinn des frischen Gemüses erklärt!“

Ein Stilmittel Musils ist die Ironie, manchmal schon Satire, etwa als er über die Vereinsmeierei spottet. Amüsant ist es auch, wie 1930 in gehobenen Kreisen über Sexualität philosophiert wurde. 

Aber es gibt auch zahlreiche Längen, etwa die langatmige Geschichte des verurteilten Straftäters Moosbrugger. Der heutige Leser hätte meines Erachtens nach mehr von dem Buch, wenn es deutlich kürzer wäre. Vor allem die letzten Kapitel strapazieren über die Massen die Geduld der Leser.

Donnerstag, 31. Juli 2025

Freitag, 25. Juli 2025

John Steinbeck - Früchte des Zorns



Autor:

Steinbeck wurde am 27. 2.1902 in Salinas, Kalifornien geboren, er starb am 20.12.1968 in New York City. Er war ein US-amerikanischer Schriftsteller und einer der meistgelesenen Autoren des 20. Jahrhunderts, hat zahlreiche Romane, Kurzgeschichten, Novellen und Drehbücher verfasst. Zeitweilig arbeitete er als Journalist, war 1943 Kriegsberichterstatter im Zweiten Weltkrieg. 1940 erhielt er den Pulitzer-Preis für seinen Roman Früchte des Zorns und 1962 den Nobelpreis für Literatur. Seine Großeltern haben europäische Wurzeln (deutsch, irisch), die Großeltern väterlicherseits haben lange in Palästina gelebt. Sein abgebrochenes Studium in Stanford finanzierte Steinbeck mit Gelegenheitsjobs auf dem Bau, wo e viele Menschen kennenlernte, die später in seinen Romane typisiert wurden, Es dauerte länger, bis er als Schriftsteller Erfolg hatte. Aus den Recherchen für Zeitungsartikel über Wanderarbeiter entstammen die Ideen zur Novelle 'Von Mäusen und Menschen' und zu dem hier zu besprechen Werk, beides bis heute riesige Erfolge. 

Freitag, 27. Juni 2025

Friedrich Schlegel - Lucinde

 

Autor:

Schlegel (* 1772 in Hannover als Pfarrerssohn; † 1829 in Dresden), war ein deutscher Kulturphilosoph, Schriftsteller, Literatur- und Kunstkritiker, Historiker und Altphilologe. Er war neben seinem Bruder August Wilhelm Schlegel einer der wichtigsten Vertreter der „Jenaer Frühromantik“. Schlegels Ziel war nach eigenem Bekunden die verbindende Darstellung von Philosophie, Prosa, Poesie, Genialität und Kritik. Er war Anhänger der Philosophie Fichtes und persönlich bekannt mit Schiller, Goethe und Herder. Er studierte unter anderem Altphilologie und Philosophie. Anfangs beeinflusst von der Aufklärung, wandte er sich bald der romantischen Idee der Kunst, Individualität und Ironie zu. Neben Literaturkritik schrieb er auch über Geschichte, Sprache, Religion und Philosophie. Er gilt als Vordenker der literarischen Romantik. Seine Schriften trugen dazu bei, Kunst und Poesie als zentrale Ausdrucksformen menschlicher Freiheit und Tiefe neu zu definieren.

Sonntag, 22. Juni 2025

Joris-Karl Huysmans - Gegen den Strich (À rebours)








Autor:

Huysmans wurde am 5. Februar 1848 in Paris geboren und starb in derselbe Stadt 1907. Er hatte einen holländischen Vater und eine französische Mutter. Nach dem Abitur arbeitete er jahrelang im Innenministerium, aufgrund schlechter Erfahrungen mit Frauen blieb er lebenslang ein (enttäuschter) Junggeselle. Seine schriftstellerische Betätigung erfolgte nebenberuflich, die ersten Veröffentlichungen waren Zeitschriftentexte und 1874 ein Gedichtband. 1876 lernte er Émile Zola kennen und schloss sich der um diesen versammelten Gruppe der Naturalisten an. Im selben Jahr brachte er seinen ersten Roman Marthe, histoire d’une fille heraus, das drastische Werk war für einige Zeit als sittenwidrig verboten. Viele seiner Werke waren in der Unterschicht angesiedelt. Im Alter wurde religiöser und verbrachte einige Zeit im Kloster. 

Freitag, 2. Mai 2025

Thomas Bernhard - Holzfällen. Eine Erregung

 

Autor:

Thomas Bernhard war ein bedeutender österreichischer Schriftsteller des 20. Jahrhunderts (1931 - 1989). Einen Teil seiner Kindheit verbrachte er in nationalsozialistischen Erziehungsheimen, was ihn zu zwei Selbstmordversuchen trieb. Inspiriert von seinem Großvater, der ebenfalls Schriftsteller war, kan Bernhard nach journalistischer Tätigkeit ebenfalls zur Schriftstellerei. Ende der 50er Jahre veröffentlichte er erste Gedichte, später folgten Romane und zahlreiche Theaterstücke. Monologe eines Ich-Erzählers sind ein Charakteristikum seines Werkes. Zahlreiche Skandale begleiten seine Veröffentlichungen, ihm wurde etwa Nestbeschmutzung vorgeworfen, da er seine österreichische Heimat oft kritisierte. 

Buch:

Dieses Werk wurde 1984 veröffentlicht und löste ebenfalls einen Skandal aus, da ein früherer Freund sich in einer der Romanfiguren erkannte und Klage gegen den Autor erhob. Das förderte die Verkaufszahlen und trug dazu bei, diesen Roman als eines der wichtigsten Werke des Autors werden zu lassen. 

Hauptfiguren:
  • Ich-Erzähler, Schauspieler und Schriftsteller
  • Eheleute Auersberger, Gastgeber des künstlerischen Abendessens
  • Joana, alias Elfriede Slukal, eine gemeinsame Freundin, die sich erhängt hat
  • Jeannie Billroth, Schriftstellerin
  • John, Joanas letzter Freund
Inhalt und Rezeption:

Vorweg ist zu bemerken, dass es nicht besonders viel Inhalt gibt. Der 52-jährige Ich-Erzähler ist zu einer künstlerischen Abendgesellschaft bei den Eheleuten Auersberger eingeladen, nachdem er sie nach 20 Jahren (er war in London gewesen) zufällig wieder getroffen hat. Er sitzt in einem Sessel und beobachtet gelangweilt die Gesellschaft und fragt sich, warum er eigentlich hier ist., zumal er die Auersberger für seine damaligen psychischen Zusammenbruch verantwortlich macht. Alle warten auf die Ankunft eines Wiener Burgtheater-Schauspielers.

Der Erzähler rekapituliert die Vergangenheit, denkt vor allem über den kürzlichen Selbstmord seiner damaligen Bekannten Joana und über ihre morgendliche Beerdigung nach. Und genauso über ihre Begegnungen in der Vergangenheit, die einen wichtigen Einfluss auf seine eigene künstlerische Entwicklung gehabt hatte, genauso wie die Auersberger sein Leben vor 20 Jahren beeinflusst haben. Auch Jeannie kommt bei ihm nicht gut davon.

Endlich kommt nach der Hälfte des Romans der Burgschauspieler, der selbstverliebt seine großen Leistungen rühmt und über das Theater im allgemeinen parliert.

Der Erzähler ist ein klassischer Misanthrop, er mag eigentlich niemanden, schon gar nicht in der Abendgesellschaft.
„Die meisten Menschen interessieren einen wirklich nicht, habe ich die  ganze Zeit gedacht, fast alle, denen wir begegnen, interessieren uns nicht, sie haben uns nichts zu bieten als ihre Massenarmseligkeit und ihre Massendummheit und langweilen uns durch  immer und überall, und wir haben naturgemäß für sie nicht das geringste übrig.“
Der Abend schreitet voran in zunehmender Betrunkenheit, zum Schluss gibt es noch eine heftige Auseinandersetzung zwischen dem Burgschauspieler und Jennie, was dem Erzähler eine temporäre Sympathie für ihn bringt. Als dann alle gehen wird der Erzähler verlogen, als er den Abend lobt, den er gehasst hat. Und genauso wie er Wien, die Wiener und den dortigen Kulturbetrieb hasst, so liebt er ihn eigentlich und so hat der Roman dann doch ein kleines, versöhnliches Ende.

Lesespaßfaktor:

Diese 'Erregung' hat nichts mit dem Titel 'Holzfällen' zu tun, sondern ist eine Abrechnung mit dem Wiener Kulturbetrieb der 1980er Jahre. Die Gedanken des Erzählers rotieren, wiederholen sich ständig, allein das Wort Ohrensessel, in dem der Erzähler sitzt und sinniert, kommt in der ersten Hälfte des Werkes gefühlt dreimal auf jeder Seite vor.

Das Werk ist ein Erinnerungsstrom ohne Absatz und ohne einzelne Kapitel im Text und mit oft sehr langen Sätzen mit vielen Wiederholungen schon innerhalb eines Satzes. Das obige Zitat zeigt zweierlei, einmal die Abneigung des Erzählers/Autors gegen die Menschen und zum anderen stilistisch die erwähnten andauernden Wiederholungen seiner Gedanken.

Bestimmt enthält das Werk auch autobiografische Elemente (Musikstudium, Schauspielerei, Schriftstellerei) des Autoren. Aber irgendwie ist es dann doch spannend zu lesen, die Gedanken um Freundschaft, Liebe, Hass, um das Altern, um Einsamkeit und Depressionen. Ich kann nachvollziehen, warum der Kritiker Marcel Reich-Ranicki das Werk auf seinen Lesekanon gesetzt hat, auch wenn es vermutlich für Leser, die selbst aus dem Kulturbetrieb kommen, noch interessanter ist als für den 'normalen' Leser.

♥♡





Sonntag, 20. April 2025

Fjodor M. Dostojewskij - Die Brüder Karamasow

 

Autor:

Dostojewskij, einer der bedeutendsten russischen Schriftsteller lebte von 1821 bis 1881, er wurde in St. Petersburg geboren, wo er auch starb. Insgesamt verfasste er neun Romane, dazu Novellen und Erzählungen sowie nicht fiktionale Texte. Schwerpunkte der Romane sind die Zustände im russischen Kaiserreich am Beginn der Moderne, seine Figuren sind vor allem psychologisch gezeichnet: Die Romande sind als so genannte Feuilletonromane konzipiert, das bedeutet als sie erschienen zunächst als Fortsetzungsromane in Zeitschriften und sind daher leichter verständlich. Aufgrund seiner frühsozialistischen Haltung wurde er verhaftet, zunächst zum Tode verurteilt und nach der Begnadigung für 10 Jahre nach Sibirien verbannt. Nach seiner Rückkehr 1859 schrieb er seine großen Romane wie etwa 'Schuld und Sühne'. Dostojewskij litt unter Epilepsie und an Spielsucht, letzteres hat er in dem Roman 'Der Spieler' verarbeitet. 

Buch:

Ich habe vor Jahrzehnten 'Schuld und Sühne' gelesen, für mich einer der besten Romane aller Zeiten.  Dem letzten der großen Romane möchte ich mich nur hiermit widmen, das Buch steht auch schon Jahren in meinem Bücherschrank. Sigmund Freud hielt diesen 1880 erschienen Roman, der Fragen nach dem Sinn des Lebens und der Existenz Gottes behandelt, für den besten jemals geschriebenen Roman.

Hauptfiguren:
  • Alexej 'Aljoscha' Fjodorowitsch Karamasow
  • Fjodor Pawlowitsch Karamasow, sein Vater, Gutsbesitzer, 55 Jahre alt
  • Dmitrij Fjodorowitsch 'Mitja', sein älterer Halbbruder
  • Iwan Fjodorowitsch, sein Bruder
  • Katerina ('Katja') Iwanowa Werchowzewa, dessen Braut und adelige Obersttochter
  • Grigorij Wassiljewitsch Kutusow, Diener von Fjodor
  • Pawel Fjodorowitsch Smerdjakow, sein Sohn
  • Starez Sosima
  • Agrafena Alexandrowa Swetlowa ('Gruschenka'), 
  • Katerina Osipowna Chochlakowa, Gutsbesitzerin
  • Lise, ihre gelähmte Tochter
  • Michail Osipowitsch Rakitin, ein Diener von Frau Chochlakowa und Bekannter Gruschenkas
  • Kusma Kusmitsch Samsonow, reicher Gönner Gruschenkas
  • Ippolit Kirillowitsch, Staatsanwalt
  • Fetjukowitsch, Verteidiger Mitjas
Inhalt und Rezeption:

Erstes Buch - Die Geschichte einer Familie

Die Geschichte beginnt 13 Jahre vor der eigentlichen Erzählung mit Fjodor, einem Kleingutsbesitzer mit überaus schlechtem Charakter, der seiner ersten Frau die Mitgift abgeluchst hat und damit durchgebrannt ist. Der gemeinsame Sohn Mitja wird zunächst vorwiegend durch den Diener Grigorij großgezogen, dann erscheint ein Großonkel aus der Familie Miusow und übernimmt das Kind, bevor es wiederum zu einer seiner Tanten weitergegeben wurde. Fjodor heiratet erneut, diesmal die junge Waise Sofja, die bei einer Generalin aufgewachsen war und mit der er zwei weitere Kinder, Aljoscha und Iwan zeugte. Sie starb aber nur wenige Jahre später und ihre beiden Kinder wurden von der despotischen Generalin erzogen, die aber wiederum auch kurz danach verschied, so dass die beiden Kinder zeitweise vom überaus humanen Haupterben der Generalin erzogen wurden. Iwan konnte später in Moskau studieren, beide Brüder waren sich aber des nichtsnutzigen Vaters bewusst. 

Eines Tages besucht Iwan seinen ihm unbekannten Vater und zur Überraschung aller verstand er sich mit dem schwierigen Menschen ganz gut. In der kleinen Stadt lebte der allseits beliebte Aljoscha zu diesem Zeitpunkt schon seit einem Jahr als Novize in einem Kloster bei Starez (=Ältester in einem orthodoxen Kloster) Sosima. Hier kommt dann ein schöner Gedanke zum Glauben:
Nicht Wunder bewegen den Realisten zum Glauben. Der wahre Realist wird, wenn er nicht gläubig ist, stets die Kraft und die Fähigkeit in sich finden, auch an ein Wunder nicht zu glauben; wenn aber das Wunder ihm als unumstößliche Tatsache begegnet, so wird er eher seinen Sinnen misstrauen als die Tatsache zugeben. ... Beim Realisten kommt nicht der Glaube aus dem Wunder, sondern das Wunder aus dem Glauben. 
Zweites Buch - Eine unangebrachte Zusammenkunft

Fjodor und Iwan besuchen den Starez und Aljoscha im Kloster. Warum sie dies tun wird nicht deutlich. Der Starez empfängt allerlei hilfsbedürftige Menschen, darunter eine Gutsbesitzerin mit ihrer Tochter Lise, die im Rollstuhl sitzt und die er bisher schon von Fieberanfällen befreit haben soll. Während alle noch auf Dmitrij warten plappert Fjodor gotteslästerliches Zeug und man spricht etwas langatmig über die Rolle der Kirche und die des Staates, insbesondere in Bezug auf die Gerichtsbarkeit. Sobald dieser dann aber da ist beginnen vor den Ohren des Starez die verletzenden gegenseitigen Vorwürfe, es dreht sich um finanzielle Ansprüche zwischen ihm und seinem Vater sowie beider Zuneigung zum Freudenmädchen Gruschenka. Fjodor beleidigt später noch den Abt und andere Anwesende, bevor er sich endlich mit Iwan auf den Heimweg begibt.

Drittes Buch - Die Wolllüstlinge

Es wird von der unehelichen Geburt Pawels nach einer Vergewaltigung berichtet, bei der seine Mutter verstarb, der Vater des Kindes soll Fjodor sein. Aljoscha unterhält sich lange mit seinem ältesten Bruder und erfährt vom ihm über den Ursprung seiner Beziehung zu und Verlobung mit Katja, in die aber auch sein anderer Bruder Iwan verliebt ist. Dmitrij sieht sich als Nichtsnutz und bittet ihn, in seinem Namen die Verlobung mit Katja zu lösen und ihr von ihm unterschlagenes Geld zurückzugeben, da er lieber Gruschenka heiraten will. Allerdings soll Aljoscha das benötigte Geld ausgerechnet bei ihrem Vater holen, der ebenfalls in Gruschenka verliebt ist. Dort trifft er auf Iwan und die beiden Diener, die sich über Glaubensfragen echauffieren. Dmitrij streitet mit seinem Vater wegen Gruschenka, die Aljoscha dann allerdings bei Katerina trifft, die sich auch von ihr hat einwickeln lassen. Dort erhält er auch selbst einen Brief von Lise (s.o.), die ihm ihre Liebe gesteht. 

Viertes Buch - Überspanntheit

Aljoscha nimmt allerlei Weisheiten seines im Sterben liegenden Starez entgegen, bevor er wieder zu seinem Vater eilt, der wiederum seine Liederlichkeit, seinen Geiz und seine Unglauben offenbart sowie über seine beiden Brüder herzieht. Dann geht er weiter zu Frau Chochlakowa, wo ihn Tochter Lise bittet, ihr ihren Brief an ihn zurückzugeben, aber Aljoscha hat alles geglaubt und sagt ihr, dass er sie in der Tat zu heiraten gedenke, trotz ihrer Behinderung (sie sitzt im Rollstuhl). Im Salon des Hauses sind auch sein Bruder Iwan und Katerina versammelt, es geht wieder darum, welchen der beiden Brüder sie nun liebt oder auch nicht, alles wird hier etwas sehr mit nicht so nachvollziehbarer Bedeutung (=Überspanntheit) aufgebauscht. Ein kleiner Junge beißt Aljoscha in den Finger, später erfährt man, warum, nämlich weil der Junge seinen Bruder Dmitrij dafür verantwortlich macht, seinen eignen Vater beleidigt zu haben, wofür wiederum Katerina Aljoscha Geld gibt, damit er einem Snegirjow gibt als Wiedergutmachung, der es aber ablehnt, da er sich in seiner Ehre verletzt sieht. Sic!

Fünftes Buch - Pro und Contra

Er liebt, sie liebt ihn, sie liebt ihn nicht, irgendwie sind Aljoscha und Lise dann verlobt. Mit seinem Bruder Iwan spricht er erstmals richtig über ihre Beziehung und das Leben im allgemeinen, über das Gute und das Böse im besonderen. „Soll man das Leben mehr lieben als den Sinn des Lebens?“ Dies ist eine schöne Passage in dem Buch, die auch das Poem ‚Der Großinquisitor‘ enthält. 

Sechstes Buch - Ein russischer Mönch

Aljoscha kehrt zum Starez zurück, der am letzten Abend seines Lebens einer kleinen Zuhörerschaft etwas aus seinem Leben erzählt, vor allem, wie er als junger Kadett die Religion für sich entdeckt hat und ins Kloster ging. Auch hier wird wieder deutlich, dass Dostojewskij im Alter eher theologische Themen umtreibt und er seine Erzählkraft doch etwas verloren hat.

Siebentes Buch - Aljoscha

Alle erwarten, dass vom verstorbenen Starez nun Wunder ausgehen, stattdessen geht von seinem toten Körper ein besonders übler Leichengeruch aus, so dass die meisten Mönche das Starzentum in Frage stellen. Aljoscha verlässt das Kloster mit Rakitin, der sich freut, ihn vermeintlich in die Sünden einzuführen, als er mit ihm zu Gruschenka eilt. Statt dessen aber tauschen sich die beiden über ihr Leben aus. Gruschenka wartet auf einen früheren Liebhaber und beauftragt Aljoscha, seinem Bruder Mitja mitzuteilen, sie habe ihn nie wirklich geliebt.  

Achtes Buch - Mitja

Dieser wiederum ist mit seinen Geldsorgen zu einem alten Gönner Gruschenkas gegangen, um von ihm Geld zu bekommen im Tausch gegen höhere Forderungen gegen seinen Vater aus einer Erbsache. Der will davon nichts wissen und schickt ihn mit böser Absicht zu Ljagawyi, der angeblich mit seinem Vater über den Kauf eines Waldstücks verhandelt und vielleicht Interesse an Mitjas Forderung gegen seinen Vater haben könnte. Nachdem er aber feststellt, in die Irre geleitet worden zu sein, kehrt er wutentbrannt zurück und sucht seine Geliebte bei seinem Vater. Dort im Garten auflauernd, kommt es zu einem Unfall, als der alte Diener seines Vaters herauskommt und er ihn auf seiner Flucht aus dem Garten versehentlich und vermeintlich tödlich verletzt. Völlig aufgedreht folgt er Gruschenka in einen Nachbarort und feiert eine Orgie mit ihr und ihrem ehemaligen Liebhaber, es wird dabei viel Sinnloses palavert, am Ende der Nacht wird Mitja wegen  vorsätzlichen Mordes an seinem Vater verhaftet.

Neuntes Buch - Die Voruntersuchung

Der Roman verwandelt sich nun in eine Kriminalgeschichte. Nun erfährt der Leser schrittweise, was wirklich passiert ist. Das vermeintliche Opfer Kutosow war nur schwer verletzt, tatsächlich soll Mitja seinen Vater mit einem Stößel erschlagen, den er aus dem Haushalt von Frau Chochlakowa mitgenommen hatte. Das bestreitet er jedoch vehement, im Gegenteil ist er erleichtert zu hören, dass der Diener seines Vaters noch am Leben ist, denn er dachte, eben diesen erschlagen zu haben. Nur dass der Staatsanwalt und der Untersuchungsrichter seiner Darstellung keinen Gauben schenken. In extensio wird auch über die Herkunft des Geldes gesprochen, dass Mitja verprasst hatte. Schließlich wird er inhaftiert.

Zehntes Buch - Die Knaben

Aljoscha trifft sich mit ein paar Jungen aus seinem Dorf, nicht weiter erwähnenswert für den Fortgang des Romans.

Elftes Buch - Der Bruder Iwan Fjodorowitsch

Um den es zunächst gar nicht geht. Stattdessen spricht Aljoscha vor dem Prozess gegen seinen Halbbruder mit den alten Protagonisten im Dorf, er glaubt nicht an die Schuld Dmitrijs, sondern beschuldigt Smerdjakow. Diese Gespräche wabern um alles mögliche Belanglose, so wie etwa die junge Lise plötzlich einen ganz bösen Charakter bekommt. Dann wird doch aus der Sicht von Iwan weiter erzählt, der mehrere Gespräche mit Smerdjakow führt und beginnt, ihn für den Mörder deines Vaters zu halten. Dieser wiederum konfrontiert ihn mit seinen eigenen angeblichen Wunsch, sein Vater möge sterben. In einem dritten und letzten Gespräch gibt Smerdjakow dann den Mord sogar zu und übergibt das entwendete Geld an Iwan, sagt aber auch, er werde den Mord niemals vor Gericht zugeben und überhaupt hätte Iwan ihn ja angestiftet. Hier wird der Roman wieder zur Kriminalgeschichte.

Zwölftes Buch - Ein Justizirrtum

Nun wird der Prozess gegen Mitja beschrieben, das meiste hat der Leser schon vorher erfahren, was hier nur wiederholt wird. Überraschenderweise aber legt plötzlich Iwan das immer gesuchte Geld, dessentwegen angeblich der Mord begangen wurde, im Prozess auf den Tisch. Und er sagt aus, dass Smerdjakow den Mord auf seinen Auftrag hin begangen habe, wird aber ob seines seltsamen Gehabes als nervenkrank abgetan. Katja sagt dann aus, er habe dies nur gesagt, um seinen Bruder zu retten. Der Staatsanwalt hält ein (über)langes Plädoyer, moralisierend, psychologisch und wertend, weniger juristisch, an dessen Ende hält er ihn jedenfalls für schuldig. Der Verteidiger entkräftet die Indizienbeweise einzeln, insbesondere legt er dar, dass das Motiv des Raubes nicht greift, denn es fehle der Beweis, dass es das Geld überhaupt gab. Dmitrij selbst beteuert zum Abschluss, er sein zwar ein lasterhafter Mensch, seinen Vater habe er aber nicht ermordet. Aber die Geschworenen sprechen ihn des vorsätzlichen Raubmordes schuldig.

Epilog

Mitja wurde zu 20 Jahren Straflager in Sibirien verurteilt. Vor seinem Abtransport sinniert er noch auf der Krankenstation des Gefängnisses über seine Flucht mit Gruschenka nach Amerika. Ohne Ergebnis. Und dann kommt zum Schluss noch einmal die seltsame Geschichte mit den Knaben, Anlass ist die Beerdigung eines der Jungen. Warum? das erschließt sich mir nicht. Ende!



Lesespaßfaktor:

Ein sehr ausufernder Roman! Über 1.000 Seiten eng bedrucktes Papier, der Leser braucht sehr viel Geduld. Der Erzähler ist eine unbekannte Person aus dem Dorf, in dem die drei Brüder Karamasow geboren wurden. Die Geschichte verästelt sich bis in die unbedeutendsten Nebenpersonen (z.B. die Diener Fjodors). Einzelne Charaktere sind ziemlich überspitzt dargestellt (Gruschenka, Dmitrij). Es wird auch sehr viel, ja zu viel geredet.

Eingebettet in die Geschichte werden immer wieder religiöse Aspekte (Aljoschas Leben im Kloster, das Starzentum). Und das Leben dreht sich um Geld, um Neid und Eifersucht.

Erst als der Roman zur Kriminalgeschichte wird, wird es etwas flüssiger und spannender zu lesen, auch wenn dann zum Ende hin im Prozess unzählige der dem Leser bekannten Fakten wieder und wieder beleuchtet werden. Im ersten Teil des Romans steht Aljoscha im Mittelpunkt, der im zweiten Teil kaum und zum Schluss hin überhaupt keine Rolle mehr spielt.

Dieser Roman kommt für mich qualitativ nicht an frühere Werke heran, wie besonders 'Schuld und Sühne'. Viele  Charaktere sind doch ziemlich überspannt, etwa Lise und ihre Mutter. Zwischen dem Wechsel zwischen bedingungsloser Liebe und völliger Ablehnung einer Person sind manchmal nur kleine Begebenheiten (Mitja und Katja). Das Buch ist viel zu lang, es gibt zu viele Abschweifungen, wie etwa die seltsamen Begebenheiten mit den Jungen. Es gibt oft wirre Unterhaltungen, wie im Fieberwahn.

In der Rede des Staatsanwalts wird Dostojewskijs Sicht auf die Brüder Karamasow überdeutlich: "..., Karamasowsche Naturen - ... -, die fähig sind, alle möglichen Gegensätze in sich zu vereinen und gleichzeitig beide Abgründe zu schauen: den Abgrund über uns, den Abgrund der niedrigsten und schändlichsten Verkommenheit."

♡♡




Dienstag, 4. Februar 2025

Jean Rouaud - Hadrians Villa in unserem Garten

 

Autor:

Rouaud ist ein 1952 in Nantes geborener, französischer Schriftseller, der bereits mit seinem Erstlingswerk 'Die Felder der Ehre' den bedeutenden französischen Literaturpreis Prix Goncourt ausgezeichnet. Seine eigene Familiengeschichte ist der Hauptgegenstand seiner Werke. Fünf Romane sind bisher erschienen sowie zwei andere Werke. All zu bekannt ist Rouaud bisher in Deutschland nicht geworden

Buch:

Dieses Werk ist der zweite Roman des Autors, 1993 erschienen und ein Jahr später in deutscher Übersetzung vorgelegt worden. In Bezug auf die Figuren im Roman soll es an den Erstling anschließen, im Mittelpunkt steht der Vater des Erzählers. Ich habe das Buch von einem damals sehr geschätzten Arbeitskollegen zum Geburtstag geschenkt bekommen und -zumindest nach meiner Erinnerung- nie gelesen. 

Hauptfiguren:
  • Joseph 
  • Pierre, sein Vater
  • Marie, seine Schwester
  • Johannes, sein Sohn, der Erzähler
Inhalt und Rezeption:

Randon ist ein fiktiver kleiner Ort in der Bretagne. Der Erzähler berichtet vom Leben seines Vaters Joseph, ein kleiner Handelsvertreter, der Materialien für den Schulunterricht vertrieb und nur 41 Jahre alt wurde. Entsprechend ist er viel unterwegs, berichtet wird etwa, wie er seine Routen mit Hilfe großer Landkarten, Nadeln und einem Faden plant. Und immer wenn er mal wieder nach Hause kommt, dann wartet das ganze Dorf auf den Rückkehrer, der als Ratgeber und Handwerker in allen Lebenslagen geschätzt wird, etwa als der ganz Bestand eines Porzellanladens durch das falsche Abbrennen von Petroleumlampen bei einem Stromausfall völlig verrußt wird. 

Der Vater interessiert sich für alte Steine (Menhire), die er am Wegesrand aufsucht, ich als Leser dagegen etwas weniger! Mit den Steinen will er im Garten ein Haus errichten (a la 'Hadrians Villa). Einer davon ist zu schwer, so dass sein altes Auto unter Last zerbricht. Der Charakter des offenbar früh verstorbenen Vaters erschließt sich aus kleinen Begebenheiten in der Erinnerung des erzählenden Sohnes, viele davon während der Vater als Vertreter in Westfrankreich unterwegs ist. 

Nett ist Berichterstattung vom Familienbesuch in Paris, aber nur kurz danach verreckt nicht nur das Auto, sondern in einer langen Szene wird vom frühen Tod des Vaters im heimischen Hause berichtet. Aber auch danach springt die Erzählung zeitlich wieder zurück, es werden weitere Erlebnisse aus dem Leben des Vaters erzählt, etwa als der während des Krieges vor einer Einberufung weglief, aber so richtiges Interesse daran flammt bei mir nicht auf. 

Lesespaßfaktor:

Rouaud schwelgt in Erinnerungen an eine alte, inzwischen modernisierte Bretagne, noch vor der großen Flurbereinigung. Er lobpreist der dörfliche Familienleben. Eine wirkliche Handlung gibt es nicht. Die Sprache ist auch in der Übersetzung durchaus schön und ist manchmal gefüllt mit kulturgeschichtlichen Anspielungen und gelegentlicher Ironie
"Jeder Kilometer machte dem Auto mehr zu schaffen Im Ölverbrauch legte es denselben Heißhunger an den Tag wie ältere Damen bisweilen beim Verzehr von Süßigkeiten."
Aber die Lektüre ist schon auch etwas langatmig, obwohl das Werk nur 218 Seiten hat. Erinnern werde ich mich an das Buch wohl schon in Kürze nicht mehr. 

♡♡♡