Freitag, 2. Mai 2025

Thomas Bernhard - Holzfällen. Eine Erregung

 

Autor:

Thomas Bernhard war ein bedeutender österreichischer Schriftsteller des 20. Jahrhunderts (1931 - 1989). Einen Teil seiner Kindheit verbrachte er in nationalsozialistischen Erziehungsheimen, was ihn zu zwei Selbstmordversuchen trieb. Inspiriert von seinem Großvater, der ebenfalls Schriftsteller war, kan Bernhard nach journalistischer Tätigkeit ebenfalls zur Schriftstellerei. Ende der 50er Jahre veröffentlichte er erste Gedichte, später folgten Romane und zahlreiche Theaterstücke. Monologe eines Ich-Erzählers sind ein Charakteristikum seines Werkes. Zahlreiche Skandale begleiten seine Veröffentlichungen, ihm wurde etwa Nestbeschmutzung vorgeworfen, da er seine österreichische Heimat oft kritisierte. 

Buch:

Dieses Werk wurde 1984 veröffentlicht und löste ebenfalls einen Skandal aus, da ein früherer Freund sich in einer der Romanfiguren erkannte und Klage gegen den Autor erhob. Das förderte die Verkaufszahlen und trug dazu bei, diesen Roman als eines der wichtigsten Werke des Autors werden zu lassen. 

Hauptfiguren:
  • Ich-Erzähler, Schauspieler und Schriftsteller
  • Eheleute Auersberger, Gastgeber des künstlerischen Abendessens
  • Joana, alias Elfriede Slukal, eine gemeinsame Freundin, die sich erhängt hat
  • Jeannie Billroth, Schriftstellerin
  • John, Joanas letzter Freund
Inhalt und Rezeption:

Vorweg ist zu bemerken, dass es nicht besonders viel Inhalt gibt. Der 52-jährige Ich-Erzähler ist zu einer künstlerischen Abendgesellschaft bei den Eheleuten Auersberger eingeladen, nachdem er sie nach 20 Jahren (er war in London gewesen) zufällig wieder getroffen hat. Er sitzt in einem Sessel und beobachtet gelangweilt die Gesellschaft und fragt sich, warum er eigentlich hier ist., zumal er die Auersberger für seine damaligen psychischen Zusammenbruch verantwortlich macht. Alle warten auf die Ankunft eines Wiener Burgtheater-Schauspielers.

Der Erzähler rekapituliert die Vergangenheit, denkt vor allem über den kürzlichen Selbstmord seiner damaligen Bekannten Joana und über ihre morgendliche Beerdigung nach. Und genauso über ihre Begegnungen in der Vergangenheit, die einen wichtigen Einfluss auf seine eigene künstlerische Entwicklung gehabt hatte, genauso wie die Auersberger sein Leben vor 20 Jahren beeinflusst haben. Auch Jeannie kommt bei ihm nicht gut davon.

Endlich kommt nach der Hälfte des Romans der Burgschauspieler, der selbstverliebt seine großen Leistungen rühmt und über das Theater im allgemeinen parliert.

Der Erzähler ist ein klassischer Misanthrop, er mag eigentlich niemanden, schon gar nicht in der Abendgesellschaft.
„Die meisten Menschen interessieren einen wirklich nicht, habe ich die  ganze Zeit gedacht, fast alle, denen wir begegnen, interessieren uns nicht, sie haben uns nichts zu bieten als ihre Massenarmseligkeit und ihre Massendummheit und langweilen uns durch  immer und überall, und wir haben naturgemäß für sie nicht das geringste übrig.“
Der Abend schreitet voran in zunehmender Betrunkenheit, zum Schluss gibt es noch eine heftige Auseinandersetzung zwischen dem Burgschauspieler und Jennie, was dem Erzähler eine temporäre Sympathie für ihn bringt. Als dann alle gehen wird der Erzähler verlogen, als er den Abend lobt, den er gehasst hat. Und genauso wie er Wien, die Wiener und den dortigen Kulturbetrieb hasst, so liebt er ihn eigentlich und so hat der Roman dann doch ein kleines, versöhnliches Ende.

Lesespaßfaktor:

Diese 'Erregung' hat nichts mit dem Titel 'Holzfällen' zu tun, sondern ist eine Abrechnung mit dem Wiener Kulturbetrieb der 1980er Jahre. Die Gedanken des Erzählers rotieren, wiederholen sich ständig, allein das Wort Ohrensessel, in dem der Erzähler sitzt und sinniert, kommt in der ersten Hälfte des Werkes gefühlt dreimal auf jeder Seite vor.

Das Werk ist ein Erinnerungsstrom ohne Absatz und ohne einzelne Kapitel im Text und mit oft sehr langen Sätzen mit vielen Wiederholungen schon innerhalb eines Satzes. Das obige Zitat zeigt zweierlei, einmal die Abneigung des Erzählers/Autors gegen die Menschen und zum anderen stilistisch die erwähnten andauernden Wiederholungen seiner Gedanken.

Bestimmt enthält das Werk auch autobiografische Elemente (Musikstudium, Schauspielerei, Schriftstellerei) des Autoren. Aber irgendwie ist es dann doch spannend zu lesen, die Gedanken um Freundschaft, Liebe, Hass, um das Altern, um Einsamkeit und Depressionen. Ich kann nachvollziehen, warum der Kritiker Marcel Reich-Ranicki das Werk auf seinen Lesekanon gesetzt hat, auch wenn es vermutlich für Leser, die selbst aus dem Kulturbetrieb kommen, noch interessanter ist als für den 'normalen' Leser.

♥♡





Sonntag, 20. April 2025

Fjodor M. Dostojewskij - Die Brüder Karamasow

 

Autor:

Dostojewskij, einer der bedeutendsten russischen Schriftsteller lebte von 1821 bis 1881, er wurde in St. Petersburg geboren, wo er auch starb. Insgesamt verfasste er neun Romane, dazu Novellen und Erzählungen sowie nicht fiktionale Texte. Schwerpunkte der Romane sind die Zustände im russischen Kaiserreich am Beginn der Moderne, seine Figuren sind vor allem psychologisch gezeichnet: Die Romande sind als so genannte Feuilletonromane konzipiert, das bedeutet als sie erschienen zunächst als Fortsetzungsromane in Zeitschriften und sind daher leichter verständlich. Aufgrund seiner frühsozialistischen Haltung wurde er verhaftet, zunächst zum Tode verurteilt und nach der Begnadigung für 10 Jahre nach Sibirien verbannt. Nach seiner Rückkehr 1859 schrieb er seine großen Romane wie etwa 'Schuld und Sühne'. Dostojewskij litt unter Epilepsie und an Spielsucht, letzteres hat er in dem Roman 'Der Spieler' verarbeitet. 

Buch:

Ich habe vor Jahrzehnten 'Schuld und Sühne' gelesen, für mich einer der besten Romane aller Zeiten.  Dem letzten der großen Romane möchte ich mich nur hiermit widmen, das Buch steht auch schon Jahren in meinem Bücherschrank. Sigmund Freud hielt diesen 1880 erschienen Roman, der Fragen nach dem Sinn des Lebens und der Existenz Gottes behandelt, für den besten jemals geschriebenen Roman.

Hauptfiguren:
  • Alexej 'Aljoscha' Fjodorowitsch Karamasow
  • Fjodor Pawlowitsch Karamasow, sein Vater, Gutsbesitzer, 55 Jahre alt
  • Dmitrij Fjodorowitsch 'Mitja', sein älterer Halbbruder
  • Iwan Fjodorowitsch, sein Bruder
  • Katerina ('Katja') Iwanowa Werchowzewa, dessen Braut und adelige Obersttochter
  • Grigorij Wassiljewitsch Kutusow, Diener von Fjodor
  • Pawel Fjodorowitsch Smerdjakow, sein Sohn
  • Starez Sosima
  • Agrafena Alexandrowa Swetlowa ('Gruschenka'), 
  • Katerina Osipowna Chochlakowa, Gutsbesitzerin
  • Lise, ihre gelähmte Tochter
  • Michail Osipowitsch Rakitin, ein Diener von Frau Chochlakowa und Bekannter Gruschenkas
  • Kusma Kusmitsch Samsonow, reicher Gönner Gruschenkas
  • Ippolit Kirillowitsch, Staatsanwalt
  • Fetjukowitsch, Verteidiger Mitjas
Inhalt und Rezeption:

Erstes Buch - Die Geschichte einer Familie

Die Geschichte beginnt 13 Jahre vor der eigentlichen Erzählung mit Fjodor, einem Kleingutsbesitzer mit überaus schlechtem Charakter, der seiner ersten Frau die Mitgift abgeluchst hat und damit durchgebrannt ist. Der gemeinsame Sohn Mitja wird zunächst vorwiegend durch den Diener Grigorij großgezogen, dann erscheint ein Großonkel aus der Familie Miusow und übernimmt das Kind, bevor es wiederum zu einer seiner Tanten weitergegeben wurde. Fjodor heiratet erneut, diesmal die junge Waise Sofja, die bei einer Generalin aufgewachsen war und mit der er zwei weitere Kinder, Aljoscha und Iwan zeugte. Sie starb aber nur wenige Jahre später und ihre beiden Kinder wurden von der despotischen Generalin erzogen, die aber wiederum auch kurz danach verschied, so dass die beiden Kinder zeitweise vom überaus humanen Haupterben der Generalin erzogen wurden. Iwan konnte später in Moskau studieren, beide Brüder waren sich aber des nichtsnutzigen Vaters bewusst. 

Eines Tages besucht Iwan seinen ihm unbekannten Vater und zur Überraschung aller verstand er sich mit dem schwierigen Menschen ganz gut. In der kleinen Stadt lebte der allseits beliebte Aljoscha zu diesem Zeitpunkt schon seit einem Jahr als Novize in einem Kloster bei Starez (=Ältester in einem orthodoxen Kloster) Sosima. Hier kommt dann ein schöner Gedanke zum Glauben:
Nicht Wunder bewegen den Realisten zum Glauben. Der wahre Realist wird, wenn er nicht gläubig ist, stets die Kraft und die Fähigkeit in sich finden, auch an ein Wunder nicht zu glauben; wenn aber das Wunder ihm als unumstößliche Tatsache begegnet, so wird er eher seinen Sinnen misstrauen als die Tatsache zugeben. ... Beim Realisten kommt nicht der Glaube aus dem Wunder, sondern das Wunder aus dem Glauben. 
Zweites Buch - Eine unangebrachte Zusammenkunft

Fjodor und Iwan besuchen den Starez und Aljoscha im Kloster. Warum sie dies tun wird nicht deutlich. Der Starez empfängt allerlei hilfsbedürftige Menschen, darunter eine Gutsbesitzerin mit ihrer Tochter Lise, die im Rollstuhl sitzt und die er bisher schon von Fieberanfällen befreit haben soll. Während alle noch auf Dmitrij warten plappert Fjodor gotteslästerliches Zeug und man spricht etwas langatmig über die Rolle der Kirche und die des Staates, insbesondere in Bezug auf die Gerichtsbarkeit. Sobald dieser dann aber da ist beginnen vor den Ohren des Starez die verletzenden gegenseitigen Vorwürfe, es dreht sich um finanzielle Ansprüche zwischen ihm und seinem Vater sowie beider Zuneigung zum Freudenmädchen Gruschenka. Fjodor beleidigt später noch den Abt und andere Anwesende, bevor er sich endlich mit Iwan auf den Heimweg begibt.

Drittes Buch - Die Wolllüstlinge

Es wird von der unehelichen Geburt Pawels nach einer Vergewaltigung berichtet, bei der seine Mutter verstarb, der Vater des Kindes soll Fjodor sein. Aljoscha unterhält sich lange mit seinem ältesten Bruder und erfährt vom ihm über den Ursprung seiner Beziehung zu und Verlobung mit Katja, in die aber auch sein anderer Bruder Iwan verliebt ist. Dmitrij sieht sich als Nichtsnutz und bittet ihn, in seinem Namen die Verlobung mit Katja zu lösen und ihr von ihm unterschlagenes Geld zurückzugeben, da er lieber Gruschenka heiraten will. Allerdings soll Aljoscha das benötigte Geld ausgerechnet bei ihrem Vater holen, der ebenfalls in Gruschenka verliebt ist. Dort trifft er auf Iwan und die beiden Diener, die sich über Glaubensfragen echauffieren. Dmitrij streitet mit seinem Vater wegen Gruschenka, die Aljoscha dann allerdings bei Katerina trifft, die sich auch von ihr hat einwickeln lassen. Dort erhält er auch selbst einen Brief von Lise (s.o.), die ihm ihre Liebe gesteht. 

Viertes Buch - Überspanntheit

Aljoscha nimmt allerlei Weisheiten seines im Sterben liegenden Starez entgegen, bevor er wieder zu seinem Vater eilt, der wiederum seine Liederlichkeit, seinen Geiz und seine Unglauben offenbart sowie über seine beiden Brüder herzieht. Dann geht er weiter zu Frau Chochlakowa, wo ihn Tochter Lise bittet, ihr ihren Brief an ihn zurückzugeben, aber Aljoscha hat alles geglaubt und sagt ihr, dass er sie in der Tat zu heiraten gedenke, trotz ihrer Behinderung (sie sitzt im Rollstuhl). Im Salon des Hauses sind auch sein Bruder Iwan und Katerina versammelt, es geht wieder darum, welchen der beiden Brüder sie nun liebt oder auch nicht, alles wird hier etwas sehr mit nicht so nachvollziehbarer Bedeutung (=Überspanntheit) aufgebauscht. Ein kleiner Junge beißt Aljoscha in den Finger, später erfährt man, warum, nämlich weil der Junge seinen Bruder Dmitrij dafür verantwortlich macht, seinen eignen Vater beleidigt zu haben, wofür wiederum Katerina Aljoscha Geld gibt, damit er einem Snegirjow gibt als Wiedergutmachung, der es aber ablehnt, da er sich in seiner Ehre verletzt sieht. Sic!

Fünftes Buch - Pro und Contra

Er liebt, sie liebt ihn, sie liebt ihn nicht, irgendwie sind Aljoscha und Lise dann verlobt. Mit seinem Bruder Iwan spricht er erstmals richtig über ihre Beziehung und das Leben im allgemeinen, über das Gute und das Böse im besonderen. „Soll man das Leben mehr lieben als den Sinn des Lebens?“ Dies ist eine schöne Passage in dem Buch, die auch das Poem ‚Der Großinquisitor‘ enthält. 

Sechstes Buch - Ein russischer Mönch

Aljoscha kehrt zum Starez zurück, der am letzten Abend seines Lebens einer kleinen Zuhörerschaft etwas aus seinem Leben erzählt, vor allem, wie er als junger Kadett die Religion für sich entdeckt hat und ins Kloster ging. Auch hier wird wieder deutlich, dass Dostojewskij im Alter eher theologische Themen umtreibt und er seine Erzählkraft doch etwas verloren hat.

Siebentes Buch - Aljoscha

Alle erwarten, dass vom verstorbenen Starez nun Wunder ausgehen, stattdessen geht von seinem toten Körper ein besonders übler Leichengeruch aus, so dass die meisten Mönche das Starzentum in Frage stellen. Aljoscha verlässt das Kloster mit Rakitin, der sich freut, ihn vermeintlich in die Sünden einzuführen, als er mit ihm zu Gruschenka eilt. Statt dessen aber tauschen sich die beiden über ihr Leben aus. Gruschenka wartet auf einen früheren Liebhaber und beauftragt Aljoscha, seinem Bruder Mitja mitzuteilen, sie habe ihn nie wirklich geliebt.  

Achtes Buch - Mitja

Dieser wiederum ist mit seinen Geldsorgen zu einem alten Gönner Gruschenkas gegangen, um von ihm Geld zu bekommen im Tausch gegen höhere Forderungen gegen seinen Vater aus einer Erbsache. Der will davon nichts wissen und schickt ihn mit böser Absicht zu Ljagawyi, der angeblich mit seinem Vater über den Kauf eines Waldstücks verhandelt und vielleicht Interesse an Mitjas Forderung gegen seinen Vater haben könnte. Nachdem er aber feststellt, in die Irre geleitet worden zu sein, kehrt er wutentbrannt zurück und sucht seine Geliebte bei seinem Vater. Dort im Garten auflauernd, kommt es zu einem Unfall, als der alte Diener seines Vaters herauskommt und er ihn auf seiner Flucht aus dem Garten versehentlich und vermeintlich tödlich verletzt. Völlig aufgedreht folgt er Gruschenka in einen Nachbarort und feiert eine Orgie mit ihr und ihrem ehemaligen Liebhaber, es wird dabei viel Sinnloses palavert, am Ende der Nacht wird Mitja wegen  vorsätzlichen Mordes an seinem Vater verhaftet.

Neuntes Buch - Die Voruntersuchung

Der Roman verwandelt sich nun in eine Kriminalgeschichte. Nun erfährt der Leser schrittweise, was wirklich passiert ist. Das vermeintliche Opfer Kutosow war nur schwer verletzt, tatsächlich soll Mitja seinen Vater mit einem Stößel erschlagen, den er aus dem Haushalt von Frau Chochlakowa mitgenommen hatte. Das bestreitet er jedoch vehement, im Gegenteil ist er erleichtert zu hören, dass der Diener seines Vaters noch am Leben ist, denn er dachte, eben diesen erschlagen zu haben. Nur dass der Staatsanwalt und der Untersuchungsrichter seiner Darstellung keinen Gauben schenken. In extensio wird auch über die Herkunft des Geldes gesprochen, dass Mitja verprasst hatte. Schließlich wird er inhaftiert.

Zehntes Buch - Die Knaben

Aljoscha trifft sich mit ein paar Jungen aus seinem Dorf, nicht weiter erwähnenswert für den Fortgang des Romans.

Elftes Buch - Der Bruder Iwan Fjodorowitsch

Um den es zunächst gar nicht geht. Stattdessen spricht Aljoscha vor dem Prozess gegen seinen Halbbruder mit den alten Protagonisten im Dorf, er glaubt nicht an die Schuld Dmitrijs, sondern beschuldigt Smerdjakow. Diese Gespräche wabern um alles mögliche Belanglose, so wie etwa die junge Lise plötzlich einen ganz bösen Charakter bekommt. Dann wird doch aus der Sicht von Iwan weiter erzählt, der mehrere Gespräche mit Smerdjakow führt und beginnt, ihn für den Mörder deines Vaters zu halten. Dieser wiederum konfrontiert ihn mit seinen eigenen angeblichen Wunsch, sein Vater möge sterben. In einem dritten und letzten Gespräch gibt Smerdjakow dann den Mord sogar zu und übergibt das entwendete Geld an Iwan, sagt aber auch, er werde den Mord niemals vor Gericht zugeben und überhaupt hätte Iwan ihn ja angestiftet. Hier wird der Roman wieder zur Kriminalgeschichte.

Zwölftes Buch - Ein Justizirrtum

Nun wird der Prozess gegen Mitja beschrieben, das meiste hat der Leser schon vorher erfahren, was hier nur wiederholt wird. Überraschenderweise aber legt plötzlich Iwan das immer gesuchte Geld, dessentwegen angeblich der Mord begangen wurde, im Prozess auf den Tisch. Und er sagt aus, dass Smerdjakow den Mord auf seinen Auftrag hin begangen habe, wird aber ob seines seltsamen Gehabes als nervenkrank abgetan. Katja sagt dann aus, er habe dies nur gesagt, um seinen Bruder zu retten. Der Staatsanwalt hält ein (über)langes Plädoyer, moralisierend, psychologisch und wertend, weniger juristisch, an dessen Ende hält er ihn jedenfalls für schuldig. Der Verteidiger entkräftet die Indizienbeweise einzeln, insbesondere legt er dar, dass das Motiv des Raubes nicht greift, denn es fehle der Beweis, dass es das Geld überhaupt gab. Dmitrij selbst beteuert zum Abschluss, er sein zwar ein lasterhafter Mensch, seinen Vater habe er aber nicht ermordet. Aber die Geschworenen sprechen ihn des vorsätzlichen Raubmordes schuldig.

Epilog

Mitja wurde zu 20 Jahren Straflager in Sibirien verurteilt. Vor seinem Abtransport sinniert er noch auf der Krankenstation des Gefängnisses über seine Flucht mit Gruschenka nach Amerika. Ohne Ergebnis. Und dann kommt zum Schluss noch einmal die seltsame Geschichte mit den Knaben, Anlass ist die Beerdigung eines der Jungen. Warum? das erschließt sich mir nicht. Ende!



Lesespaßfaktor:

Ein sehr ausufernder Roman! Über 1.000 Seiten eng bedrucktes Papier, der Leser braucht sehr viel Geduld. Der Erzähler ist eine unbekannte Person aus dem Dorf, in dem die drei Brüder Karamasow geboren wurden. Die Geschichte verästelt sich bis in die unbedeutendsten Nebenpersonen (z.B. die Diener Fjodors). Einzelne Charaktere sind ziemlich überspitzt dargestellt (Gruschenka, Dmitrij). Es wird auch sehr viel, ja zu viel geredet.

Eingebettet in die Geschichte werden immer wieder religiöse Aspekte (Aljoschas Leben im Kloster, das Starzentum). Und das Leben dreht sich um Geld, um Neid und Eifersucht.

Erst als der Roman zur Kriminalgeschichte wird, wird es etwas flüssiger und spannender zu lesen, auch wenn dann zum Ende hin im Prozess unzählige der dem Leser bekannten Fakten wieder und wieder beleuchtet werden. Im ersten Teil des Romans steht Aljoscha im Mittelpunkt, der im zweiten Teil kaum und zum Schluss hin überhaupt keine Rolle mehr spielt.

Dieser Roman kommt für mich qualitativ nicht an frühere Werke heran, wie besonders 'Schuld und Sühne'. Viele  Charaktere sind doch ziemlich überspannt, etwa Lise und ihre Mutter. Zwischen dem Wechsel zwischen bedingungsloser Liebe und völliger Ablehnung einer Person sind manchmal nur kleine Begebenheiten (Mitja und Katja). Das Buch ist viel zu lang, es gibt zu viele Abschweifungen, wie etwa die seltsamen Begebenheiten mit den Jungen. Es gibt oft wirre Unterhaltungen, wie im Fieberwahn.

In der Rede des Staatsanwalts wird Dostojewskijs Sicht auf die Brüder Karamasow überdeutlich: "..., Karamasowsche Naturen - ... -, die fähig sind, alle möglichen Gegensätze in sich zu vereinen und gleichzeitig beide Abgründe zu schauen: den Abgrund über uns, den Abgrund der niedrigsten und schändlichsten Verkommenheit."

♡♡




Dienstag, 4. Februar 2025

Jean Rouaud - Hadrians Villa in unserem Garten

 

Autor:

Rouaud ist ein 1952 in Nantes geborener, französischer Schriftseller, der bereits mit seinem Erstlingswerk 'Die Felder der Ehre' den bedeutenden französischen Literaturpreis Prix Goncourt ausgezeichnet. Seine eigene Familiengeschichte ist der Hauptgegenstand seiner Werke. Fünf Romane sind bisher erschienen sowie zwei andere Werke. All zu bekannt ist Rouaud bisher in Deutschland nicht geworden

Buch:

Dieses Werk ist der zweite Roman des Autors, 1993 erschienen und ein Jahr später in deutscher Übersetzung vorgelegt worden. In Bezug auf die Figuren im Roman soll es an den Erstling anschließen, im Mittelpunkt steht der Vater des Erzählers. Ich habe das Buch von einem damals sehr geschätzten Arbeitskollegen zum Geburtstag geschenkt bekommen und -zumindest nach meiner Erinnerung- nie gelesen. 

Hauptfiguren:
  • Joseph 
  • Pierre, sein Vater
  • Marie, seine Schwester
  • Johannes, sein Sohn, der Erzähler
Inhalt und Rezeption:

Randon ist ein fiktiver kleiner Ort in der Bretagne. Der Erzähler berichtet vom Leben seines Vaters Joseph, ein kleiner Handelsvertreter, der Materialien für den Schulunterricht vertrieb und nur 41 Jahre alt wurde. Entsprechend ist er viel unterwegs, berichtet wird etwa, wie er seine Routen mit Hilfe großer Landkarten, Nadeln und einem Faden plant. Und immer wenn er mal wieder nach Hause kommt, dann wartet das ganze Dorf auf den Rückkehrer, der als Ratgeber und Handwerker in allen Lebenslagen geschätzt wird, etwa als der ganz Bestand eines Porzellanladens durch das falsche Abbrennen von Petroleumlampen bei einem Stromausfall völlig verrußt wird. 

Der Vater interessiert sich für alte Steine (Menhire), die er am Wegesrand aufsucht, ich als Leser dagegen etwas weniger! Mit den Steinen will er im Garten ein Haus errichten (a la 'Hadrians Villa). Einer davon ist zu schwer, so dass sein altes Auto unter Last zerbricht. Der Charakter des offenbar früh verstorbenen Vaters erschließt sich aus kleinen Begebenheiten in der Erinnerung des erzählenden Sohnes, viele davon während der Vater als Vertreter in Westfrankreich unterwegs ist. 

Nett ist Berichterstattung vom Familienbesuch in Paris, aber nur kurz danach verreckt nicht nur das Auto, sondern in einer langen Szene wird vom frühen Tod des Vaters im heimischen Hause berichtet. Aber auch danach springt die Erzählung zeitlich wieder zurück, es werden weitere Erlebnisse aus dem Leben des Vaters erzählt, etwa als der während des Krieges vor einer Einberufung weglief, aber so richtiges Interesse daran flammt bei mir nicht auf. 

Lesespaßfaktor:

Rouaud schwelgt in Erinnerungen an eine alte, inzwischen modernisierte Bretagne, noch vor der großen Flurbereinigung. Er lobpreist der dörfliche Familienleben. Eine wirkliche Handlung gibt es nicht. Die Sprache ist auch in der Übersetzung durchaus schön und ist manchmal gefüllt mit kulturgeschichtlichen Anspielungen und gelegentlicher Ironie
"Jeder Kilometer machte dem Auto mehr zu schaffen Im Ölverbrauch legte es denselben Heißhunger an den Tag wie ältere Damen bisweilen beim Verzehr von Süßigkeiten."
Aber die Lektüre ist schon auch etwas langatmig, obwohl das Werk nur 218 Seiten hat. Erinnern werde ich mich an das Buch wohl schon in Kürze nicht mehr. 

♡♡♡