Sonntag, 14. Juli 2024

Ocean Vuong - Auf Erden sind wir kurz grandios

 

Autor:

Ocean Vuong ist ein Schriftsteller mit vietnamesischen Wurzeln. Geboren in Saigon, kam er bereits im Alter von zwei Jahren mit Teilen seiner Familie in die USA. Dort studierte er englische Literatur mit Schwerpunkt Lyrik, seine Gedichte haben in den USA bereits mehrere Preise gewonnen. Neben seiner eigenen schriftstellerischen Tätigkeit hat er eine Hilfsprofessur für Literatur in Amhurst. Er lebt offen schwul und gibt als Religionszugehörigkeit den Buddhismus an.

Buch:

Dieses Buch ist Vuongs erster Roman, der 2019 erschien und im selben Jahr auch ins Deutsche übersetzt wurde. 

Hauptfiguren:
  • ein Sohn, aka 'Kleiner Hund', 28 Jahre alt
  • Rose, seine halb-vietnamesische Mutter, Adressatin des Briefes
  • Lan, seine vietnamesische Großmutter
  • Paul, ihr amerikanischer Mann aus Virginia
  • Mai, die 12 Jahre ältere Halbschwester seiner Mutter
  • Trevor, sein Freund von der Plantage
Inhalt und Rezeption:

Der Ich -Erzähler gedenkt im Alter von 28 Jahren in Briefform -der Brief ist an seine nicht des Lesens fähige Mutter gerichtet- seines Lebens als Einwandererkind, als ein von seiner Mutter sowie seiner Großmutter, die beide schwer vom Vietnamkrieg traumatisiert wurden, aufgezogener junger Mensch, sein Vater ist unbekannt, wird nicht erwähnt. Die Mutter schlägt ihn bis zu seinem 13. Lebensjahr regelmäßig, er ist ein Außenseiter in der Schule, wird überall gemobbt. 

Vor allem von seiner Großmutter Lan erfährt er vieles über die Zeit des Krieges in Vietnam und über die Umstände seiner Geburt. Sie hat sich prostituiert, nachdem sie aus ihrer ersten Ehe mit einem kleinen Kind geflüchtet war. um zu überleben. Seinen vermeintlichen Großvater Paul hat sie jedoch in einer Bar kennengelernt und ihn geheiratet, ein Jahr nach der Geburt seiner Mutter. Erst später erfährt er, dass seine Mutter in Wahrheit doch das Kind eines namenslosen amerikanischen Freiers ist.

Das Außenseitertum ist immer präsent, als kleiner Junge hat er schon zu Paul gesagt, dass "andere Kinder mehr leben als" er selbst. Die Mutter arbeitet in einem Nagelstudio, kontinuierlich den giftigen Chemikalien ausgesetzt, die Hoffnungslosigkeit einer Einwandererexistenz. 
"Ein neuer Einwanderer wird innerhalb von zwei Jahren begreifen, dass das Nagelstudio letztlich ein Ort ist, wo Träume zu dem Wissen verkalken, was es bedeutet, in amerikanischen Leibern -mit oder ohne Staatsbürgerschaft- wach zu sein: schmerzhaft, toxisch, unterbezahlt."
Die Erinnerungen beziehen sich intensiv auf seinen ersten Job auf einer Tabakplantage, wo er Trevor kennen und lieben lernt, später auf ihre Freundschaft oder wie seine Mutter im Nagelstudio einen amputierten Fuß einer Kundin phantomartig massiert. Eines Tages outet er sich seiner Mutter gegenüber über sein Schwulsein, die aber nicht sehr positiv darauf reagiert, gleich das Thema wechselt und ihm im selben Gespräch offenbart, er habe einen älteren Bruder, der aber nach einer vergeblichen Abtreibung bei der Geburt starb. Unappetitlich eine Szene, in der amerikanische Soldaten das Hirn eines Makaken Affen verspeisen, genauso wie der erste richtige schwule Sex mit Trevor.

Er trennt sich eines Tages von Trevor, geht nach New York und kehrt erst dann nach Hartford zurück, als er vom Drogentod seines ehemaligen Freundes erfährt. Einige Monate später stirbt seine Großmutter an Krebs, wieder werden Erlebnisse der Großmutter erzählt, die er selbst nur aus ihren Erzählungen kennt und zusammen mit seiner Mutter begraben sie die Urne in Saigon. die letzten Erinnerungen diffundieren ins Nichts.

Lesespaßfaktor:

Die Geschichte wird in Fragmenten und in Briefform erzählt, nicht als eine Sammlung vieler Briefe, sondern als ein ganz langer Brief. Die 'Handlung' ist die Rückschau auf das Leben des Sohnes, ein Leben mit einer prügelnden, traumatisierten Mutter, die sich in den USA immer fremd fühlt, zumal sie nicht einmal die Sprache erlernt hat. Das ist nicht immer rein sequenziell geschrieben, sondern im Fortlauf des Lebens von Little Dog gibt es auch zwischendurch immer wieder neue Rückblicke, quasi Rückblicke im Rückblick.

Man merkt, dass Vuong auch ein Dichter ist, die Sprache ist in einzelnen Aspekten virtuos, fast lyrisch. Gleich auf der ersten Seite etwa heißt es über die Freiheit: "Freiheit ist nur der Abstand zwischen dem Raubtier und seiner Beute." Auch eine gute Prise Humor ist vorhanden: "Ich sehe von genau drei Seiten gut aus und ätzend von überall sonst." Aber manchmal ist mir die Sprache auch zu blumig, zu metaphorisch ("..., ihr Gesicht ein herabfallender Pfirsich."). Dennoch sind die vielen detailreichen Beobachtungen des jungen Erzählers über seine kleinen Umwelt im Hartford  seiner Jugend sehr schön zu lesen. 

Es geht auch immer wieder darum, wie das Leben als Einwanderer in den USA ist, am Rande der Gesellschaft, Rassismus ausgesetzt und oft sprachlos, weil die Einwanderer die englische Sprache nicht oder kaum erlernen. Die recht detailliert und lang beschriebene homosexuelle Erweckung gefällt mir nicht, bin ich deswegen womöglich homophob?

Zum Ende des zweiten Teils löst sich die Sprache auf in einzelne Gedankenfetzen, es sind quasi Spiegelstriche statt zusammenhängender Gedanken, so wie sich das Leben seines Freundes Trevor auflöst. Man muss als Leser aufpassen, immer den richtigen zeitlichen Bezug zu haben, die zeitlichen Ebenen wechseln ständig, manchmal von Absatz zu Absatz. Sehr Schöne Sätze stehen oft allein dar im Text, ohne inhaltliche Bindung. ("Du und ich, wir waren amerikanisch, bis wir unsere Augen öffneten."). Mit der Lesezeit wird das aber etwas ermüdend, nicht alle Gedanken kann ich nachvollziehen, etwa: "Wo waren wir, bevor wir waren? Wir müssen am Rand eines Feldweges gestanden haben, als die Stadt brannte. Wir waren bestimmt im Begriff zu verschwinden, wie jetzt.".

Am Ende ein Briefroman, der stark beginnt und dann aber ebenso stark nachlässt, nämlich zu dem Zeitpunkt, als ich den Gedankenfragmenten nicht mehr folgen kann, als es egal wird, ob ich diese Sätze lese oder nicht. Daher eine nur durchschnittliche Bewertung, die Begeisterung der vielen Rezensenten kann ich nur sehr bedingt teilen.

♥♡♡

Donnerstag, 4. Juli 2024

Charles Dickens - Dombey & Sohn

 

Autor:

Dickens wurde 1812 in eine mittellose Familie in Südengland hereingeboren. Noch als Kind musste er arbeiten, um Geld für den im Schuldgefängnis inhaftierten Vater zu verdienen. Erst danach konnte er wieder zur Schule gehen und wurde schließlich Schreiber bei einem Rechtsanwalt. Er heiratete 1836 und hatte 10 Kinder mit seiner Frau, trennte sich 20 Jahre später von ihr, um eine Beziehung zu einer Schauspielerin zu führen. In dieser Zeit wurde er auch Journalist und veröffentlichte seine ersten Fortsetzungsgeschichten. Fast alle seine Werke spielen in den armen, unteren Gesellschaftsschichten. Sein erster großer Erfolg war 1838 der Roman 'Oliver Twist'. Er schrieb viele Geschichten, berühmt seine Weihnachtsgeschichte. An einem zweiten Schlaganfall verstarb Dickens 1870. Er ist einer der meistgelesenen britischen Autoren.

Sonntag, 9. Juni 2024

Walt Whitman - Jack Engles Leben und Abenteuer

 


Autor:

Walt Whitman war ein amerikanischer Dichter, Essayist und Journalist, der im 19. Jahrhundert lebte. Er gilt als einer der einflussreichsten Dichter der amerikanischen Literaturgeschichte und ist besonders bekannt für sein episches Gedicht "Leaves of Grass". Whitman war auch für seine freie Versform und seine Themen von Individualismus, Natur und Spiritualität bekannt. Sein Werk hat einen großen Einfluss auf die moderne Poesie gehabt und wird bis heute hoch geschätzt. Er wurde 1819 auf Long Island geboren und verstarb 1892 in New Jersey. Gelernt hat er zunächst Schriftsetzer, war dann viele Jahre als Lehrer tätig, bevor er sich einer journalistischen Laufbahn widmete und später noch Immobilienmakler wurde sowie während des Bürgerkriegs mehrere Jahre in Lazaretten arbeitete. . Erste Veröffentlichungen gab es 1842, sein wichtigstes Werk "Leaves of Grass" erschien erstmals 1855, die heutige Anzahl von mehr als 400 Gedichten erschienen jedoch erst nach und nach. 

Buch:

Bekannt war mir Whitman nur als Poet, insofern habe neugierig diesen kleinen Roman in die Hand genommen. Er erschien 1852 zunächst anonym und wurde erst vor wenigen Jahren eindeutig Whitman zugeordnet und erschien 2019 in deutscher Übersetzung. Whitman selbst wollte seinen frühen prosaischen Versuch anscheinend eher vergessen. In der Vorrede heißt es, die Geschichte beruhe auf wahren Begebenheiten, nur die Namen seien verändert worden.

Hauptfiguren:

  • Jack Engle, Ich-Erzähler
  • Mr. Covert, Rechtsanwalt in New York, Quäker
  • Nathaniel, sein Botenjunge
  • Wigglesworth, sein Kanzleidiener
  • Ephraim Foster, Ladenbesitzer und Ersatzvater von Jack
  • Violet, seine Frau
  • Inez, eine spanische Tänzerin
  • Martha, Mündel von Mr. Covert

Inhalt und Rezeption:

Erzählt wird die Lebensgeschichte des Waisenjungen Jack Engle. Ladenbesitzer Foster, dessen einziges Kind vor einem Jahr verstorben ist, nimmt den verwaisten Bettlerjungen Jack als Gehilfen und fast an Sohnes statt bei sich auf. Etwa 10 Jahre später schickt er ihn als Lehrling in die Kanzlei von Mr. Covert, auch wenn Jack sich dort nicht sehr wohlfühlt und lieber etwas anderes gemacht hätte, ohne zu wissen, was das hätte sein sollen. Aber aus Dankbarkeit zu seinen Pflegeeltern folgt er dessen Wünschen. 

Sein Chef wird als unsympathische, selbstsüchtige Person skizziert. Jack lernt Inez kennen, die beim Anwalt in Sachen Aktienanlagen vorspricht. Mit ihr freundet er sich an und verliebt sich in sie. Danach wird der Leser in einzelnen kleinen Episoden auf eine Enthüllung bzgl. Jacks Vergangenheit und Mr. Coverst Rolle darin vorbereitet. Von Wigglesworth erfährt Jack dann schließlich, das Covert ein Schurke ist, der u.a. das Vermögen seines Mündels Martha unterschlagen hat. Und dass ausgerechnet Marthas Vater im Affekt Jacks Vater umgebracht hat, darüber ihre Mutter und ihr Vater starben, der Vater seinen Anwalt Covert um die Vormundschaft für seine Tochter sowie die Vermögensverwaltung bat und dem Sohn des Opfers, also Jack, ein Drittel seines Vermögens vermachte, das Covert ebenfalls unterschlug.

Nun verbünden sich alle gegen Covert, So entflieht Martha samt ihrer Wertpapiere aus dem Hause Coverts und findet bei Inez Zuflucht. Der Leser erfährt nun noch im Detail, wie es zu der Tötung von Jacks Vater kommen konnte, als Jack den Brief von Marthas Vater liest. Covert flieht nach Kanada, Jack heiratet Martha und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute...



Lesespaßfaktor:

Es gibt neben der Haupthandlung in der Gegenwart immer wieder Rückblenden in verschieden Lebensphasen Jacks . Die Sprache des kleinen Romans ist durchaus amüsant und auch zuweilen poetisch, wie hier etwa: "Die Dame, die noch jung war, aber schon lange die Eierschalen abgestreift hatte, ...". Dieser Roman ist ein aus der Ich-Perspektive erzählter Fortsetzungsroman, was man vor allen Zu Beginn an den deutlichen Überleitungen gut erkennt.

Etwas sprunghaft sind die einzelnen Episoden verknüpft oder auch mal gar nicht, wie ein Kapitel, wo Jack auf dem Friedhof verschiedene Grabinschriften studiert und über das Leben dieser Menschen nachdenkt. Einmal kommt auch ein wenig Spannung auf, als die 'Helden' in eine unverhoffte Polizeikontrolle gerät. Aber insgesamt ist das Werk kein Meisterwerk. Zu schwach ist die strukturelle Komposition der Geschichte. Da hilft die meist schöne Sprache auch nicht. Ohne den großen Namen des Poeten Whitman würde sich diese Geschichte heute literarisch wohl nicht mehr vermarkten lassen.

Freitag, 7. Juni 2024

Percival Everett - Die Bäume

 


Autor:

Everett ist Professor für Englisch an der Universität von Southern California. Er wurde 1956 geboren. Seinen ersten von über 20 Romanen veröffentlichte er bereits zu Studienzeiten im Jahr 1983. Er erhielt zahlreiche amerikanische Literaturpreise sowie Nominierungen für die beiden renommiertesten Preise in den USA, den Booker Prize und den Pulitzer Preis.

Samstag, 25. Mai 2024

W. Somerset Maugham - Der Magier

 


Autor:

Maugham wurde als Sohn eines englischen Anwalts 1874 in Paris geboren und aufgrund des frühen Todes seiner Eltern von einem Onkel aufgezogen und verbrachte viele Jahre in Internaten. Vielseitig interessiert studierte er in Heidelberg Deutsch, Literatur und Philosophie, später in London Medizin, worin er einen Abschluss machte. Im ersten Weltkrieg arbeitete er im britischen Geheimdienstdienst, war u.a. auch in Russland. 1917 heiratete er, die Ehe war aber belastet durch seine homosexuellen Neigungen (zu seinem Sekretär) und hielt nur bis 1928. Erste literarische Erfolge hatte er mit einem Aufsehen erregenden medizinischen Roman sowie mit einigen Theaterstücken, woraufhin er sich ganz dem Schreiben widmete. Er schrieb bis 1959, starb schließlich 1965 in hohem Alter in seinem Haus in Südfrankreich.

Mittwoch, 8. Mai 2024

Klaus Mann - Mephisto

 

Autor:

Klaus Mann ist der älteste Sohn des berühmten Nobelpreisträgers Thomas Mann. Geboren wurde er 1906. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten emigrierte er und wurde einer der bedeutendsten Schriftsteller der Exilliteratur. Sein erster Erfolg war 1925 ein Theaterstück (Anja und Esther), in der er seine Internatszeit verarbeitete und bei dessen Uraufführung er selbst, seine Schwester Erika und Gustav Gründgens (die zeitweise verheiratet waren) mitspielten. Auf einer Reise nach Marokko lernten Klaus und seine Schwester Drogen kennen, die ihn zeitlebens nicht mehr los ließen. Nach Hitlers Machtergreifung gehörte Klaus Manns erster Roman, der von einem Homosexuellen handelt, zu den entarteten Büchern und wurde verbrannt. Mann geht nach Paris ins Exil und später an verschiedene weitere Orte und schließlich 1938 in die USA, wo er sogar vom FBI überwacht wird wegen vermeintlich kommunistischer Gesinnung. Nach dem Krieg wird er mit Deutschland nicht mehr warm. Schließlich stirbt er 1949 an einer Überdosis Schlafmittel (Suizid?).

Buch:

Eben Gustav Gründgens und seine künstlerische Nähe zum Regime Hitlers wird als Vorbild für die Hauptfigur Hendrik Höfgen in diesem Roman aus dem Jahre 1936 gesehen. Mit dem Verbot der Wiederveröffentlichung des Romans im Jahre 1971, da die Persönlichkeitsrechte des verstorbenen Gründgens höher eingestuft wurde als die künstlerische Freiheit Manns, verursachte das Buch einen veritablen Skandal in der alten Bundesrepublik. Der Roman gilt als eines der wichtigsten Werke Klaus Manns.

Hauptfiguren:

  • Hendrik (Heinz) Höfgen, Staatstheaterintendant
  • Bella Höfgen, seine Mutter
  • Josy, seine Schwester
  • Juliette Martens (Prinzessin Tebab), seine halbafrikanische Freundin in Hamburg
  • Cäsar von Muck, Staatsrat und Präsident der Dichterakademie, Freund des Diktators (=Hitler)
  • Oskar H. Kroge, Direktor der Kammerspielbühne in Frankfurt a.M., dann in Hamburg am H.K.
  • Dora Martin, jüdische Schauspielerin aus Berlin
  • Otto Ulrichs, Schauspieler im H.K., Kommunist
  • Hans Miklas, Schauspieler im H.K., Nazi
  • Nicoletta von Niebuhr, Gastschauspielerin im H.K.
  • Barbara Bruckner, ihre Freundin und Tochter des Geheimrates Bruckner, eines Freundes ihres verstorbenen Vaters
  • Theophil Marder, Autor des Stückes "Knorke"
  • Lotte Lindenthal, Schauspielerin und Freundin des Ministerpräsidenten

Inhalt und Rezeption:

Vorspiel 1936:

Zu Ehren des theaterverliebten Ministerpräsidenten (=Göring) findet in der Berliner Oper ein großer Empfang statt. Mann beschreibt mit triefender Ironie dieses Fest sowie die anwesenden Prominente und Profiteure des neuen Deutschlands ("...die geschwätzige Dame, die den lebhaften deutschen Kriegsvorbereitungen ihr wundervolles Collier, ihre langen Ohrgehänge, die Pariser Toilette und all ihren Glanz verdankte."). Auf der Tombola gibt es etwa unter anderem ein Maschinengewehr aus Lübecker Marzipan zu gewinnen. Genüsslich zeichnet Mann ein Treffen des Propagandaministers (=Goebbels) mit dem verhassten Ministerpräsidenten nach und beschreibt die Eifersucht ihrer jeweiligen Ehefrauen aufeinander. Der Ministerpräsident nennt Höfgen auf dieser Veranstaltung 'Mephisto'.

H.K. (Hamburger Kammertheater) und Die Tanzstunde:

Rückblick in das Jahr 1926. Der Frankfurter Theaterintendant Kroge ist an das Hamburger H.K. gewechselt. Dort tritt auch Höfgen als Regisseur und als Schauspieler auf, der zu dieser Zeit mit dem Kommunismus sympathisiert, ebenso wie sein Schauspielkollege Ulrichs, ohne dies aber wie dieser zu exponiert zu vertreten. Ein junger Mann im Theater, Hans Miklas, ist Anhänger der zu dieser Zeit noch nicht so weit verbreiteten Nationalsozialisten. In diesem Kapitel und damit an einem einzelnen Tag im Theater geht es um die Reflektion der politischen Gegebenheiten im Lande, dargestellt an den verschiedenen Personen im Theater. Und um die damaligen Selbstzweifel Höfgens an seinem Genie. Am nächsten Morgen sind Proben angesetzt und Höfgen leitet diese in despotischer und arroganter Art, am Nachmittag muss er schnell gehen, um sich mit Juliette in seinem Zimmer zu treffen. Der Leser erfährt über die Vorgeschichte Juliettes, die Hendrik als Tänzerin in einer schmuddeligen Kneipe in St. Pauli kennengelernt hat und für Tanzstunden verpflichtet hat, die ihm als Schauspieler helfen sollen. Sie wird quasi als seine Domina beschrieben.

Knorke, Barbara und Der Ehemann:

Es wird ein neues Stück des Autors Marder geprobt, der Nicoletta als Hauptdarstellerin  an der Seite von Höfgen haben will. Auch deren Freundin Barbara kommt zur Premiere. Die wird ein grandioser Erfolg und im Anschluss lädt der selbstverliebte Autor Höfgen, Nicoletta und Barbara zum Dinner ein. Dabei lernt Höfgen Barbara näher kennen und interessiert sich für sie, mehr als für den plötzlich eitlen und reaktionären Marder. Während noch das Stück aufgeführt wird, lernen sich die beiden besser kennen und verloben sich schließlich, Höfgen blickt dabei auch auf den gesellschaftliche Einfluss ihres Vaters. Am Tage vor der Hochzeit lernt er ihn erst kennen und fühlt sich zunächst etwas unwohl und schämt sich seiner kleinbürgerlichen Familie. Trotz der gesellschaftlichen Unterschiede wird geheiratet. Auf der Hochzeitsreise an einen idyllischen See treffen sie (Hendrik, Barbara und Nicoletta) wieder auf Theophil, der hier ein Haus besitzt und zu Hendrik verwundert bemerkt, dass er doch eine überaus schwierige und langweilige Frau geheiratet habe. Hendrik kann seinen ehelichen Pflichten nicht nachkommen, er braucht anscheinend die dominante Art von Juliette. Zurück in Hamburg finden sie nicht in ein geregeltes Eheleben, im Gegenteil Hendrik geht gleich wieder zu Juliette und dort klagt er über seine Ehefrau. Diese freundet sich wiederum mit einigen Mitgliedern des Theaterensembles an und hat einige politische Diskussionen mit dem jungen Miklas. Ein Streit hierüber und mit Miklas direkt führt dazu, dass Höfgen ihn entlassen lässt.

Es ist doch nicht zu schildern...:

Ausgerechnet Marder verschafft Höfgen ein Gastspiel in Wien, wo er an der Seite der berühmten in Berlin erfolgreichen Dora Martin eine 'mittlere' Rolle in einem Boulevard Stück spielen soll. Obwohl das Gastspiel nicht sehr erfolgreich verläuft veranlasst ausgerechnet Dora Martin, die über ihn sagt. "Er ist ganz gewissenlos, ein ganz schlechter Mensch", dass er ein schlecht dotiertes Angebot in Berlin erhält, aber er ist so süchtig nach Ruhm in der Hauptstadt, dass er es annimmt. Und er hat Erfolg. Bereits in seinem zweiten Stück wird er gefeiert, als Inkarnation des Bösen, erstmalig quasi als Mephisto. Er dreht einen ersten Film und innerhalb von 2 Jahren ist er der umschwärmte Star  in der Berliner Gesellschaft. Auch Juliette kommt nach Berlin und nutzt ihn nun vollends aus. Von Barbara entfremdet er sich zusehends und sein Schwiegervater meidet Berlin aufgrund der drohenden politischen Umwälzungen. Von denen will Hendrik nichts wissen, er konzentriert sich allein auf seinen Bühnenerfolg und bewegt sich mühelos in linken, rechten und jüdischen Zirkeln. 1932/33 spielt Höfgen dann erstmals wirklich die Rolle des Mephistopheles in Goethes Faust. Es ist ein überwältigender Erfolg. Nach er Premiere kommt Dora Martin in seine Garderobe, gratuliert ihm, sagt ihm eine erfolgreiche Zukunft und und verabschiedet sich nach Amerika, da sie als Jüdin in Deutschland nichts mehr zu suchen hat. Hendrik versteht das alles nicht. 

Der Pakt mit dem Teufel:

Hitler ("jener Mann mit der bellenden Stimme") kommt an die Macht, Henrik befindet sich zu dieser Zeit zu Dreharbeiten in Madrid. Er ist entsetzt, aber vor seiner selbst willen, hat er es sich in der Vergangenheit doch mit einigen Sympathisanten der Nazis verdorben. Aus Berlin erfährt er, dass er ebenso wie sein Schwiegervater auf einer schwarzen Liste steht, daher fährt er zunächst besorgt nach Paris, wo er unruhig und gelangweilt überlegt, was er tun soll. Da erfährt er, das Lotte Lindenthal ein gutes Wort für ihn eingelegt hat, so dass er als Nicht-Jude nach Berlin zurückkehren kann. Kurz vor seiner Abfahrt sieht er aber rein zufällig ausgerechnet seine Frau Barbara, die er monatelang nicht mehr  gesehen hatte und einige der alten Hamburger Kollegen wieder. Aber aus Angst, selbst gesehen zu werden, geht er schnell weiter. Schnell passt er sich in Berlin an, verleugnet seine bisherigen künstlerischen Weggefährten und schmeichelt der schlechten Schauspielerin Lindenthal besonders, da er ohne ihre Protektion verloren wäre, denn seine künstlerischen Feinde (von Muck) haben wichtige Positionen ergattert. Genau diese Protektion nutzt er durch seine Anbiederung, um wieder die Rolle des 
Mephisto zu bekommen. Ausgerechnet der ihn aus Hamburger Zeit hassende Altnazi Hans Miklas soll auch eine kleine Nebenrolle übernehmen. Sein Spiel ist aber Triumph, schon in der Pause bittet ihn der begeisterte Ministerpräsident in sein Loge, Hendrik begeistert ihn auch mit seinen Anekdoten, aber er denkt auch. "Jetzt habe ich mich verkauft...Jetzt bin ich gezeichnet!"

Über Leichen:

Und nun gehört er zum inneren Zirkel der neuen Macht, ein zartes schlechtes Gewissen bleibt, aber eigentlich suhlt Hendrik sich in seinem Glück. "Sie sind ja gar nicht so schlimm,..." denkt er für sich. Mann kehrt dann in der Beschreibung all der zu Macht gekommenen Nazis zu seinem wunderbaren Zynismus vom Anfang zurück. Im Theaterwesen verbleiben nur Speichellecker und schauspielernde Nazis, aber die gleichgeschaltete Presse bejubelt alle. Immerhin ist Hendriks Beziehung zum Ministerpräsidenten inzwischen so gut, dass er seinen alten Weggefährten Otto aus dem Gefängnis holt. Er heult mit den Wölfen, vielleicht ein wenig zu laut. Nun muss er Juliette loswerden. Da sie aber zunächst Widerstand leistet, lässt Hendrik sie verhaften, erst nach einigen Wochen Haft kann sie nach Paris ausreisen. Hans Miklas ist dagegen so desillusioniert von den Nazis, dass er unvorsichtig wird und schließlich aufgrund seines losen Mundwerks erschossen wird. 

In vielen Städten

1934 lässt Höfgen sich von Barbara scheiden, diese ist in der Pariser Emigration in den Widerstand eingetreten; ihrem Vater wird unreines Blut vorgeworfen, er wird ausgebürgert, aber er konnte rechtzeitig nach Südfrankreich auswandern. Ganz in der Nähe wohnt der ebenfalls emigrierte Theophil Marder zusammen mit Nicoletta, ersterer ebenfalls persona non grata in Deutschland, sie kehrt später zurück und spielt wieder mit Höfgen in Hamburg Theater. Auch über all die anderen Weggefährten, die überall verstreut leben, wird kurz berichtet. Dann wird Hendrik Nachfolger des Intendanten von Muck, nach heftiger Auseinandersetzung zwischen dem Propagandaminister und dem Ministerpräsidenten. Er "genoß es, sich bitten zu lassen von der blutbefleckten Macht."

Die Drohung

So devot Höfgen sich dem neuen Establishment gegenüber verhielt, er war nicht Parteimitglied und hatte doch einige Zweifel, was passiert, wenn dieser Spuk doch mal vorbeigehen sollte. dafür bauchte er "Rückversicherungen". Und so hatte er einen halbjüdischen Assistenten, was ihm auch in oppositionellen Kreisen durchaus angerechnet wurde. Otto Ulrichs nimmt wieder Kontakt zu den Widerstandsgruppen im Untergrund auf, was ebenso nicht ungefährlich für Höfgens Position ist, wie die Gerüchte, die ausgerechnet von Muck verbreitet, nämlich über seine Rassenschande, die er mit Juliette getrieben haben soll. Zum Schutz heiratet er Nicolette. Und der Ministerpräsident schickt ihn gar zur Audienz zum "Messias aller Germanen" (Hitler), um alle Gerüchte zu zerstreuen. Da Höfgen den passenden, unterwürfigen Eindruck macht, darf er im Amt bleiben, wird gar mit weiteren Titeln überhäuft. Aber etwas später wird Ulrichs doch verhaftet und gleich ermordet. Höfgen hatte sich zwar noch einmal für ihn eingesetzt, dabei aber beinahe den Bogen der Geduld des Ministerpräsidenten überspannt. Immerhin spendet er anonym für den Sarg seines alten, verleugneten Weggefährten. Nach der Premiere seines Hamlet gewinnt er aber wieder die Bewunderung zurück, auch wenn er selbst mit seiner Darstellung hadert. Höfgen ist am Ende zerrissen, am Abend der Premiere erhält er noch Besuch eines Freundes von Otto Ulrichs, de ihm indirekt droht, auch nach der Zeit der Nazis werde man Rolle dieser Zeit nicht vergessen. Er heult sich bei seiner Mutter aus, versteht diese Drohung nicht. "Ich bin doch nur ein ganz gewöhnlicher Schauspieler."

Lesespaßfaktor:

Das Vorspiel ist einfach großartig, es trieft vor Sarkasmus und ist wunderbar geschrieben. Danach beginnt rückbetrachtend die Geschichte Hendrik Höfgens, Klaus Mann beschreibt immer wieder ausführlich seine Charakterzüge, eitel, aber voller Selbstzweifel, dann wieder arrogant und von seinen Fähigkeiten überzeugt, immer wahrnehmend, was andere von ihm halten. Sein 'aasiges' Lächeln symbolisiert seine Unaufrichtigkeit, andererseits lässt er über sagen: "Seine Falschheit ist seine Echtheit." Genauso widersprüchlich sein Äußeres, mal wird er als schöner Mann tituliert, dann wieder als fahler, verfetteter Mann.

Die innere Zerrissenheit Höfgens zwischen dem äußerlichen Erfolg auf der Bühne  und den Selbstzweifels jenseits der Bühne ziehen sich durch den ganzen Roman. Der schlechte Charakter von Höfgen wird zusehends im Roman deutlicher, ganz besonders, als er seine Frau nach der Machtergreifung der Nazis in Paris sieht, sie aber nicht einmal mehr anspricht, um nicht Gefahr zu laufen, seine Rückkehr auf die Bühnen nach Berlin zu gefährden. Er dreht sein Fähnchen immer nach dem Winde. Für seinen Erfolg lässt er sich auch mit dem Teufel ein, hier in Form des Ministerpräsidenten (=Hermann Göring).
Die subtile Beschreibung der Anfangszeit der nationalsozialistische Regierung gegen Ende des Romans ist ebenso unwiderstehlich wie das Vorspiel. Ein ganz großer Roman, auch heute noch brandaktuell.

Mittwoch, 20. März 2024

Colson Whitehead - Underground Railroad

 


Autor:

Whitehead ist ein afro-amerikanischer Schriftsteller, der 1969 geboren wurde. Nach seinem Studium in Harvard hat er an zahlreichen renommierten Bildungseinrichtungen in den USA doziert. Er hat bislang 6sechs Romane veröffentlicht, von denen zwei den Pulitzer Preis erhielten, was überhaupt erst drei Autoren gelungen ist. 

Buch:

Dieser Roman wurde 2016 veröffentlicht und erhielt zahlreiche Preise, darunter den Pulitzer Preis für Fiktion. Aufmerksam geworden bin ich auf das Buch durch eine Empfehlungsliste in einer Tageszeitung.

Hauptfiguren:
  • Cora alias Bessie Carpenter, eine entflohene Sklavin
  • Ajarry, ihre Großmutter
  • Mabel, ihre Mutter
  • Lovey, eine Freundin in jungen Jahren
  • Caesar, alias Christian Markson, Feldarbeiter auf der Plantage und Initiator der Flucht
  • James und Terrance Randall, Söhne des Sklavenbesitzers
  • Arnold Ridgeway, Sklavenfänger
  • Mr. Fletcher, ein weißer Farmer und Abolitionist
  • Sam, Stationsvorsteher der Underground Railway in South Carolina
  • Martin, Stationsvorsteher der Underground Railway in North Carolina
  • Ethel, seine Frau
  • Royal, ein Freund und Retter Coras, Mitarbeiter bei der Railroad
Inhalt und Rezeption:

Die Geschichte beginnt mit der Verschleppung von Coras Großmutter als Sklavin nach Amerika, wo sie unter fürchterlichen Bedingungen auf verschiedenen Plantagen (Zucker, Tabak, Baumwolle) arbeiten muss. Von vier Männer bekam sie fünf Kinder, von denen nur Coras Mutter überlebte. Als Cora 11 Jahre alt ist, verschwindet die Mutter. Sie hat ein winziges Stück Land von ihrer Mutter geerbt, das man ihr aber sofort streitig macht. Als sie etwas älter ist, wird sie von anderen Sklaven vergewaltigt. Während einer Geburtstagsfeier des ältesten Sklaven wird Cora von Caesar angesprochen, der mit ihr zusammen abhauen will. Es wird dem Leser aber nicht deutlich, warum er sie dafür ausgewählt hat, denn sie hatten bis dahin keinen wirklichen Kontakt. Der einzige Hinweis ist, dass eben auch Coras Mutter verschwunden ist und nicht wieder aufgegriffen wurde. Zunächst sagt sie nein, aber nachdem sie dann schwer verprügelt wurde, weil sie auf der Feier einem Jungen, der ebenfalls den Unmut der Herren auf sich gezogen hatte, zur Hilfe eilte, ändert sie ihre Meinung.

Der Leser erfährt kurz etwas über das Schicksal von Caesar, der erst im Norden lebte, dort sogar lesen lernte und eigentlich aus der Sklaverei entlassen werden sollte, dann aber doch in den Süden verkauft wurde. Er lernt Mr. Fletcher kennen, einen Abolitionisten (Gegner der Sklaverei), der ihnen bei der Flucht helfen will und den Zugang zur Underground Railway (System zur Unterstützung entflohener Sklaven auf ihrer Flucht) verschaffen will. Der Tag der Flucht rückt näher. Überraschenderweise schließt sich Lovey den beiden an, sie wandern durch die Sümpfe in Richtung Norden zum Treffpunkt mit Mr. Fletcher. Unterwegs warten aber schon die Sklavenjäger, nur Caesar und Cora können sich behaupten -allerdings erschlägt Cora dabei einen erst 12-jährigen Jäger- und fliehen zusammen weiter. Schließlich erreichen sie Mr. Fletchers Farm, der sie per Auto weiterbringt zur Underground Railway, mit der sie dann nach South Carolina fahren.

Vorgestellt wird im nächsten Kapitel der Sklavenjäger Arnold Ridgeway, der von Coras und Caesars Eigentümer beauftragt wird, sie wieder einzufangen.

Cora und Caesar bekommen neue Identitäten und leben -als formell vom Staat gekaufte ehemalige Sklaven zunächst in einer größeren Stadt in South Carolina, Cora als Hausangestellte der Andersons, Caesar als Fabrikarbeiter. Nur ganz langsam können sie ihr furchtbares Leben auf der Plantage hinter sich lassen. Cora bekommt eine Anstellung im Museum der Naturwunder, als Darstellerin afrikanischer Bräuche -quasi ein lebendiges Ausstellungsstück! Von staatlich finanzierten Ärzten wird Cora untersucht, ihr wird eine Sterilisation ans Herz gelegt. Der amerikanische Staat versuchte damals, hierdurch die hohen Geburtenraten der schwarzen Bevölkerung in den Griff zu bekommen! Auch wieder das Motiv der Demütigung und der Illusion von Freiheit. Eines Tages ruft Sam sie zu sich, um von diesen und anderen medizinischen Experimenten an Schwarzen zu berichten und ein paar Tage später auch vom Sklavenjäger Ridgeway zu berichten, der nach ihnen suchen würde. Cora kann gerade noch in den unterirdischen Bahnhof unter Sams Haus fliehen, bevor dieses in Flammen aufgeht. Sie ist tagelang quasi eingesperrt, bevor endlich doch ein Zug kommt und sie mitnimmt. Caesar ist verschwunden.

Aussteigen kann sie an einem eigentlich still gelegten Bahnhof in North Carolina, wo der Stationsvorsteher Martin sie zunächst mit in sein Haus nimmt und dort auf dem Spitzboden versteckt hält. Aufgrund der schwierigen Verhältnisse in South Carolina und der Angst ihrer "Gastgeber" muss sie monatelang dort ausharren, nur mit der aller notdürftigsten Versorgung. Ist das wirklich besser als ein Leben als Sklavin? Schließlich wird sie bei einer der vielen Durchsuchungen des Hauses entdeckt, das Hausmädchen hatte Verdacht geschöpft und die Behörden informiert. Ridgeway ist auch schon da und nimmt sie mit. Ihre Helfer Martin und Ethel werden vom Mob gesteinigt. 

Auf der Fahrt in Richtung Georgia durchqueren sie das durch einen verheerenden Brand verwüstete Tennessee. Ridgeway erzählt Cora schließlich, dass auch Caesar es nicht geschafft hatte und schon vor längerer Zeit den Tod gefunden hatte. Dann erscheinen plötzlich drei bewaffnete Farbige -einer heißt Royal und ist schon länger in der Anti-Sklaverei Bewegung tätig und bei der Railroad aktiv-und befreien Cora aus Ridgeways Klauen. 

Schnitt: Cora ist auf der Valentin Farm in Indiana untergekommen. Hier ergeht es den Schwarzen viel besser, sie müssen/können zwar arbeiten, sind aber frei. Royal nimmt Cora eines Tages mit zu einer verlassenen Station der Underground Railroad, dabei erinnert sich Cora an ihre Rettung in Tennessee und wie sie nach Indiana gekommen war. Als aber auf der Farm eine große Versammlung abgehalten wird, überfallen Weiße, denen auch in Indiana eine erfolgreiche schwarze Farm unheimlich ist, die Versammelten und töten zahlreiche Bewohner, darunter auch Royal. Merke, auch wenn Schwarze vermeintlich frei leben dürfen, leben sie praktisch aber doch noch wie Sklaven. Zu den marodierenden Weißen gehört auch Ridgeway, der Cora also erneut einfangen kann, auch wenn ihr Sklavenhalter in Georgia längst verstorben ist.

Aufgeklärt wird auch noch das Schicksal von Coras Mutter. Tatsächlich ist sie eines Nachts entflohen, wollte aber nach wenigen Stunden wieder zurück zu ihrer Tochter, wurde dann aber von einer giftigen Schlange gebissen und starb daran, im Sumpf versinkend. Schließlich kann Cora Ridgeway erneut entkommen, bei dem Gerangel kommt er ums Leben. Durch den Tunnel der stillgelegten Underground Railway Station, die Royal ihr gezeigt hatte, flieht sie per Draisine und zu Fuß und trifft schließlich ein Schwarzen auf einem Kutschbock, der mitnimmt in Richtung Norden. Ende der wunderbaren Geschichte, die eigentlich nicht zu Ende ist und irgendwie auch immer so weiter gehen könnte.

Lesespaßfaktor:

Das brutale Leben in der Sklaverei wird hier aus Sicht der jungen Cora erzählt. Die Sklaven sind -keine neue Erkenntnis- immerwährender Demütigung und Gewalt ausgesetzt. Der Sklave ist ein Vermögenswert, atmendes Kapital, fleischgewordener Profit, wie Whitehead es ausdrückt. Was die Erzählung aber sehr lesenswert macht, sind die häufigen Wechsel der Zeiten. Ohne Vorwarnung wird dann etwa von der Flucht der Mutter Coras erzählt, eingebettet in die Geschichte von Cora selbst. Das erfordert volle Konzentration, bringt aber in der Summe auch gutes Verständnis für die Periode der Sklaverei, die mehrere Generationen umfasste. 

Die Underground Railroad ist eine Fiktion, die der Geschichte einen guten Rahmen gibt. Ein tolles Buch, das einen enormen Lese-Sog entfaltet und dessen herausragende Qualität ich hier als eine Sammlung von Zitaten vorstellen möchte.
"In ihrer Erschütterung entfärbte sich die Welt für sie zu grauen Eindrücken."

"Es gab eine Ordnung von Elend, ein in anderem Elend steckendes Elend, ..."

"Die Welt hatte einem nichts mehr zu bieten als die neuesten Varianten von Grausamkeit." 

"Der weiße Südstaatler entsprang den Lenden des Teufels, und welche Übeltat er als nächstes begehen würde, war nicht vorherzusagen. 

"Methodisten und ihre Albernheiten hatten am Busen von König Baumwolle nichts zu suchen." 

"Hier lag der wahre große Geist, der göttliche Strang, der alles menschliche Streben miteinander verband -wenn du es halten kannst, gehört es dir. Dein Eigentum, ob Sklave oder Kontinent. Der amerikanische Imperativ." 

"Geraubte Körper bearbeiten geraubtes Land." 

Im Tod wurde der Neger zu einem Menschen. Erst da war er dem Weißen gleichberechtigt." 

"Alle Menschen sind gleich, es sei denn, wir entscheiden, dass du kein Mensch bist."

"Manchmal ist eine nützliche Illusion besser als eine nutzlose Wahrheit."